Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 3.1903/1904
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Heft 1
DOI article:Popp, Hermann: Unsere heutigen Malerfarben
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Neclakteur: Ernst Eloss.
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Unsere deutigen Malerfarben.
Von Or. !)erniann Popp.
Die Solidität und Dauerhaftigkeit der Erzeug-
nisse der Malerei hängt in erster Linie von der
Beschaffenheit des dazu verwendeten Materials ab,
denn die größte Sorgsamkeit bei der künstlerischen
Verwertung desselben ist vergebens, wenn dieses
selbst nicht mit aller nur denkbaren Sorgfalt und
mit wissenschaftlicher Genauigkeit hergestellt ist.
Die alten Meister legten daher, in richtiger Er-
kenntnis dieses für die Aunstübung so ungemein
wichtigen Faktors, ganz besonderen Wert auf die
sorgfältige Auswahl und Herstellung ihrer Mate-
rialien. Schon im Lehrprogramm spielte dies eine
bedeutsame Rolle. So verlangte z. B. Eellini
vom Schüler, daß er sechs Jahre auf die Erler-
nung des Farbenreibens verwenden müsse. Die
Aunstauffassung der Alten ging eben stets, und
zwar ohne ihrem Genie Abbruch zu tun, vom
Handwerklichen aus. Hierin erblickten sie die
Grundlage aller Kunst und die Möglichkeit, voll-
kommene, Jahrhunderte überdauernde Leistungen
zu erzielen. Heute ist das Handwerkliche völlig
aus dem Gebiete der Malerei gewichen. Anstatt
daß die Maler ihr Material beherrschen, werden
sie von demselben beherrscht und was die Solidität
ihrer Bilder anbelangt, so ist diese durchaus dem
* Zufall preisgegeben. Kein Maler der Gegenwart
kann für die Dauerhaftigkeit seiner Schöpfungen
auch nur für die kürzeste Zeit garantieren, denn
er weiß ja gar nicht, womit er sie gemalt hat.
Er weiß nicht, woraus seine Farben bestehen,
kennt weder ihre physikalischen noch chemischen
Eigenschaften und ist höchst erstaunt, wenn er nach
Fertigstellung eines Bildes konstatieren kann, daß
der Zerstörungsprozeß bereits begonnen hat. Mit
vollstem Recht äußerte Böcklin einmal: „Wir
(die Heutigen Maler) sind ja alle Abenteurer, ohne
Halt, Steuer und Kompaß: Zeder in seiner Nuß-
schale. Keiner hat einen Halt am früheren. Er
weiß nichts, glaubt nichts, fchaut nach und ver-
suchts." Der Vorwurf, der den Malern ob dieses
Zustandes der Maltechnik gemacht werden muß,
ist allerdings auf Jahrhunderte zurückzudatieren,
auf jene Zeit, die einen Ersatz für die Selbsther-
stellung der Malmaterialien suchte und fand. Der
Heutigen Malerwelt bleibt trotzdem noch ein reich-
licher Anteil an der allgemeinen Verwahrlosung
und wenn es schließlich nur naturgemäß ist, daß
die veränderten Verhältnisse auch eine veränderte
Produktionsweise geschaffen haben, so sollte doch
die Unkenntnis des Materials nie soweit kommen,
daß man über das Wesen, die Herkunft und die
Eigenschaften desselben fast gänzlich im unklaren
wäre. Wo wir heute bereits angelangt sind, das
geht am deutlichsten aus den von Malern ver-
faßten Hand- und Lehrbüchern der Malerei hervor.
So hat unlängst ein bekannter, literarisch sehr pro-