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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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D.W.D.K.: Woher das Künstler-Proletariat?
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408

Die Werkstatt der Kunst.

Heft 30.

ermäßigte Jahreskarte zu ^.50 Mk.:
Gurlitts Kunstsalon, Berlin 35, Potsdamerstr.
(Eintritt 50 pfg. statt t Mk.),
Secessions- Kunstausstellungen, Berlirr t 5, Rurfürsten-
damm 208/209 (Dauerkarte zu t Mk.).
Der Vorstand.
I. A.: Helens I^adeäun, Schriftführerin.

Redaktions-Telephon.
Die Redaktion der „Werkstatt der Kunst" kann auch
telephonisch, am besten vormittags, unter: Amt Zehlen-
dorf Nr. ^053 angerufen werden.

Schluß des amtlichen Teils.

Moder clas Künstler-Proletariat?

Am H6. April eröffnete Prof. Max Liebermann
die Ausstellung der Berliner Secession mit folgender
Ansprache:
„wiederum ist es mir vergönnt, Sie von dieser Stelle
zu begrüßen und Ihnen im Namen der .Berliner Secession'
zu danken für das rege Interesse, welches Sie uns bewahrt
haben, wie Ihr zahlreiches Erscheinen beweist.
Das verflossene Jahr brachte uns eine Anerkennung,
die uns mit besonderem Danke und lebhafter Befriedigung
erfüllte. Die Stadtverwaltungen von Berlin und Lhar-
lottenburg stifteten namhafte Preise, die an die Urheber
der verheißungsvollsten Werke auf unseren Ausstellungen
alljährlich verteilt werden sollen, wir können es uns nicht
versagen, den Körperschaften beider Städte für ihre Libe-
ralität unseren wärmsten Dank auszusprechen.
Neben diesem schönen äußeren Erfolge brachte uns
das abgelaufene Jahr innere Kämpfe, die, wenn auch
beigelegt, doch einen Zwiespalt in unserer Mitte doku-
mentieren.
Ls ist nur natürlich, daß das Alter der Jugend Platz
macht, und es wäre töricht, wenn sich ältere über das viel-
leicht zu temperamentvolle Anstürmen ihrer jüngeren Kol-
legen beklagen wollten. Aber eine offene Aussprache scheint
mir geboten.
f-K Mit Recht hießen die früheren Berliner Kunstaus-
stellungen .Akademische Kunstausstellungen'. Sie wurden
nicht nur von der Akademie geleitet, sondern bei der Zu-
lassung der Werke war die akademische Korrektheit das
Ausschlaggebende. Die Erkenntnis, daß dieser Grundsatz
nicht ausreichend sei, hat wesentlich zur Gründung der
Secession geführt. In unseren Ausstellungen sollte bei der
Auswahl neben der akademischen Korrektheit, die sich von
selbst versteht, das Gewicht auf den künstlerischen Gehalt
des Werkes gelegt werden. Aber da der künstlerische Ge-
halt eines Kunstwerkes sich nicht beweisen, sondern nur
empfinden läßt, war die Ausstellungsleitung vor
die beinahe unlösbare Aufgabe gestellt, nach sub-
jektiven Empfinden eine objektiv gerechte Auswahl zu
treffen. Ls ist klar, daß die Auswahl desto subjektiver fein
wird, je gewissenhafter jeder Juror nach seinem Empfinden
urteilt, und es ist ebenso klar, daß der Teil unserer Kol-
legen, deren Werke keine Aufnahme fanden, als auch der
Teil des Publikums, der mit der Auswahl der Kunstwerke
nicht einverstanden war, sich gleicherweise über die Un-
gerechtigkeit der Jury beklagten.
Die logische Konsequenz würde zu juryfreien Aus-
stellungen führen, wie es deren eine in Paris im Salon
des Independants gibt, und wie eine solche Berlin in
absehbarer Zeit haben wird. Aber mir scheinen jury-
freie Ausstellungen für Berlin noch weniger am Platze als
für Paris, wo — es mag beschämend sein, aber es muß
aesagt werden — die Vorbildung für den künstlerischen
Beruf besser ist als bei uns. Auch ist in Frankreich die
künstlerische Tradition lebendiger, wie wir das erst in diesen
Tagen bei der Vorführung des Werkes Manets staunend
sehen konnten.
Für die Berliner Secession hießen juryfreie Aus-
stellungen das Aufgeben ihrer Prinzipien: wir haben
uns gegründet im Gegensatz zu den großen Ausstellungen,
und natürlich verlangt eine räumlich begrenzte Ausstellung
eine besonders strenge Sichtung der auszustellenden Werke.
Es ist ebenso natürlich, daß jede Ausstellungsleitung nur

das relativ Beste ausstellen will — die Schwierigkeit liegt
eben darin zu unterscheiden, was das Beste ist.
Line Ausstellungsleitung kann nur das Niveau der
Kunstleistung heben wollen. Dem Genie gegenüber sind
wir Irrtümern um so mehr ausgesetzt, als das Uebermaß
seiner Phantasie und sein überquellendes Temperament
leicht die Schranken der bis dahin geltenden Gesetze über-
springen. Aber die Gesetze darf nur überspringen,
wer sie überwunden hat, wer an die Stelle der alten
neue Gesetze aufzustellen die Kraft besitzt.
wir wissen, daß die Rousseau, die Millet und die
Manet vom Salon refüsiert wurden, und ich fürchte, daß
es den deutschen Millets und Manets in Berlin und
München, sogar bei den Sccessionen, nicht besser erginge
als ihren französischen Kollegen. Aber Millet und Manet
waren Genies, die ihrer Zeit voraus waren: wir kommen
wohl nur selten in die Lage, uns zu täuschen, weil
ja die Genies bekanntlich dünn gesät sind.
Das Genie braucht nicht uns — wir brauchen das
Genie, von dessen Reichtum Jahrhunderte zehren. Aber
das Talent können wir fördern.
In Zeiten gesunder Entwickelung beginnen alle Künstler
am selben Ende, das heißt mit der Erwerbung aller vor-
handenen technischen und künstlerischen Ausdrucksmittel.
Die Talente bleiben bei dem stehen, was sie gelernt haben,
ohne Wesentliches hinzuzutun, aber das Genie fängt erst
an, wo die Talente aufhören: Ls steckt die Grenzen dec
Kunst weiter hinaus, indem es ihre Ausdrucksmittel ver-
mehrt.
Unsere Zeit ist trotz aller staatlichen und privaten
Unterstützung nicht kunstförderlich, weil der Gang der künstle-
rischen Entwickelung heutzutage umgekehrt erfolgt: der
junge Künstler versucht da zu beginnen, wo das
Genie aufhört; anstatt sich zuerst in den Besitz aller
vorhandenen Ausdrucksmittel zu fetzen, will er von vorn-
herein neue schaffen. Das hat zu einem verfall der
absolut notwendigen handwerklichen Grundlagen
geführt.
Das Existenzrecht der .Berliner Secession' erhält da-
durch eine neue Begründung: wir wollen uns wieder auf
die handwerkliche Grundlage besinnen, auf die Grundlage
aller Kunst.
wie Saul, der Sohn Kis', auszog, um die Eselinnen
feines Vaters zu suchen, und ein Königreich fand, so wird
der Künstler, der so gut wie er vermag seinem
Handwerk obliegt, zur Kunst gelangen — wenn er ein
Auserwählter des Herrn ist."
Ls schien so, als ob Herr Liebermann auf die
in unserem Blatte wiederholt erwogene „Iuryfreie
Ausstellung in Berlin" anspiele, doch hat ihm wohl
eher die Absicht der in diesem Jahre zurückge-
wiesenen Künstler, sich zu einem Verbände „Ketuses
der Secession zusammenzuschließen und
gemeinsam auszustellen, (vergl. unter „Geplante Aus-
stellungen". — Red.) Veranlassung zu seinen be-
merkenswerten Ausführungen gegeben.
In der „Berliner Secession" wurden übrigens in
diesem Jahre 3000 Bilder juriert, wovon nur rund
lsO^/o ausgestellt werden konnten. In der „Großen
 
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