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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Muther, Richard: Feuerbach, v. Marées und Böcklin
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Heft 8.

Die Werkstatt der Kunst.

feuerback, v. Warees uncl köcklin*)

von Richard Mut her.
Drei Meister hat man an die Spitze der neuen Aera
zu stellen und, obwohl sie den größten Teil ihres Lebens
außerhalb der deutschen Grenzen verbrachten, zu den Kory-
phäen der deutschen Kunst zu rechnen: Anselm Feuerbach,
Hans von Maries und Arnold Böcklin.
Anselm Feuerbachs Schaffen war bekanntlich eine
Kette von großen Plänen und getäuschten Hoffnungen.
Nur der erste Teil seines Lebens handelt von Sonne und
Glück. Er schien, als er in die Welt hinaustrat, bestimmt,
die Fülle aller Lrdengüter zu genießen. Liner Familie von
Aristokraten des Geistes entstammte er, einem Hause, das
mehrere Generationen hindurch der Welt auf den verschie-
densten Gebieten ausgezeichnete Männer schenkte. Seine
Mutter starb zwar bald, doch er fand eine neue in seiner
Stiefmutter, jenem außerordentlichen, geistig hochstehendem
Weibe, von dem man nur mit Verwunderung liest, daß sie
nichtFeuerbachs wirkliche Mutter gewesen. Griechische Götter-
und Heroengestalten umschwebten ihn, wenn er abends die
Augen schloß. Denn sein Vater, der Verfasser des vati-
kanischen Apollo, hatte ihm vor dem Schlafengehen die
(Odyssee im Urtext vorgelesen und „in seiner plastisch weichen
Art" ins Deutsche übersetzt. Eine Sammlung von Stichen
und Gipsabgüssen, die der feinsinnige Archäolog ans Ita-
lien mitgebracht hatte, gab der Phantasie des Knaben
weitere Nahrung. Als er, ;o Jahre alt, den Wunsch
äußerte, Naler werden zu wollen, begegnete er keinem
widerstand. Er bekam eine Raffaelmütze geschenkt und
wurde als Wunderkind angestaunt, wenn er seine Schul-
hefte mit Zeichnungen füllte. „Brennend vor Eifer in der
Sehnsucht nach einem unbekannten Ziel, glückselig in all
den Illusionen, die bisher seine Welt vergoldet", hielt er
(8H5 in der Düsseldorfer Akademie seinen Einzug. Scha-
dow, der allmächtige, hätschelte ihn. Die Professorenfrauen
schwärmten für den kleinen van Dyck. Als er bald darauf
von Düsseldorf nach München übersiedelte, drang selbst ins
Ausland die Kunde, ein Wunder von Talent namens Feuer-
bach sei in der Isarstadt aufgetaucht. Geistreich und schön,
mit dunklen feurigen Augen und schwarzen Locken, war
er der Held aller Künstlerfeste, bestrickte er alle Damen,
wenn er als Bacchus, einen Kranz wilder Reben auf dem
Kopf, sich im Tanze drehte. Auf diese ersten Semester
studentischen Müßigganges folgte die Zeit des wanderns,
der Arbeit. Das Jahr ;850 sieht ihn „heiter und fleißig"
in Antwerpen bei wappers; das darauffolgende des Staats-
streiches in Paris bei Eouture. Die Franzosen als erster
aufgesucht zu haben, nahm er später gern als sein persön-
liches Verdienst in Anspruch. Und wieder ein Jahr später,
nachdem er die berühmtesten Meisterateliers diesseits der
Alpen durchlaufen hatte, machte er mit Viktor Scheffel sich
nach Italien auf — „nach Italien in einer Stimmung von
Glücksgefühl, wie es nur eine junge stürmische Malerseele
empfinden kann". Sie durchstreifen zusammen die vene-
zianischen Kirchen und betrachten staunend die alten Bilder:
„Dunkle Madonnen, in schöner Architektur sitzend, umgeben
von ernsten Männern und schönen Frauen in heiliger Unter-
redung. Immer sind drei Engelchen darunter mit Geigen
und Flöten. Ich finde, daß damit alles gesagt ist, was
man braucht, um schön zu leben." Sie wohnen am Meere:
„Zahllose Schiffe wiegen sich vor unseren Fenstern. Inseln
mit Kuppeln glänzen im Sonnenschein. Gondeln liegen

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da. wir steigen ein. Geräuschlos taucht Palast nach Palast
auf und verschwindet, wir kommen in Seitenkanäle, eng,
schwarz — in dieser Stadt der Toten will ich Lebendiges
schaffen."
wirklich verdanken seine ersten bedeutenden Werke
venezianischen Eindrücken ihr Dasein: schöne lustwandelnde
Frauen, gekrönte Dichter, im Hintergrund rauschende Fon-
tänen, ernste Lorbeerhaine und weiße Marmorsäulen. „In
Venedig", schreibt er, „verkündigte sich das Tagesgrauen,
in Florenz brach die Morgenröte herein, in Rom aber voll-
zog sich das Wunder, das man eine vollkommene Seelen-
wandlung und Erleuchtung nennen kann — eine (Dffen-
barung." Gleich winckelmann pflegte Feuerbach von seiner
Ankunft in Rom den Beginn feines Lebens zu datieren.
„Ich war verzaubert und wußte die Formel nicht", hatte
sein Vater geschrieben, als er zo Jahre vorher römischen
Boden betrat. „Ich, Feuerbach, der Sohn, ich werde sie
finden." In der Sixtinischen Kapelle und den Stanzen des
Vatikan verlebt er glückliche Stunden stiller Betrachtung.
Ganze Tage verbringt er in der Villa d'Este mit ihren
mächtigen Zypressen, ihren rieselnden Wasserfällen und
den blinkenden Marmorbildern, die feierlich aus dunklen
Lorbeergängen hervorschimmern. Er sieht in Tivoli die
Frauen und Mädchen daherschreiten, hohe Steinkrüge auf
dem Haupte — Bilder homerischer Poesie. Er findet Nana.
In der via Tritone, der Straße, die von der Piazza Bar-
berini nach Feuerbachs Werkstatt führte, stand eines Tages
eine junge Frau, etwa Mitte der 30 er, eine hohe herbe
Erscheinung, mit ihrem Kind im Arm, am offenen Fenster.
Line hohe Last dunkler Haare umrahmte die strengen, ernst
melancholischen, echt römischen Züge. Lin Wesen gleich
denen, die er aus den Bildern des Sebastiano del piombo
kannte, trat ihm leibhaftig entgegen. Dieses Weib hat
sieben Jahre lang seine Kunst und sein Leben beherrscht.
Bald drapiert er sie als Griechin: „Du solltest nur die
hohe, ehrfurchtgebietende Gestalt in den antiken Gewändern
sehen. Ich bin das erstemal erschrocken zurückgewichen,
weil ich glaubte, eine Statue des phidias vor mir zu haben."
Bald malt er sie als Madonna mit dem Kind auf dem
Arm, bald als Sibylle mit dunklem Laubkranz im Haar.
Die Wandlung seiner Anschauung auf das stilvoll Große
knüpft unmittelbar an Nanas Erscheinung an. Hehre Ge-
stalten, die bis dahin traumhaft feine Seele bewegt hatten,
dringen aus dem Dämmer hervor und fordern Leben. Die
Iphigenie und die Pieta, die Medea und die Amazonen-
schlacht nehmen Gestalt an.
Aber als sie nach Deutschland zur Ausstellung kamen,
verstand sie kein Mensch, wie Goethe nach der Rückkehr
von seiner italienischen Reise mißmutig klagte, das Publi-
kum lese ihn nicht mehr und seine Iphigenie liege wie
Blei in den Buchläden, war Feuerbach in Rom seinen
Landsleuten ein Fremder geworden. Die Berufung als
Professor an die Wiener Akademie ^873 schien einen äußer-
lichen Erfolg zu bedeuten. Er war seiner wirtschaftlichen
Sorgen enthoben, erhielt Staatsaufträge, wie er nie sie
gehofft hatte. Doch bald waren auch diese Hoffnungen
zunichte. „Nahezu Jahre in Rom, dem ruhigen, stillen,
für ideale Schöpfungen fruchtreichsten Boden; in Einsam-
keit und unumschränkter Freiheit, fern vom Tagestreiben
des modernen Lebens, den Kopf erfüllt von Götterbildern
und poetischen Kombinationen — und nun plötzlich in die
bunteste, bewegteste der modernen Weltstädte gestürzt, nicht
als harmloser genußfähiger Zuschauer, sondern als Beamter,
fremd, unerfahren, mit einem ungeduldigen, leicht verletz-
lichen Naturell begabt." Durch die Amazonenschlacht hatte
er gehofft, sich Freunde zu erwerben. Doch ihre Ausstellung
bedeutete das Fiasko seiner Kunst. Auch seine Lehrtätigkeit
langweilte ihn, und der nordische Winter war ihm unbe-
quem. Unter dem Druck trüber Stimmung nur noch hin-
vegetierend, verließ er die Donaustadt und ging ;877 nach
Venedig. Das Konzert der Berliner Nationalgalerie war
das letzte Bild, an das er die Hand legte. Als sein Titanen-
sturz, das Deckenbild der Wiener Akademie, an seinem Be-
stimmungsort ankam, war des Künstlers Erdenwallen schon
 
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