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Weisbach, Werner
Der junge Dürer: drei Studien — Leipzig, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.29149#0077
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noch nicht voll bewußt geworden war. Dort trat ihm eine Steigerung der mensch-
lichen Persönlichkeit entgegen, welche die deutsche Kunst nicht kannte. In der
Apokalypse zeigt sich, wie das Pathos Mantegnas auf ihn gewirkt hat. Etwas Ge-
waltiges, oft sogar Gewaltsames kommt nach der italienischen Reise in seine Kunst.

Wir sahen dann, in welchem Maße ihm das echt italienische Vergnügen an
dem Gliederbau nackter Körper durch Eindrücke des Südens aufging. Hier kreuzten
sich Einflüsse Mantegnas mit solchen Pollajuolos, Barbaris und wohl noch anderer
Meister, so daß für uns im ganzen nur eine allgemein-italienische Beeinflussung zu
bemerken ist. Den nackten Körper in italienischem Sinne nach seiner Anatomie, Musku-
latur und Ponderation von sich aus wirklich zu beherrschen, das hat Dürer damals
nicht gelernt. Er übernahm vom Süden eine leidenschaftliche, aber zum Teil recht
unglückliche Liebe zum Nackten — in Verbindung mit mythologisch-novellistischen
Stoffen —, aber er wußte das Nackte noch nicht zu organisieren und greift deshalb
verschiedentlich auf seine italienischen Vorbilder zurück. Das Nackte bildete ein
Problem für ihn, das aufgestellt war und energisch hin und her erwogen wurde,
aber in den neunziger Jahren noch nicht einer endgültigen Lösung entgegengeführt
werden konnte.

Endlich läßt sich hie und da ein Eingehen auf italienisches „Sentimento bei Dürer
beobachten. Jenes Elegische im Gefühlsausdruck, das gewissen italienischen Köpfen
eigen ist, kommt bei ihm zuweilen vor, bei mythologischen und genrehaften Darstellun-
gen. Es gibt weibliche Idealköpfe von ihm, die in der damaligen deutschen Kunst
ganz für sich dastehen, denen er etwas Sentimental-Heroisches ins Antlitz zu legen
sich bemüht hat. Sie können nicht unmittelbar germanischen Vorstellungskreisen ent-
sprungen sein. Der Ausdruck des Heroischen als eines besonderen Typus wird durch
ihn überhaupt erst der deutschen Kunst vermittelt.

Weit bedeutungsvoller aber als alles Italienisierende ist für seine Kunst, was
sich aus seiner eigenen Natur heraus entwickelt hat.

Eine Seite seiner Begabung ist augenscheinlich auf der Reise nach Italien so
recht zur Entfaltung gekommen und durch die Wanderung über die Alpen gefördert
worden: die Darstellung der Landschaft.

Wir haben keine selbständige Landschaftsstudie, die vor der ersten italienischen
Reise entstanden sein könnte. Die landschaftlichen Szenerieen auf Arbeiten der
Wanderschaft weisen Elemente auf, die dem Motivenschatz der früheren deutschen
Kunst entnommen sind, neben Objekten, die der Künstler selbst beobachtet und seiner
Beobachtung gemäß dann aus dem Gedächtnis reproduziert hat. Diese Landschaften
sind also komponierte Phantasiegebilde, die mit der Tendenz möglichst natürlich zu
erscheinen auftreten. Für jede Art von Stoffen werden solche echt deutsch anmutenden
Szenerieen verwandt. (Vgl. die ähnlich konstruierten Landschaften auf der Madonna-
Rodrigues in Berlin und der Europa-Zeichnung der Albertina.)

Auf dem Gebiete der Landschaft ist Dürer Einflüssen italienischer Meister gar
nicht zugänglich gewesen. Den phantastischen Elementen gegenüber, wie sie etwa
paduanische oder andere oberitalienische Landschaften enthalten, hat er sich durchweg
ablehnend verhalten. Im Landschaftichen waren es dann gerade die Italiener, die
seine Werke nach den verschiedensten Richtungen ausbeuteten. Bezeichnend für
seine Art ist es schon, wie er die Szenerie des von ihm kopierten italienischen
 
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