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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Kaemmerer, Paul: Die Sorge unserer Zeit
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Aufruf, betr. eine juryfreie Ausstellung in Berlin
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Vermischter Nachrichtenteil
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0305
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Heft 22.

Die Werkstatt der Kunst.

2ZZ

in Nr. 18 der „w. d. K." Herr Prof. Baer sagt: „Und
eine große Anzahl von diesen Werken hätte wohl niemals
eine ernsthafte Jury überstanden, man hätte höchstens ein
ganz hübsches Lachkabinett daraus zusammenstellen können."
DieseBemerkung legt Zeugnis ab von dem unduldsamen,
wenig liberalen Geist, der leider in der Künstlerschaft herrscht,
und der bei älteren Herren noch unangenehmer berührt.
Line juryfreie Ausstellung kann nur als Ganzes genommen
werden. Ls gab eine Zeit, in der man eine Ausstellung
von Werken Hans Thomas, Feuerbachs und Böcklins auch
als Lachkabinett ansah. Und nach den obigen Aeußerungen
könnte es beinahe scheinen, als ob die Künstler von da-
mals den Auftakt zu diesem höhnenden Gelächter gegeben
hätten, in das dann das Publikum eingefallen ist. So
scheinen auch die Jurys den Auftakt zu geben für die
Meinung, daß beim künstlerischen Schaffen ein Maulkorb
umgehängt werden muß, und daß von verständigen und
Unverständigen unter allen Umständen juriert und kritisiert
werden muß. Hier scheint die juryfreie Ausstellung selbst-
erzieherisch auf die Künstlerschaft zu wirken dadurch, daß
jede Individualität geachtet werden soll.
Lhe ich schließe, möchte ich noch auf jene Aeußerungen
des „Bayr. Kuriers" und auf jene Prof. Grubers zurück-
kommen. Ich habe in der Zersetzung der Künstlerschaft
und der gegenseitigen Befehdung der Künstler die Ursache
dafür gefunden, daß die Künstler und ihr Werk nicht die
nötige Achtung genössen. Die Aeußerungen Prof. Grubers
habe ich nur allgemein als Beispiel angeführt für die Miß-
achtung der Kunst in gewissen Kreisen. Trotzdem ist es
ganz selbstverständlich, daß eine Bewegung, welche den
sozialen, kulturellen und ethischen Wert der Kunst in Frage
stellt, notwendigerweise die Künstler wirtschaftlich schädigen
muß und damit auch die künstlerische Produktion beeinträchtigt.
Ich stimme vollständig mit jener Meinung überein,
daß im Kampfe gegen die öffentliche Unsittlichkeit ein
ernstes Wort am Platze ist. Aber es soll ernst sein. Mit
jenen Sätzen hat Prof. Gruber als deutscher Gelehrter
eine geradezu barbarische Unwissenheit dokumentiert in
bezug auf das Wesen der Kunst, auf historische Kenntnisse,
auf die geistige Entwicklung der Menschheit und besonders
im Hinblick auf das Wesen der Natur. Der ganze Ab-
schnitt über Kunst in jener Broschüre ist schlimmer als
Dilettantismus. Ls ist nicht ersichtlich, wie mit derartigen
nahezu pathologischen Wutausbrüchen der Kunst, der
geistigen Gesundheit und der Moral genützt werden sollte.
Ls gibt nicht nur „geschlechtliche" Moral. Wissen und
Denken sind sicher ein großer Bestandteil der Moral eines
Universitätsprofessors. Wenn er als Jugenderzieher vor
Studenten redet, sollte er doppelt wägen, ob er das Gebiet,
das er vorträgt, geistig beherrscht. Der Zweck heiligt die
Mitte! nicht, und Unzulänglichkeiten werden dadurch nicht
wertvoller, daß sie im Dienste der Moral vorgetragen werden.
Wenn, wie in dem vorliegenden Fall, die Förderung hoher
geistiger Werte der Zweck ist — und hierzu gehört nicht
nur die Moral, sondern auch die Kunst — dann sollte doch
der Gedanke Führer sein, daß das Allerbeste gerade gut
genug wäre.
Jene Sätze sind ein Schulbeispiel dafür, daß diejenigen,

welche von der Kunst fordern, daß sie am Gängelband der
dogmatischen Moral gehen sollte, im nächsten Augenblick
die Kunst über Bord werfen, weil sie jene Forderungen
nicht erfüllen kann. Die Kunst besteht unabhängig von
den Gesetzen der Moral; sie besteht mit der gleichen Not-
wendigkeit wie die Gesetze der Moral. Sie ist nicht ein
Sport, den man tun oder lassen kann, sondern ein Myste-
rium der Natur. Der Künstler aber ist den Gesetzen der
menschlichen Moral ebenso unterworfen wie er den staats-
bürgerlichen Gesetzen unterworfen ist, und er erfüllt die-
selben mit mehr oder weniger Gelingen wie andere Sterb-
liche auch.
Ls ist dem deutschen Volk noch nicht gelungen, die
tiefen sittlichen, erzieherischen und religiösen Werte der
Musik eines Johann Sebastian Bach der Allgemeinheit
nutzbar zu machen. Die meisten Genies sind in Deutsch-
land mit einem Fluch behaftet, vor 23 Jahren starb eines
der größten Genies aller Zeiten, Hans von Maries, ver-
einsamt und ungeachtet in fremdem Land. Solange das
deutsche Volk seine Großen und Ldlen dem Untergang
preisgibt, wundere man sich nicht, wenn das Unkraut in
die Halme schießt.
Wenn deutsche Universitätsprofessoren sich in dieser
Weise in den Dienst der Reaktion stellen, wird uns auch
die Zukunft keine Aenderung bringen, und die deutsche
Kultur wird eine Phrase bleiben.
Das ist die Sorge unserer Zeit!
vaul Kg.enamersr-Solln b. München.
- Aufruf, betr. em e jurykreie -
- Ausstellung in kerlin -
Line Anzahl von Berliner Künstlern ist an die Schrift-
leitung der „Werkstatt der Kunst" herangetreten mit der
Bitte, ihr in unverbindlicher Weise bei den vorbereitenden
und einleitenden Schritten zu einer juryfreien Aunst-
«russtellung in Berlin behilflich zu sein. Die Schrift-
leitung hat sich, ihrem stets unparteilichen Standpunkte
gemäß, hierzu bereit erklärt und erläßt hiermit einen
Aufruf an diejenigen Berliner Künstler, die sich
für eine juryfreie Ausstellung in Berlin interessieren, wie
man der Schriftleitung von zuverlässiger Seite mitteilte,
würde es nicht ausgeschlossen sein, daß das Königlich
preußische Kultusministerium die Westhalle des großen
Ausstellungsgebäudes am Lehrter Bahnhof für
einen solchen Ausstellungsversuch hergäbe, wenn dieser
auch von Künstlern von «Dualität und Ansehen
befürwortet würde. Ls ergeht demnach an die Ber-
liner Künstlerschaft der Aufruf, der Schriftleitung der „Werk-
statt der Kunst" bis zu»n 15. März die Bereitwilligkeit
zur Unterzeichnung einer bezüglichen Petition an das König-
lich Preußische Kultusministerium kuudzutun. Bei ge-
nügender Beteiligung würde dann eine Zusammenkunft der
gleichgesinnten Kollegen zur Beratung des Wortlautes dieser
Petition durch ein provisorisches Komitee veranstaltet werden.
v. V/. O. X.

Vermischter Nachrichten teil.

Geplante Ausstellungen

Berlin, 8. Februar. Das Auswärtige Amt benachrichtigt
uns, daß zufolge neuerer Entschließung der technische Sach-
verständige bei der Kaiserlichen Gesandtschaft in Buenos
Aires, Geh. Baurat Dffermann, auch zum Kommissar
für die deutsche Abteilung der „Internationalen Kunstaus-
stellung in Buenos Aires 1910" bestellt worden ist. Kl
Bern. Die Sektion der „Gesellschaft Schweiz. Maler,
Bildhauer und Architekten" wird auf einem Platz, den die

Stadt zur Verfügung stellt, ein Ausstellungsgebäude er-
richten. K!
Detmold. Die diesjährige Kunstausstellung findet vom
10. September bis 3. Oktober statt. Der späteste Anmelde-
termin ist der io. August. Auch ist gutes Kunstgewerbe
erwünscht. Zuschriften an Bildner Karl Retzlaff-Detmold. K!
Hamburg. Der Deutsche Künstlerbund wird in diesem
Jahre neben der großen Ausstellung, die in Darmstadt von
Mitte Mai bis Mitte Oktober in dem von Joseph Olbrich
geschaffenen Ausstellungsgebäude auf der Mathildenhöhe
stattfindet, noch eine zweite Ausstellung veranstalten.
 
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