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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Katsch, Hermann: Neue Götter
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0473

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heft 3H.
sehr alt sein müssen, und deshalb sind sie auch nicht ein-
fach fortzudekretieren.
Nun sagt man mit Recht, heute ist die Kunst nicht
mehr bloß ein Privileg der Reichen wie bis vor 30 Jahren.
Heute haben die so außerordentlich vervollkommneten Re-
produktionsverfahren bewirkt, daß in jeder Portierloge vor-
zügliche Nachbildungen guter Kunstwerke ihren erziehenden
Einfluß auf eine neue Generation ausüben können. Nun
stehen aber die Leute, die lediglich Volksschulbildung emp-
fangen konnten und denen der Kampf ums Dasein nicht Zeit
ließ, sich irgendwie weiter zu bilden, allen den Bezeichnungen
aus der klassischen Zeit fremd, fast feindselig gegenüber. Die
Namen bedeuten ihnen nichts, und es erscheinen ihnen die-
jenigen, die sich all dieser Dinge bedienen, als von der großen
Masse abgesondert, als die Reichen, als die, die bessere Schulen
besuchen konnten usw. Das ist alles ganz richtig, und es
drängt ja auch alles nach Neuformung. Die neue Zeit
muß aber eine Entwicklung sein und deshalb auf dem
Bisherigen fußen. Dann wird sich eben etwas entwickeln.
Aber die törichten versuche, einen neuen Stil, mit aller
Energie auch eine neue Kultur heraufzubeschwören, sind
kläglich gescheitert. Was ist nicht alles versucht worden I
Alle symbolischen Handlungen wollte man ändern, es wurden
am Totensonntag neuartige Feiern ersonnen, die Formen
für Eheschließung und Taufe wollte man neu schaffen usw.
Das kann zwingend und jeden zur Nachfolge bestimmend
doch nur zustande kommen, wenn die neue Form alle Ge-
müter befriedigt, nicht bloß einen kleinen Verein! Wenn
die neue Form so aus tiefstem, weisesten Sinne empfangen
und geboren ist, daß sie uns alle bezwingt. Das wird
aber wieder nur einem weisen, der das Menschenherz kennt,
gelingen, und ohne Programm und ohne Reklame nur aus
allmächtiger Herzenskraft. So einer ist bis jetzt nicht unter
den Propheten einer neuen Zeit erstanden, und im Grunde
baut ja alles an dem Pause weiter, in dem unsere Ge-
danken wohnten. Die Sprache aber, die es so leicht hätte,
neue Götter zu schaffen, da sie ja doch die Begriffe genau
bezeichnet, kann der alten Symbole auch noch nicht entraten,
deshalb mag der bildende Künstler mit olympischer Ruhe
den Vorwurf der Rückständigkeit hinnehmen, wenn man
ihm die Verwendung verbrauchter Symbole vorwirft, so-
fern er nur fähig ist, durch neuen modernen Geist, durch
individuelle Auffassung die alten Formen zu beleben. Es
ereignet sich ja auch nur bei dekorativen Aufgaben, daß die
alten Herrschaften herhalten müssen, wieviel angenehmer
es bei solchen Anlässen ist, ganz bestimmt umrissenen sym-
bolischer: Figuren zu begegnen, die dem wachsenden Kreis
auf höheren Anstalten vorgebildeter wenigstens verständlich
sind, als neue zu schaffen, die kein Mensch kennt, das kann
man z. B. auf unseren schönen blauen Lappen erfahren,
wer sind die beiden Damen, die die Kartusche mit dem
wunderbar schönen Germaniakopf halten? Lin Minerva-
Helm, Bergkristalle und ein Hammer liegen neben der linken
Figur, die eine Art griechisch-römischer Konfektionöse dar-
stellt; das Mädchen auf der anderen Seite mit Aehren,
Früchten und einer schamhaft versteckten Pflugschar hat so
etwa das Kostüm, in welchem französische Maler in der
Mitte des vorigen Jahrhunderts Rebekka am Brunnen
oder Ruth auf dem Felde darstellten. Also Bergbau und
Landwirtschaft? warum gerade diese beiden? Oder soll
die links die Industrie sein? Dem Zeichner des Scheins
wird ja wohl etwas ganz Bestimmtes vorgeschwebt haben,
aber allgemeinverständlich sind die Figuren nicht. Ich
meine also — wenn schon symbolische Darstellung nicht zu
vermeiden ist — wenn! dann, dann nur klar beim All-
gemeinverständlichen bleiben; innerhalb der fest umrissenen
Symbole ist jedem Künstler ja doch jede Freiheit möglich:
das wie ist entscheidender als das was.
Es liegt eine stürmische Zeit hinter uns. wie wenn
in Amerika ein den Rothäuten vorbehaltenes Territorium
freigegeben, einer „Reservation" geöffnet wird, so gab es
auch in der Kunst einen wilden Ritt über die Grenze, und
mancher in sich nicht Gefestete zog mit hinüber in das
Land ohne feste Wohnsitze, ohne Ordnung und Gesetze.

§67

Da kam z. B. einer, der schrieb alle Hauptwörter klein und
machte keine Interpunktion! Das war das Neue! Als
ob man schließlich nicht Goethe und Schiller auch so drucken
könnte. Dann kamen die Inschriften mit Buchstaben, die
kein Mensch entziffern konnte, nach oben spitze Stühle usw.
In der bildenden Kunst machte eigentlich nur die beweg-
lichere Malerei die tollsten Ritte mit, der Bildhauer, der
nicht von der Form fort kann, hat sich nie so verloren.
Und was war im Grunde das Neue? Daß man die Natur
für immer schön erklärte, auch wo die Schädigungen der
Kultur sie zugrunde richten; daß man körperlich minder-
wertige Menschen für Gegenstände der Darstellung hielt,
daß man Schamhaare und Geschlechtsteile malte und
eine neue Symbolik um jeden Preis schaffen wollte. Die
Frucht dieser Zeit wird eine Gesundung der farbigen Dar-
stellung sein, die eine starke Auffrischung durch die kecke
Technik erlebte und wohltuend die trübe ölige Malerei des
vergangenen Jahrhunderts beseitigte. Aber Symbole neu
zu schaffen, dazu waren die Persönlichkeiten nicht angetan.
Neue Symbole kann uns nur eine neue Kultur bringen,
und Kulturen werden heimlich geboren und leben stets
Jahrtausende, wer damit nicht zufrieden ist, wer unge-
duldig nach einer neuen Zeit in Wort und Bild aussxäht,
der lasse sich gesagt sein, daß das Neue in der Kunst stets
in der Darstellung liegt, nicht im Gegenstand. Alle großen
Maler haben die Maria mit rotem Kleid und blauem
Mantel gemalt; wer davon abging, wie Murillo, hat ja
auch im Sinn des Kultus keine Maria dargestellt. Aber
vom Beginn der Renaissance bis zu dem königlichen Tizian
haben sich alle dem Zwange des roten Kleides und blauen
Mantels gebeugt und — stets individuell die Nuancierung
neu zu gestalten gewußt, wenn der Marien-Mythus noch
heute unsere tiefsten religiösen Empfindungen rühren würde,
könnte eine genügend große Anzahl bedeutender Maler un-
unterbrochen schöpferisch Marienbilder gestalten und doch
die beiden Hauptfarben beibehalten.
Man gewahrt wohl noch ab und zu einige, die wie
wilde Reiter in der Reservation herumtollen, die glauben,
daß gut Zeichnen und solide Malen zu verachten sei gegen-
über dem neuen Inhalt, dem sie zum Ausdruck verhelfen
wollen. Die Mehrzahl aber hat sich angesiedelt und mit
dem festen Wohnsitz alle die Dinge wieder aufnehmen
müssen, die die Bedingungen des seßhaften Lebens sind,
die in der Kunst die Voraussetzungen der Wirkung auf
die anderen bedeuten.
So möge man die alten Symbole ruhig weiter ver-
wenden, das Tadeln und das Suchen nach neuen ist vor-
läufig vergeblich. Ls ist ja das gerade die Unsterblichkeit,
die uns Menschen gegönnt ist, daß ein Wort, ein Vers,
eine Form Jahrhunderte überdauert, daß wir aus jedem
architektonischen Detail, aus Sims und Knauf, aus jedem
Glied eine lange Ahnenreihe hervorblicken sehen. Freuen
wir uns dieser ein menschliches Leben so weit überragen-
den Wirkung! Das Neue wird schon kommen, wenn große
Männer erstehen werden, in denen sich eine neue Zeit um-
fassend darstellt. Das kann nur in großen Zeitabschnitten
geschehen. Die dahinströmende Kraft des menschlichen
Geistes bedarf wie ein Fluß immer einer gewissen Strecke,
bis ein Stauwehr die angesammelten Kräfte zu einer großen
Leistung vereinigt, wer aber wehr auf wehr anlegen
wollte, wird nicht ein Mühlrad treiben.
Wohin die Entwicklung der Kunst gehen wird? Ja
wohin wird sich unsere Kultur entwickeln? Mit dem Wieder-
erwachen der Lamarckschen Lehre sind all die vitaliftischen
Strömungen erstarkt, die unweigerlich das Seelische und
damit in der Kunst das Idealistische zu neuem Leben
wecken werden. Aber so wenig wie wir trotz schärfsten
Nachdenkens und trotz der fast lückenlos bekannten Lnt-
wicklungsreihe der lebendigen Welt die den Menschen über-
ragende nächste Lntwicklungsstuse auszudenken vermögen,
so wenig kann man wissen, wer die neuen Götter der
Kunst sein werden. Und ist es nicht schöner so und aut?
wem gefallen die Hyazinthen, die die farblosen wurzeln
am hellichten Tage im Wasser entwickeln? Ist es nicht

Die Werkstatt der Kunst.
 
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