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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Katsch, Hermann: Porträtähnlichkeit
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Faber du Faur, Hans von: Jury oder nicht?
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0247

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heft 18.

Die Werkstatt der Kunst.

dem scharfen Licht, zu Hause habe man ihn nie bemerkt
usw. Sie haben beide recht, denn die Atelierbeleuchtung
ist durch hocheinfallendes Licht sehr verschieden von unserer
Zimmerbeleuchtung, die zum größten Teil durch Reflexe
des Fensterbrettes und des Fußbodens zustande kommt.
Der Maler hat also, indem er den Kopf in einem von dem
gewöhnlichen abweichenden Lichte malte, eine Beleuchtungs-
studie nach einem bestimmten Menschen hergestellt, die an
sich ganz gut sein kann; er hat aber nicht das von den
Bestellern verlangte Porträt geliefert, denn den starken
Schatten neben der Nase wollen sie nicht als ein Merkmal
der Ähnlichkeit anerkennen.
Genau so werte ich es, wenn virtuose Künstler der
Gegenwart ein Porträt malen, welches rote, grüne, violette
Flecke aufweist, welches, von weitem betrachtet, wohl einen
sehr wahren Eindruck macht, aber als Arbeit für ein
Zimmer von gewöhnlichen Dimensionen doch recht uner-
freulich wirkt. Die bunten Flecken können durch allerlei
Reflexe des Ateliers hervorgerufen sein, da aber der Por-
trätierte doch nur zum porträtieren im Atelier erscheint,
werden die verschiedenfarbigen Flecken in anderer Beleuch-
tung verschwinden oder ihre Werte ändern, sie sind also
kein integrierender Bestandteil des Gesichts. Außerdem
glaube ich ganz heimlich, daß aus komplizierten Regungen
heraus zu erklären ist, wenn so impressionistisch malende
Künstler die komplementären Gegensätze übertreiben, wenn
in der Natur ein violetter Ton seine Nachbarschaft etwas
gelber erscheinen läßt, so kann man dieselbe Wirkung im
Bilde dem violetten Ton, wenn man ihn getroffen hat,
auch überlassen. Aber da kommt nun eine gewisse Eitel-
keit zutage; damit man ja nicht übersehe, wie fein diffe-
renziert der Künstler die Farben gesehen habe, wird nun
die Wirkung des violetten, also die gelblich erscheinende
Nachbarschaft, noch besonders gelblich gemalt und dadurch
natürlich ein falsches Farbenintervall erzeugt. Lin alter
Maler, der Schüler von Logniet in Paris gewesen war,
hat mir einmal etwas gesagt, was mir beim Schreiben
dieser Zeilen wieder einfällt. Er sagte mir, wenn ich in
einer Kopfstudie eine bestimmte Farbe noch als Farbe er-
kennen könnte, dann könnte ich sicher fein, daß der Ton
falsch sei.
Abgesehen von den Uebertreibungen der komplementären
Töne müssen wir doch denen recht geben, welche sagen,
daß zufällige Töne, die durch eine besondere Gelegenheit,
z. B. das Atelier, in einem Gesichte entstünden, doch nur
dann in dieses Gesicht gehören, wenn man es stets an
demselben Grte erblicke, wir werden also die Forderungen
in bezug auf die Schatten- und Farbengebung, wenn es
sich um ein Porträt und nicht um eine Studie handelt, so
präzisieren müssen, daß in bezug auf Schatten und Farben
ein gutes Porträt nichts zeigen dürfe, als was unbedingt
zu dem Kopf gehört und immer und überall erscheint. Um
das zu erreichen, haben die großen Meister aller Zeiten
auch vermieden, den zu Porträtierenden eine irgendwie
stark bewegte Stellung zu geben. Beim Erheben oder beim
Senken eines Gesichtes verschieben sich Proportionen, ver-
schwinden und entstehen Schatten, so daß eine Ähnlichkeit
fast unmöglich wird, da niemand den Eindruck der be-
treffenden Person in so einer Stellung im Gedächtnis be-
wahrt. will man einmal praktisch feststellen, was zu dem
Gesicht einer bestimmten Person unbedingt gehört, dann
sehe man sich das Gesicht einmal in einer sonnenlosen
Schneelandschaft an. Da werden durch die Hellen Reflexe
alle Nebensächlichkeiten getilgt und das, was das Gesicht
ausmacht, tritt einfach und klar zutage, weiter. Nach
Fertigstellung eines Porträts bemerkt das Original mit
zagendem Tadel, ob denn in Wirklichkeit das eine Auge
so schräg stehe. Da beweist man denn die Tatsache, indem
man es der betreffenden Person möglich macht, sich richtig
zu sehen, d. h. so, daß die rechte Seite auch die rechte Seite
wird. Man kann das durch zwei bis drei Spiegel erreichen,
wer sich zum ersten Male so richtig erblickt, wird meist
überrascht sein und sich etwas fremd und schief vorkommen,
weil man gewöhnt ist, die kleinen Unregelmäßigkeiten seiner

M
Gesichtes bei dem Spiegelbild auf der falschen Seite zu
sehen. Und doch hat der heimlich vorgebrachte Einspruch
gegen die Schiefheit eine gewisse Berechtigung. In der
Natur nämlich, wenn man es nicht direkt mit Monstren
von Unregelmäßigkeit zu tun hat, deren Porträts ja auch
nur in den seltensten Fällen bestellt werden, in der Natur
ist die Schiefheit nur durch Bruchteile von Millimetern
auszudrücken, und wenn man sie bewußt kopiert, wird man
stets millimeterweise übertreiben. Ferner, in Wirklichkeit
sehen wir niemals ein Gesicht so unausgesetzt in Ruhe
und von einem Punkte aus an, daß wir die kleinen Un-
regelmäßigkeiten deutlich werten könnten. Lin Mensch
spricht, lacht, bewegt sich, fortwährend ändert sich die
Vertikale und Horizontale, die Beleuchtung, die Verteilung
der Massen. Ganz etwas anderes ist es dann natürlich,
wenn der Betreffende, still auf einen Punkt blickend,
regungslos vor dem Maler im Atelier sitzt. Ja, da haben
also wieder einmal beide Parteien recht! Und wie soll
man entscheiden? Genau so, wie man über Falten und
andere Details des Gesichtes entscheiden soll: zur Ähn-
lichkeit gehören nicht nur die Unregelmäßigkeiten und die
Altersspuren, sondern ebensogut — der Eindruck des ganzen
Wesens. Und wenn man davon ausgeht, wird man manche
Schiefheit, manche Falte als völlig belanglos eliminieren
oder vielmehr gar nicht sehen. Der Eindruck der Person
oder vielmehr meine Auffassung ihres Wesens erhebt das
Kunstwerk überhaupt erst aus der Sphäre der sklavischen
Nachahmung. Das ist viel wichtiger als manches Detail,
das hat sogar auf die Gestaltung des ganzen Bildes Ein-
fluß. Je nach meiner Auffassung werde ich eine Person
stehend oder sitzend am besten zu charakterisieren glauben,
ein Helles oder ein dunkles Bild Herstellen wollen,
farbig oder eintönig malen, wenn das unbedingt Richtige
und die Vollständigkeit aller Details die Ähnlichkeit aus-
machten, hätte mit der Erfindung der Photographie die
Bildniskunst aufhören müssen.
wir sehen also, daß die Ähnlichkeit eines Porträts
eine recht komplizierte Sache ist, so daß man eigentlich
nur negativ sagen kann, das Bild eines Menschen darf
nichts enthalten, was das dargestellte Antlitz nicht stets
zeigt, unter allen Umständen und Beleuchtungen, der
Mensch muß so dargestellt sein, wie man ihn in der Er-
innerung hat — in der Erinnerung — befreit von allen
störenden Details oder vielmehr mit Unterordnung alles
Zufälligen unter den bleibenden Eindruck. Nicht Formen
und Farbe und Beleuchtung allein bilden ein Antlitz,
sondern der Geist und die Seele, die dahinter wohnen und
daraus sprechen. Und nicht bloß Zeichnen und Malen muß
der Porträtist beherrschen, er muß die Seele finden, erkennen
und seine Erkenntnis, seine Auffassung in materielle Dinge,
Striche, Flächen, Lichter, Schatten, Farben niederlegen
können. Das wäre das Ideal eines Porträts, während
das „Idealisieren", welches fast gleichbedeutend ist mit un-
künstlerisch und unwahr Darstellen, heutzutage ausschließlich
den Photographen überlassen ist, die alle Details aus den
Gesichtern entfernen und ihrer Idealform eines Gesichtes,
dem Gummiball, zustreben. Nicht alle; die sogenannte
„künstlerische Photographie" findet ja heutzutage ihre Be-
friedigung hauptsächlich darin, möglichst viele Flecken,
Schatten, Falten in jedes harmlose Gesicht hineinzubringen.
Doch über das Verhältnis der Photographie und ihrer
Rolle gegenüber dem Künstlerischen ein andermal.

-— Jury oäer nickt? ————
(vgl. den Artikel in Heft fb.)
Sie haben mich um meine Meinung über die hier kürz-
lich veranstaltete jurylose Ausstellung des neugegründeten
„Deutschen Künstlerverbandes" und über die Frage von
Jury oder Nichtjury überhaupt angegangen. Nun, diese
Frage ist so ziemlich so alt wie unser Ausstellungswesen;
sie kann nicht sterben und von Zeit zu Zeit wird sie akut.
Augenblicklich hat jene neue Künstlerverbindung wieder
 
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