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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Schmidkunz, Hans: Die Behandlung des Künstlers
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Katsch, Hermann: Neue Götter
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0472

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H66

Die Werkstatt der Kunst.

Heft 5H.

Projekt ist, und daß die von mir veranlaßte Gesellschaft
gar kein Recht hat, etwas anderes zu machen, als die
Durchführung des gesamten Projektes oder nötigenfalls
dessen Ablehnung, infolgederen sie sich natürlich auflösen
müßte — sei es mit oder ohne Entschädigung an mich.
Voraussichtlich aber wird „man" über diese Forderung
ebenso lachen, wie über die Wiederholung meines Aner-
bietens, über das Betonen der „Heimstätte" im Gegensätze
zu einem bloßen „Altersheim" u. dgl. m.
Geht nun jene Gesellschaft wirklich daran, nach meinem
Protest und Abzug ihr „Altersheim" durchzuführen, fo mag
;a den hilfsbedürftigen Künstlern, die dort unterkommen,
diese Erleichterung ihres Lebens sehr wohl gegönnt sein.
Die Personen hingegen, welche aus meinem Projekt ein
anderes Projekt gemacht haben, sind ganz einfach der Weg-
nahme eines Eigentums, ja geradezu der Tötung eines
Kindes schuldig.
Das Beispiel scheint etwas weither geholt und kom-
pliziert; allein wahrscheinlich werden zahlreiche Künstler
oder überhaupt „Geistesarbeiter" so viele Analogien in
komplizierten und nicht komplizierten, weit und nahe
herbeigeholten Beispielen vorzubringen wissen, daß ich
ihnen mit Vergnügen das weitere Wort überlasse.
Neue Götter
von Hermann Katsch.
Lin Künstler, der in unserer Zeit mit der Herstellung
dekorativer Malereien betraut wurde, stand einmal still und
nachdenklich vor der großen Schwierigkeit, die darin be-
stand, Personifikationen, symbolische Gestalten für sich neu
zu erfinden. Und nicht bloß der ausführende Künstler, auch
der Auftraggeber, wie z. B. die Stadt Hamburg gelegentlich
des großen Preisausschreibens zur Ausschmückung des neuen
Rathauses mußte die große Schwierigkeit, ja die Unmög-
lichkeit, derartigen Aufgaben gerecht zu werden, erfahren.
Ich möchte gern an jene Konkurrenz anknüpfen, welche
ungefähr 80 durchgeführte Entwürfe von ;,5o m zu o,56 in
und ebensoviel halb so große, d. h. nach oberflächlicher
Schätzung zusammen ungefähr ;5 Jahre künstlerischer Arbeit
erfordert hatte und — ergebnislos verlief. Das für die
Konkurrenzarbeit gestellte Thema hieß: Triumph der Ham-
monia, d. h. einer Frauengestalt, die Hamburg repräsen-
tieren sollte. Besagte Hammonia sollte eine mittlere Stel-
lung zwischen dem Handel, natürlich Hamburgs, und der
Industrie des eigens zu dem Zweck für Hamburg errichteten
Deutschen Reiches einnehmen, weibliche Figuren, die eine
Stadt bedeuten sollen, werden mit der bekannten Mauer-
krone hinreichend gekennzeichnet, was in dem Falle Ham-
burg noch durch das dreitürmige Wappen unterstützt wird.
Aber wie sollte Handel und Industrie abgebildet werden?
In Wirklichkeit vollzieht sich der Handel in Form von
Fäßern, Kisten, Ballen, in dem Hauptbuch des Kaufmanns
und den Veröffentlichungen der statistischen Aemter; als
figürliche Repräsentanten gehören dazu Rollkutscher, Lader,
Packer, rechnende Kaufleute und Beamte. Beliebt ist in
solchem Falle auch ein effektvoll qualmender Amerikadampfer
und das übliche Gewirr der Segelschiffe. Die Industrie
braucht ihrerseits den Fabrikschlot, die Maschine oder
Maschinenteile, z. B. das fast unentbehrliche Zahnrad, und
als Figuren die bekannten Kyklopen, d. h. Schmiede und
Schlosser mit Schurzfell und aufgekrempelten Hemdärmeln,
dem selbstverständlich herkulesartigen Lockenkopf und demo-
kratischem Schönbart. Aber Kisten und Ballen, Rollkutscher
und Stauer, Zahnräder oder Schmiede oder Schlosser sind
keine Personifikationen. Das sind alles den beiden Be-
griffen Handel und Industrie zugehörige Dinge und Figuren,
die in ihrer gewohnten Umgebung in einem realistischen
Bilde groß und gewaltig, monumental wirken können,
wenn sie in den Darstellungen unserer Zeit auch fast stets
einen tendenziös propagandistisch-sozialistischen Anstrich er-
halten, die aber alle vor der thronenden Hammonia höchst
deplaziert erscheinen; denn vor Thronen packt man keine

Fässer aus und schmiedet man keine Zahnräder; und bei
festlichen Anlässen erscheint der moderne Handwerker, In-
dustriearbeiter oder Lader als Gentleman! wie haben sich
die Künstler alle mit dem verfehlten Programm abgequält!
Ich erinnere mich einer großen Skizze, in welcher getreu
der gestellten Aufgabe in einer feierlichen Architektur die
verlangte Hammonia thronte, rechts und links waren Handel
und Industrie auf verschiedene Art dargestellt und über
einem schönen, im Mittelgrund ausgebreiteten Teppich
marschierte ein — nackter Hermes. Nun mag es wohl
einem naiven oder einem souveränen Künstler gelingen,
eine festliche Gesellschaft und einen nackten Hermes durch
ein gewisses Stilgefühl künstlerisch zu vereinigen. Das war
wohl in dem erwähnten Falle nicht geglückt. Aber an und
für sich, meine ich, war es ganz falsch, deshalb über die
Rückständigkeit der Künstler zu spotten, weil sie verbrauchte
Symbole einer vergangenen Kulturepoche immer noch ver-
wenden zu dürfen glaubten.
Wie kommt nun aber überhaupt der griechische Gott
der Kaufleute und der Diebe dazu, bei uns in Deutschland
dauernd die Rolle des Repräsentanten des Handels zu
spielen? Ich sage dauernd, denn die edlen neuen Zehn-
markscheine zeigen jedem, der es sehen will, in der Durch-
sicht das Profil eben jenes Hermes, allerdings in einer
wohl von Herrn Prof. Sombart beeinflußten Veränderung
der Nasenspitze. Dieser selbe Hermes thront aber auch an
den Fassaden der Börsengebäude anderer Länder, fristet ein
Miniaturdasein auf österreichischen Zeitungsmarken usw.
Er hat es, aber nicht er allein, sondern seine ganze olym-
pische Sippschaft zu einer Internationalität und zu einer
Unsterblichkeit gebracht. Ls ist aber meiner Meinung nach
ein schweres Unrecht der Kritik, wenn sie den bildenden
Künstlern deshalb Rückständigkeit vorwirft, weil sie ohne
diese uralten Symbole nicht auskommen zu können glaubten.
Denn auch Poesie und Prosa müssen sich denselben Vor-
wurf gefallen lassen. Sie haben ebenso dieselbe Liebe zu
denselben alten Symbolen bis auf unsere Tage beibehalten.
Seit den Zeiten der Wiedererweckung römisch-griechischer
Dichtung und Kunst wurde das Lateinische nicht nur die
allgemeine Sprache der wissenschaftlichen Welt, nein, fast
jedes Gebildeten; und da war nichts natürlicher, als daß
man, um sich einer guten Latinität zu befleißigen, Begriffe
und Bezeichnungen aus dem klassischen Altertum herüber-
nahm und auf das moderne Leben anwandte. So haben
es einige der alten Götter zu einer ewigen Popularität
gebracht, wie z. B. der Gott Amor; dieser wohl hauptsäch-
lich wegen seiner um vieles häufigeren und angenehmeren
Verwendung, so daß seinen Namen auch jeder Ungebildete
unserer Zeit kennt. Von weiblichen Gottheiten erfreuen
sich Fortuna und Viktoria einer ununterbrochenen Anrufung
in Gedichten, Romanen, Plakaten. In der Wissenschaft
stehen sich heute Plutonisten und Ncptunisten genau so
grimmig gegenüber, wie die beiden Heerlager, in die sich
die Götterwelt im trojanischen Krieg spaltete. Die Ange-
hörigen der Armee nennt man Söhne oder Jünger des
Mars, und nach demselben Kriegsgott wurde noch in diesem
Jahre ein neu begründeter Flugplatz getauft. Dem Militär-
arzt heftet man den Asklepiosstab — im Jargon „Bier-
wurm" genannt — auf die Achselstücke; eine der größten
Schiffsbauanstalten heißt Vulkan, man spricht von der
junonischen Erscheinung einer Frau, spendet den Lorbeer
Apolls, hat eine ganze Menge Thaliatheater in Deutsch-
land, nennt die Studenten Musensöhne, Institute für popu-
larisierte Wissenschaft Urania usw. Zu den alten Göttern
gesellten sich später noch die Gestalten der römischen Kirche,
die ebenso wie die altgriechischen Götter auch in Ländern
anderen Bekenntnisses in symbolisch gewordener Form fort-
leben. Die heilige Läcilie haben viele musikalische Ver-
einigungen, ohne an eine Schutzpatronin im Sinne der
Kirche zu glauben, als Sinnbild gewählt; St. Georgstaler
trägt so mancher Reitersmann mit niedersächsisch-heidnischem
Gemüt als Talisman, das Fest der Barbara feiern die
preußischen Artilleristen usw. Man kann aus alle dem zu
dem Schluß kommen, daß allgemeinverständliche Symbole
 
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