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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Rosenbaum, Julius: Kann dem bildenden Künstler eine ständige Erwerbsquelle geschaffen werden?
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0610

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60-Die Werkstatt der Kunst. Heft
Rann dem bildenden Künstler eine ständige Erwerbsquelle geschaffen werden?

Die bildende Künstlerschaft ist wohl diejenige Körper-
schaft, die sich am allerwenigsten mit der materiellen Hebung
des Standes beschäftigt. Die großen Enttäuschungen, die
den Künstler nach den begeisterten Studienjahren begleiten,
mögen wohl die Energie lähmen und ihn darin hindern,
auch für seinen Erwerb eine Lanze zu brechen; die meisten
sagen sich, es wird und es war nie anders, die Künstler-
schaft ist ein Märtyrertum, wenn andere Berufe ebenso
gedacht hätten, dann wären sie wohl kaum auf einen
grünen Zweig gelangt. Man sieht, was die Arbeiter-
schaft, die Volksschullehrer, die jungen Kaufleute usw.
durch Zusammenschluß erreicht haben, und fragt sich un-
willkürlich: ist es denn für die bildende Kunst eine Un-
möglichkeit, diesem Beispiele zu folgen? Ls ist einfach
unerklärlich, wie wenig praktisch und ökonomisch der deutsche
Künstler denkt. Sein ganzes Streben geht dahin, ein Bild
in irgendeiner Ausstellung zu haben. Kann das als stän-
dige Erwerbsquelle angesehen werden? Dem jungen
Künstler ist es heute fast unmöglich, ohne Protektion in
eine Ausstellung zu gelangen. Das ist einfach fehr ver-
ständlich, da sich die Alten ihre mühsam eroberte Posi-
tion nicht nehmen lassen wollen, da es für sie, die sich
ganz in den Vordergrund stellen, schon eine Erwerbsquelle
bedeuten kann. Für den jungen Künstler hat die Aus-
stellung fast gar keinen Zweck; einmal im Jahre hat er
Gelegenheit dazu, und wenn das Glück günstig ist, kann
er auch in einem Kunstsalon ausstellen. Aber wird er
auch soviel verkaufen, daß er davon leben kann? Wohl
in den meisten Fällen nichtl Mit dem Ausstellungswesen
in der heutigen Art befindet sich die Künstlerschaft auf
sehr schiefer Bahn; nicht nur die Speicher mit den
zurückgewiesenen Bildern zeugen davon, sondern auch die
Ausstellungen selbst. Der Aufwand an Mühe und Arbeit
steht in keinem Verhältnis mehr zu den materiellen Erfolgen.
Nur sehr wenige haben es nicht nötig, zu verkaufen, die
meisten werden aber damit sehr rechnen müssen, aber ver-
gebens. Wer eigentlich von den Ausstellungen irgendeinen
Erfolg für die Masse der Künstler erhofft, den möchte ich
gerne sehen. Die Kauflust des Publikums wird auch nicht an-
geregt, denn die meisten Bürger kaufen, wenn sie ein Werk
haben wollen, irgendeinen Kitsch in einem billigen Laden.
In Erinnerung dürfte wohl auch noch sein, daß vor einiger
Zeit das Marineministerium einige Porträts bei dem „Hof-
maler" Fischer in der Passage unter den Linden bestellte.
Außer für die Ausstellungsmacher bedeuten die Ausstellungen
also für keinen Künstler eine Erwerbsquelle. Der ein-
zige Weg, auf dem sich die meisten Künstler Aufträge
verschaffen, ist wohl der gesellschaftliche. Hier ist es einigen
noch möglich, sich durchzuschlagen, aber diese Aufträge sind
doch meistens Unterstützungen besserer Art, da wohl
kaum ein Mensch sich ein Werk von selbst kaufen würde.
Die Künstler, die sich durch Gesellschaften Aufträge ver-
schaffen, empfinden wohl oft genug das Demütigende
einer solchen Lrwerbsart und wundern sich manchmal, daß
auch in den gebildetsten Kreisen eine geradezu grenzenlose
Unkenntnis über Kunst vorherrscht. Auch hier ist wieder
die Künstlerschaft untätig und überläßt die Aufklärung
anderen, anstatt sie selbst in die Hand zu nehmen, wie es
andere Berufsarten machen. Es ist unerklärlich, wie die
deutsche Künstlerschaft der verheerenden Wirkung der sog.
Porträtfabriken zusehen kann, ohne einzuschreiten. Juristen,
Aerzte, Zahnärzte, alle tun sie ihr möglichstes, um die
Pfuscher zu bekämpfen; der Erfolg ist nicht ausgeblieben.
Hin und wieder wird auch versucht aus Künstlerkreisen,
kleine Pflästerchen auf die Wunde zu legen. So lesen wir im
Vorwort des „Secessions"-Kataloges der Schwarz-Weiß-Aus-
stellung t^oy/lo: „Es ist eine leider nicht zu leugnende Tat-
sache, daß unendlich viel mehr Bilder gemalt als gekauft
werden. Es muß daher, zumal dem jungen Künstler, eine
andere Möglichkeit auf Erwerb aus seiner Kunst geboten
werden. Und diese Möglichkeit gibt vor allem die Graphik:
sie ist als Illustration für die unzähligen täglich erscheinen-

den Zeitschriften und Bücher ein Bedürfnis. Die Illustration
wird verlangt, während das Oelbild leider immer
mehr zum Luxusartikel geworden ist." Der letzte
Satz ist eigentlich ein Verdammnisurteil für die Aus-
stellungen. welchen Zweck sollen sie denn erfüllen?
wenn jemand seinen Geschmack bilden will, kann er es in
den Galerien auch tun, und die Künstler brauchen nicht
ihr Letztes herzugeben, um — der Lorbeeren wegen — aus-
zustellen. Ueber die Graphik als Erwerb ist der Verfasser
des Vorwortes scheinbar nicht sehr unterrichtet. Sämt-
liche Zeitschriften haben ihre festen Zeichner; ein Blick
hinein und man wird überzeugt, daß jahrelang derselbe
Stab von Zeichnern tätig ist. Diejenigen, die hin und
wieder eine Zeichnung anbringen, werden so jämmerlich
bezahlt, daß von einem Erwerbe keine Rede sein kann.
Die Plakatfabriken und kunstgewerblichen Institute haben
feste Zeichner, und die eingesandten Probearbeiten werden
sehr häufig nur als Anregungen von diesen Fabriken aus-
gebeutet. wenn nun von verschiedenen Seiten den deut-
schen Künstlern die englischen und amerikanischen Illu-
stratoren als Vorbild gezeigt werden, ist es für sie sehr
ehrend, daß sie solche Vorbilder ablehnen, die ihre Zeich-
nungen einfach nach Photographien vergrößern. Diese
Art Illustrationen wird aber verlangt und nicht die
künstlerische. Menzel wäre sicherlich verhungert, wenn er
heute sich mit Illustrationen ernähren sollte. Der Redakteur
hätte sie mit dem Worte „nicht schön genug" zurück-
gewiesen. Die plumpe Genauigkeit jener Illustrationen
geht aber gegen jedes künstlerische Empfinden. Daher
möge sich bei den illustrierten Zeitungen — Gott sei
Dank — ein Mangel an Zeichnern einstellen, von ein-
zelnen Fällen abgesehen, kann die Graphik als Erwerbs-
quelle nicht angesehen werden. (Wir sind nicht der gleichen
Ansicht des Herrn Verfassers, weil wir in dem jetzt erst
recht erwachenden Bedürfnis des Kaufmannsstandes nach
geschmackvollen Drucksachen usw. den Schlüssel zu einem
großen Absatzgebiet für künstlerische Erzeugnisse erblicken.
Red.) Dann ist auch nur die Großstadt ein Feld für
den Künstler, Mittelstädte und die Kleinstadt kommen
gar nicht in Betracht. — Auch ist der Unterricht nur für
ganz wenige eine Erwerbsquelle, die wohl nicht zu den
angenehmsten Erscheinungen gehört. Die Unternehmer von
Privat-Malschulen verdienen in den wenigsten Fällen ihre
Auslagen und müssen noch dazu jeden aufnehmen. — Jeder
Künstler hat alles an seinem eigenen Leibe erlebt, was
ich hier erzähle, und schickt trotzdem und immer wieder
seine Bilder in die Ausstellungen, anstatt sich gegen sie
aufzulehnen. Es werden neue Vereinigungen gegründet —
zum Ausstellen.
Nun möchte ich versuchen, meine Kollegen zu veran-
laßen, einmal einen Verein zur „materiellen Hebung
der bildenden Künstler" zu gründen und sich selbst zu
helfen. Das Uebel muß von diesem Verein an der Wurzel
gefaßt werden, und zwar an der Erziehung.
I. Umgestaltung des Unterrichtes an den Aka-
demien. Es muß darauf gedrungen werden, daß neben
der absoluten Kunst auf jeder Akademie der junge
Schüler gezwungen wird, sich ein praktisches Kunst-
gewerbefach zu wählen, womit er sich ernähren kann.
Kunst- und Kunstgewerbeschule müssen ver-
schmolzen werden. Man muß von der Ansicht aus-
gehen, daß der junge Schüler doch nicht von seiner Ab-
sicht, sich der Kunst zu widmen, abzubringen ist. Das
wissen wir wohl alle aus eigener Erfahrung. Da aber
andererseits die Erzieher genau wissen, daß mit der ab-
soluten Kunst nichts zu verdienen ist, wäre es eigentlich schon
lange ihre moralische Pflicht gewesen, Abhilfe zu.
schaffen. In anderen Fächern sehen wir oft, daß die
Abiturienten gewarnt werden, irgendeinen überfüllten
Beruf zu ergreifen, warum tun es denn jene Erzieher?
Aber ich glaube, jeder ist froh, wenn er Akademiexrofessor
geworden ist, und läßt für das übrige den lieben Gott
 
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