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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Kaemmerer, Paul: Die Sorge unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0304

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2Y8

Die Werkstatt der Kunst.

heft 22.

auch zweifeln, ob sie sich überhaupt beweisen läßt. Auf
keinen Fall aber kann man Grubers Wort auf die ge-
wollte weise auslegen, das lediglich ein energischer Protest
ist gegen die immer mehr überhandnehmenden Schäd-
linge, die am innersten Marke unseres Volkes nagen.
Daß aber im Kampfe gegen die öffentliche Unsittlichkeit
ein ernstes Wort wohl am Platze ist, wird kaum jemand
bestreiten, der sich auch nur ein klein wenig im Gegen-
wartsleben umschaut."
Mit dieser Ueberschrist und dem Vorstehenden leitete
der „Bayr. Kurier" in seiner Nummer vom 25. Januar
einen Artikel ein. Ich hatte die Ehre, jene Anträge, welche
sich auf eine beschränkte Iuryfreiheit bezogen, zu begründen.
Obige Darstellung ist in diesem Zusammenhang objektiv
unrichtig, was um so bemerkenswerter ist, als meine Be-
gründung in der Presse totgeschwiegen wurde. Da die
Frage der Iuryfreiheit in diesem geschätzten Blatte zur
Diskussion steht, da außerdem die Frage der Kunst und
Moral merkwürdige Blüten treibt, möge mir gestattet sein,
mich zu äußern und einen Teil meiner Begründung zu
wiederholen.
In meinen Ausführungen ging ich von zwei Sätzen
aus der Kritik d. U. des großen Kant aus. Diese lauten
(tz ^7. vom Ideale der Schönheit): „Ls kann keine objek-
tive Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was
schön sei, geben. Denn alles Urteil aus dieser (Duelle ist
ästhetisch, d. h. das Gefühl des Subjekts, und kein Begriff
eines Objekts ist fein Bestimmungsgrund."
tz H6. Schöne Kunst ist Kunst des Genies:
„Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst
die Regel gibt"; oder: „Genie ist die angeborene Gemüts-
anlage (in ^eninrn), durch welche die Natur der Kunst die
Regel gibt."
Anschließend an diese Sätze sagte ich in kurzem folgen-
des: „In bezug auf das Iurywesen kann man aus dem
ersten Satz sehr wohl die Konsequenz ziehen, daß eine
Jury prinzipiell falsch und widersinnig ist, weil Iurymit-
glieder nur nach ihrem subjektiven Geschmacksempfinden
urteilen können. Man kann aber u priori schließen, daß
eine Jury die größten Mißgriffe machen muß, besonders
bei den genialen Künstlerindividualitäten, welche für die
künstlerische Entwicklung die wertvollsten sind. Diese stellen
sich in Gegensatz zu der herrschenden Geschmacksrichtung,
und es ist unmöglich, daß eine Jury ihrem Werk gerecht
werden könnte.
Böcklin hat sich hierüber zu Marckes folgendermaßen
geäußert: „Man schätzt nur das, was auf gleicher Stufe
mit der eigenen Anschauungsweise steht, was man eben
einsehen kann. Für das, was darüber hinausgeht, fehlt
einem jeder Maßstab" (Schick, Tagebuch).
Es ist also nicht Zufall, sondern eine Notwendigkeit,
welche in dem Wesen des künstlerischen Schaffens begründet
ist, daß gerade die größten Künstler von der Jury am be-
denklichsten geschädigt wurden, und das ganz besonders in
den Jahren, in denen sie gewöhnlich von materiellen Sorgen
bedrängt sind. Beispiele: Thoma, Maries, Böcklin, Feuer-
bach, Leibl, Uhde, Trübner, Millet, Manet usw.
Trotzdem scheint das Iurywesen mehr denn je befestigt
durch den Grundsatz, alles Minderwertige, Dilettantenhaste
auszuschließen und einen möglichst hohen Grad von «Dualität
zu erreichen.
Hand in Hand mit der Entwicklung des Iurywesens ging
die Trennung vor sich, die Secession. Neue Gruppen, Persön-
lichkeiten schlossen sich zusammen, um aus persönlichen oder
kunstpolitischen Gründen unter eigener Jury getrennt auszu-
stellen. Die notwendige Folge davon ist die innere Zer-
setzung der Künstlerschaft und der dadurch bedingte Mangel
an Korpsgeist und Solidaritätsgefühl, welcher heute in
selbstmörderischer weise das Standesbewußtsein der Künstler
untergräbt. Die soziale Bewegung ist deshalb spurlos an
der Künstlerschaft vorübergegangen. Anstatt sich zu einer
Berufsorganisation zusammenzufchließen, leisten sich die
Künstler den Luxus, sich vor den Augen des Publikums
zu befehden und den wert ihrer Werke herunterzusetzen.

Das-Publikum steht diesen Kämpfen ratlos gegenüber und
kauft nur ungern jene Werke, welche von der einen Seite
beschimpft, von der anderen gelobt werden. Diese unglück-
lichen Verhältnisse zwingen eine Reihe von jungen Künstlern,
mit ihrer ehrlichen Künstlerarbeit Prostitution zu treiben.
Die unausbleibliche Folge davon ist eine Mißachtung
und niedrige Bewertung der künstlerischen Produktion und
der Künstler* deren moralischer und staatsbürgerlicher wert
geradezu in Frage gestellt wird.
An einem sehr drastischen Beispiel möchte ich nach-
weisen, wie weit auch in den Kreisen der Gebildeten die
Mißachtung der Kunst fortgeschritten ist. Universitäts-
prosessor Gbermedizinalrat Max von Gruber hat im vorigen
Jahr vor Studenten einen Vortrag gehalten, in dem er
auf die Gefahren unserer Kultur hingewiesen hat. Dieser
Vortrag ist im Druck erschienen unter dem Titel: „Die
Pflicht, gesund zu sein" (Verlag von Ernst Reinhardt-
München). — U. a. sieht der Gelehrte auch in der künstle-
rischen Erziehung die Ursache für die Dekadenz unseres
Volkes, und er kommt schließlich zu folgenden Konsequenzen:
„Weder Kunst noch Literatur sind für die Existenz eines
Volkes unentbehrlich, unentbehrlich ist aber eine gesunde
Jugend! Die Gesamtheit aller Kunstwerke zusammen-
genommen ist nicht soviel wert als die Gesundheit unseres
Nachwuchses. Lin Bildersturm, der das Höchste und Edelste,
das die Kunst je hervorgebracht hat, mit zerstören würde,
wäre immerhin noch bester als das Ertrinken im Sumpf
der Dekadenz!
Denn ein gesunder Nachwuchs wird immer wieder
einmal dazu kommen, hohe Kunst neu aus sich heraus zu
schöpfen ....!"
Ueber den geistigen wert dieser paradoxen Auslassungen
brauche ich hier kein Wort zu verlieren. Es ist aber er-
staunlich und zu bedauern, daß ein Universitätsxrofeffor
hier in München, wo ein hochsinniger Fürst und König
— Ludwig I. — unschätzbare Traditionen für die Kunst
geschaffen hat, mit solch hochtönenden und doch nichtssagen-
den Worten blendet, wenn ich Ihnen ferner sage, daß der
Gelehrte ein Zitat von Schiller zugunsten seiner Argumen-
tation in unrichtiger weise anwendet, wie dies von Or.
Kutscher in einer Broschüre: „Die Kunst und unser Leben"
(Verlag von Max Steinbach-München) nachgewiesen wurde,
so möge Ihnen dies beweisen, mit welchen Mitteln heute
gegen die Kunst mobil gemacht wird.
Dieser Bedrängnis von außen steht die Künstlerschaft
in dem schweren wirtschaftlichen Kampf innerlich zerfetzt
gegenüber. Line Hauptursache dieser Zersetzung sehen wir
in dem Iurywesen, das den jungen ehrlichen Künstler bei
seinem ersten Schritt in die Veffentlichkeit mit Haß und
Bitterkeit erfüllt gegen Kollegen und gegen ein System,
das niemals den Produkten des künstlerischen Schaffens
gerecht werden kann. Der junge Künstler hat also zunächst
zu wählen zwischen seiner Individualität oder dem An-
passen an den bestehenden Geschmack. Aber für viele und
gerade für die Feinsten heißt „künstlerische Ehre verloren
— alles verloren". Und mancher von den wertvollsten geht
in diesem Kampf unter.
Hier folgte noch der Hinweis auf die volkswirtschaft-
liche Bedeutung der künstlerischen Produktion und auf die
Notwendigkeit, einen weg zu finden, der dem höchsten wert
der künstlerischen Produktion besser Rechnung trägt: der
Individualität!
Dann kam der Appell an die Vorstandschaft des „Kunst-
vereins", sich unabhängig zu stellen von den bestehenden
Künstlergesellschaften, d. h. kunstpolitisch neutral, um da-
durch ein Einigungswerk in der Künstlerschaft anzubahnen.
Zum Schluß teilte ich eine Aeußerung Lenbachs mit,
welche ein mir bekannter Herr noch aus feinem Munde
gehört hatte, und welche dahin lautete, daß man jedem
Künstler gestatten müßte, sein Werk vor die Geffentlichkeit
zu bringen, wenn der Glasxalast groß genug wäre.
Im Anschluß hieran möchte ich mir einige kurze Be-
merkungen erlauben zu dem Artikel des Herrn Prof. Baer
 
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