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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Geber und Nehmer der Kunstbildung, 2
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heft

Die Werkstatt der Kunst.

§5

Geber unct Debmer
cler Runslbilclung. II

Zu der interessanten Anregung — eigentlich ist es weit
mehr als eine solche —, die Or. Ls. Schmidkunz in Heft H6
der „w. d. K." gibt, überhaupt Stellung zu nehmen, fällt
schwer.
Line eingehende Behandlung würde unbedingt zum
Schlüsse die Notwendigkeit ergeben, die jetzt geübten Unter-
richtsformen von Grund aus zu ändern.
Diese Formen sind großenteils erstarrt, verknöchert,
stellenweise auch wohl morsch, aber sie werden für das Maß-
gebendste angesehen, sie werden gehalten, man wagt nicht
daran zu rühren und Neues wird darum ost sinnlos in sie
hineingezwängt. —
Bei jeder Reform, bei jeder Verbesserung werden sorg-
sam sie zuerst befragt — und sie sind es, die stets ausschlag-
gebend bleiben, auch dann, wenn sie von geringer Be-
deutung — auch dort, wo sie leicht durch eine andere ersetzt
werden könnten.
Sich mit ihnen vertraut machen, sich ihnen fügen,
nimmt auch dem Besten ein gut Stück feiner Betätigungs-
freude — fo daß ihm wenig mehr für die eigentliche Be-
tätigung bleibt. —
Ich weiß nicht, ob Or. H. Sch., indem er durch „Geber"
und „Nehmer" die weitesten Begriffe schafft, sich bewußt
war, daß er damit auch in dieser Beziehung etwas Vor-
zügliches beabsichtigt — daß er damit all die Summe kleiner
Formen — Lehrer, Lehrender, Meister, Schüler usw. — auf-
lösen will — ein Revolutionär wird — der all das Kleine,
Beengende um des Großen, Umfassenden willen beseitigt.
— was ja natürlich mit einem Schlage nicht geschehen
könnte, kaum geschehen dürste — abgesehen davon, daß
wenige nur diese Nötigung erkennen, sie zugeben würden.
Dieser weiteste von Herrn vr. H. Sch. angeregte Be-
griff (ein höchstes Ideal) kann leicht derart gedeutet werden,
daß jeder „Geber" auch „Nehmer" und jeder „Nehmer"
auch „Geber" sein kann, ja sein müßte, um der Sache
wirklich zu dienen.
wir kennen nicht den pädagogischen roten Faden, der
allein den sicheren weg weisen könnte. Sein Besitz wird
heute, wenn auch noch nicht allgemein, so doch schon viel-
fältig als unbedingte Notwendigkeit empfunden, um endlich
System in die verworrene — sagen wir Kunsterziehung —
bringen zu können. Hierzu ist die von Or. H. Sch. ange-
regte und gewünschte historisch zusammenhängende Ge-
schichte eine unerläßliche Vorarbeit — die logischerweise
von den staatlichen Behörden mit allen Mitteln unterstützt
und durchgesührt werden müßte.
Eine solche historische Basis ist in unserer gärenden
Zeit, die zufolge ihrer Schnellebigkeit rücksichtslos Begriffe
umwälzt und neu schafft und leicht gewillt ist, auch Gutes
und wertvolles zu vernichten, Traditionen abzuschneiden,
von um so größerem werte, als sie einen sicheren Rückhalt,
klare Erkenntnis und jene Vergleichsmomente ergibt, aus
denen unzweideutige Schlüsse gezogen werden können.
Die Kunst als die — wenn ich so sagen darf — menschlich
höchste Hervorbringung, als Lmpfindungsgabe, bleibt im
Wesen doch immer gleich. — weil aber Emxfindungssache
— werden einer Geschichte der Kunstbildung sicherlich
Rassen resp. Nationen den weg weisen. — Jedenfalls
müßte aber das Studium weit zurückgreisen, schon bei der
Kindererziehung dem primitiven Unterrichten im Zeichnen,
Sehenlernen usw. Aufmerksamkeit geschenkt werden — bis
hinauf zum Höchsten, um den logischen Zusammenhang zu
finden — das Primäre, wertvollste festlegen zu können.
Da würde sich denn auch zeigen, wie leichtfertig das
Lehren, oder um mit Or. H. Sch. bester zu sagen, das Geben
und Nehmen der Kunstbildung in vielen Bereichen geübt
worden ist und geübt wird.
Die ganze Kette müßte aufrollen — Glied um Glied,
vom ursprünglichen Kinderlehren bis zu oberst — wie eines

in das andere greift — es müßte sich zeigen, wie die einzelnen
Spezialzweige gebildet werden, wie z. B. etwa Handwerker-
fchulen Ausgangspunkte für höhere gewerbliche, ja felbst
kunstgewerbliche Bildung sein können oder sollen, denen sich
dann einerseits Lehr- und Lernstätten anschließen, die das
rein Technische fördern, andererseits solche mit rein künstle-
rischen Tendenzen und dann jene, die wissenschaftlichen End-
zweck haben. — Jedenfalls müßte ein lebhafter Kontakt
zwischen den einzelnen Disziplinen bestehen und Uebergänge
möglich sein.
Line erste dringende Forderung, die ja, wenn auch noch
nicht vollkommen klar und allgemein, doch schon vielfältig
gestellt wird, ist: Der Jugend Gelegenheit zu geben, sehen
zu lernen und als Folge, sich die Fertigkeit aneignen zu
können, freihändig Darstellungen hervorbringen zu können
(freies Zeichnen, Malen oder Modellieren). Diese Forderung,
deren Erfüllung verhältnismäßig wichtiger und wertvoller
für das Leben ist, müßte vorerst gestellt und deren sinnge-
mäße Erfüllung kategorisch verlangt werden.
wenn zur sogenannten allgemeinen Bildung Kenntnis
von Geographie, Geschichte usw. gefordert wird, so sollte
um so mehr erkannt werden, daß gutes Sehen, freies Zeichnen-
können für das praktische Leben eine Notwendigkeit ist. —
Heute wird, ganz abgesehen davon, daß „Sehenlehren"
noch nicht existiert, der Unterricht im Zeichnen, wenn auch
schon vielfältig wesentlich besser, in den Schulen doch meist
noch ohne praktischen Endzweck, ungefähr wie bei fremden
Sprachen, vorgenommen, die in der Schule fast nie so ge-
lehrt werden, daß eine praktische Nutzanwendung daraus
resultiert.
welches bedeutsame Hilfsmittel ist aber gerade das
Zeichnen, wenn es sich um Verständigung handelt. — wie
oft ist mit wenig Strichen mehr gesagt und zum Ausdruck
gebracht, als mit vielen umständlichen Worten — auch
dann noch, wenn die Sprache ganz versagt. —
vom gutenSehen, und zwar nur vom guten Sehen,
führt der weg zum „schönen Sehen". Nur von der all-
gemeinen primitiven Darstellungsmöglichkeit führt der weg
durch alle Zwischenstufen zur höchst verfeinerten, zur Akademie,
d. h. zur Stelle, wo höchste praktische Betätigung, dann
aber auch zur Hochschule, wo höchste theoretische Betätigung
gelehrt wird.
Ls hat sich in unserer Zeit — ganz im Gegensätze zu
jener der Kunsthochblüte — gezeigt, daß sehr große Meister
selten gute Lehrer sind — der Schüler persönliche Note
nicht förderten, ja oft sogar zerstörten, warum wohl?
woran liegt die Schuld? An der zu starken Individualität
des Meisters oder an der zu leichten Aufnahmsfähigkeit
der Schüler? Jedenfalls sind die allgemein üblichen und
gebräuchlichen Antworten, welche auf diese Fragen gegeben
werden, weder zutreffend noch erschöpfend, jedenfalls lasten
sie unentschieden, was vorteilhafter ist: Der „Professor" als
hervorragender „Schöpfer" oder als hervorragender „Lehrer"
(Geber).
Denn daß eine Vereinigung beider Eigenschaften zu
den größten Seltenheiten gehört, ist für unsere heutige Zeit
als gegebene Tatsache anzusehen. —
Der Meister im Sinne des „Könnens" muß sich wohl
reichlich betätigt haben, ehe er den Lehrstuhl erreicht
— aber er wird, und das ist das sonderbare, in keiner
weise gefragt, ob er auch die Eignung als Vortragender,
als Gebender, die Eignung als Erklärer, als Weiser hat.
Daß er sich selber daraufhin prüfe, wie auch, ob er wirk-
lich Lust und Hingabe in sich trägt — wollen wir uner-
örtert lasten. — Gerade aber diese Eignung ist heute, da
die Meisterschule im Sinne bestimmter Tradition nicht nur
nicht mehr existiert, sondern geradezu verpönt und als gänz-
lich überwunden angesehen wird —von erhöhter Bedeutung
— vielleicht sogar noch bedeutungsvoller als das „Können",
die schöpferische Tätigkeit.
So käme man auf dem weg über dem „pädagogischen
in der Kunsterziehung" — vielleicht zur Erkenntnis, daß der
gute Professor weniger eine hohe persönliche Note, eine
starke Individualität sein müsse — als vielmehr ein pä-
 
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