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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Marcus, Otto: Praktischer Unterricht in den Kunstakademien, 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0038

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32

Die Werkstatt der Kunst.

Heft 3.

- praktischer Unterricht in -
-- clen Kunstakademien. III -
In letzter Zeit ist über den Kunstunterricht von be-
rufener und unberufener Seite wieder viel gesprochen worden.
Es ist sicher sehr gut und notwendig, daß diesem Thema jetzt
eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wird, wenn auf
anderen Gebieten das Ausland den deutschen Lehrmethoden
allgemeine Anerkennung zollt, kann man von solcher An-
erkennung bei der bildenden Kunst nicht viel bemerken.
Nun fällt allerdings in der Kunst das, was gelehrt werden
kann, wohl nicht so ins Gewicht wie bei anderen Tätigkeiten.
Die Ausbildung, die ein Künstler genossen hat, ist eben
nur einer der sehr vielen Faktoren, die den Wert seiner
Werke bestimmen. Den höchsten und eigentlichen Wert er-
hält das Kunstwerk immer durch Eigenschaften, die in der
Persönlichkeit des Künstlers beschlossen und der Beeinflussung
durch andere überhaupt nicht zugänglich sind. Daher ist
es auch in gewißem Sinn berechtigt, wenn die Schulung,
die methodische Ausbildung des Künstlers bei Kunstfreunden
und Kritikern nicht allzusehr beachtet wird. Vielfach glau-
ben auch die Künstler, deren Ausbildung als abgeschlossen an-
zusehen ist, daß die in der Ausbildung liegenden Probleme
für sie nur mehr ein platonisches Interesse haben. Man
darf aber wohl sagen, daß diese Probleme eng verknüpft
sind mit den Fragen der Hebung des Ansehens und des Ab-
satzes deutscher Kunst im Ausland. Zu den Zeiten, da im
Ausland eine erfreuliche Nachfrage nach deutschen Kunst-
werken herrschte, wurden auch die deutschen Kunstbildungs-
stätten von Ausländern viel ausgesucht. Jetzt ist Paris
der eine große Magnet, der alles an sich zieht. Be-
sonders die Amerikaner, die noch vor 25, 30 Jahren ost
die Hälfte der Schülerzahl in den beliebten Münchener
Ateliers stellten, gehen fast nur noch nach Paris. Ls ist
selbstverständlich, daß sie später ihre Heimat im Sinne der
Verehrung für ihre Meister beeinflussen. Das Tatsächliche
dieses Zustandes ist wohl unbestreitbar. Schwierig ist es aber,
zu sagen, ob es ratsam sei, etwas gegen diese Erscheinung
zu unternehmen, und noch schwieriger natürlich, geeignete
Maßregeln zur Aenderung anzugeben. Schaden kann es
aber wohl nicht, aus die prinzipiellen Unterschiede hinzu-
weisen, die der Kunstunterricht in Paris im Gegensatz zu
dem im allgemeinen in Deutschland üblichen zeigt. Da
die Franzosen den Erfolg für sich haben, die deutschen Kunst-
jünger gehen bekanntlich auch massenhaft nach Paris, so
liegt freilich ein günstiges Vorurteil für ihre Methoden
nahe, man muß sich aber doch hüten, diese in jeder Be-
ziehung als die besseren anzusehen und sie einfach nach
Deutschland übertragen zu wollen. Sie sind eng mit der
speziell französischen Kunstentwicklung und mit dem
Nationalcharakter verknüpft und im deutschen Milieu weder
lebens- noch entwicklungsfähig. Gerade die gewisse Selbst-
ständigkeit, die sich Deutschland im Gegensatz zu anderen
Ländern Paris gegenüber bewahrt hat, muß man trachten,
sorgfältig zu hüten. Immerhin kann ein kritischer Ver-
gleich manch nützlichen Wink geben.
In den Pariser Kunstschulen wählt sich der Kunst-
novize einen der Lehrer, er tritt in das Atelier eines
Künstlers ein, bei dem er bleibt, bis er seine Studien
vollendet hat oder bis er selbst aus irgend einem Grunde
zu einem anderen zu gehen wünscht. Dadurch kommen die
Anfänger im gleichen Raum vor dem gleichen Modell
mit den vorgeschrittensten Schülern zusammen, von denen
sie oft mehr profitieren wie vom Lehrer. Das Verhältnis
ist noch etwas wie bei den alten Meistern, die ja Gesellen
und Lehrlinge gleichzeitig in ihren Arbeitsräumen beschäftig-
ten. Dagegen haben die deutschen Kunstschulen bezw. Aka-
demien mehr einen „Gymnasium"-Eharakter. Der Schüler
kommt von einer Klasse in die andere, von einem „Ordi-
narius" zum anderen. Die augenscheinlichen Mängel dieses
Systems könnten vielleicht wettgemacht werden durch eine
zielbewußte methodische Leitung des Ganzen. Daran fehlt

es meist in der Praxis. Die Direktoren der Kunstschulen
werden durch ihre eigenen Arbeiten zu sehr in Anspruch
genommen, als daß sie eine wirkliche Leitung des gesamten
Unterrichts ausüben könnten. Mit Vorschriften oder In-
struktionen an die Lehrkräfte läßt sich naturgemäß gar nichts
erreichen, von einem gegenseitigen Sich-in-die-Hände-ar-
beiten der Lehrer ist auch wohl selten etwas zu bemerken. Im
Gegenteil baut der einzelne Künstler seine Lehrmethoden
mehr auf eigene persönliche Erfahrungen aus, als aus
einer allgemeinen Tradition. In Frankreich gibt es viel
mehr allgemein gültige Regeln, allgemein anerkannte
Forderungen in bezug aus Korrektheit. Das bringt wohl
eine gewisse Starrheit und leise Konventionalität mit sich.
Die deutschen, mehr individuellen, einander oft wider-
sprechenden Methoden müßten aber jedenfalls ganz anders
verwendet werden, um gute Erfolge zu zeitigen. Ls kann
einem Schüler nicht gut tun, wenn er ohne besondere Rück-
sicht auf seine wünsche und Neigungen jedes Jahr einen
neuen Lehrer mit einer neuen Methode kennen lernt und
oft vormittags nach der einen und nachmittags nach der
anderen Richtung hin beeinflußt wird. Die privatschulen sind
ja in bezug auf Einheitlichkeit des Unterrichts besser daran,
aber meistens können sie aus naheliegenden Gründen nicht
die Anforderungen an ihre Schüler stellen wie die vom Staat
erhaltenen Anstalten.
Die Franzosen beschränken sich darauf, die formale
Gewandtheit an sich dem Schüler beizubringen, die sichere
Beherrschung der runden Form im Zeichnen und der Ton-
werte im Malen. Als Unterlage dabei dient ihnen der
Akt und immer nur der Akt. Ls hat ja etwas Bestechendes,
wenn demgegenüber in Deutschland nicht bloß Aktzeichnen
und -malen gelehrt wird, sondern auch Porträt-, Landschaft-,
Tier-, Stilleben-, Ornament- und sonstige Malerei. Line
enzyklopädische Kenntnis alles Malbaren ist aber doch nicht
möglich, und da in allen Fächern von verschiedenen Lehrern
unterrichtet wird, so durchkreuzen sich die Methoden. Das
zu malende Objekt erscheint schließlich wichtiger als die
Ausbildung der Gewandtheit des Schülers, die nur so
nebenher durch die Uebung ersolgt. So findet man vielfach
eine große Unbeholfenheit namentlich im verkürztzeichnen.
Von der imponierenden Ruhe und Sicherheit, die die alten
Meister in dieser Hinsicht hatten, ist nicht viel zu merken,
wenn man aber auch sieht, z. B. in den Dürerschen Schriften
und Illustrationen, welche raffinierten Methoden mit
Zeichnen durch verschiebbare Glastaseln, mit Messen und
Visieren und Abzirkeln man damals verwandte, um mit
formalen Schwierigkeiten fertig zu werden, wenn man
demgegenüber selbst erfahren hat, wie gleichgültig und
irrationell diese Dinge jetzt behandelt werden, dann kann
man sich über die Unterschiede nicht wundern. Die Franzosen
gehen da viel exakter zu Werke. Wenn in 6 Tagen in
Paris ein lebensgroßer Akt gemalt wird, so werden s von
den s Tagen zur Auszeichnung verwendet. In einer
deutschen königlichen Akademie wurde einmal 8 Wochen
an einem Akt gemalt, zu dem die Auszeichnung an einem
knappen Vormittag fertig war. Ls liegt hier wohl der
Hauptgrund, daß die Amerikaner, die eine sichere, feste
Technik lieben, Paris bevorzugen. Man saßt bei uns auch
den Begriff der Technik zu einseitig als Materialbehandlung,
während doch die Formbeherrschung das wichtigste dabei
ist, jedenfalls darf doch die Form über der Oberfläche nicht
vernachlässigt werden. In den Pariser Schulen wird über
Materialtechnik fast gar nicht gesprochen, und doch besitzen die
Franzosen auch hierin eine ausreichende Geschicklichkeit.
Man muß ja nicht immer gleich das eine lassen, wenn man
das andere tut.
wir können jedenfalls von den Franzosen in den
Punkten Anregungen empfangen, in denen sich ihre Me-
thoden mit denen der alten Meister decken. Gerade der
Deutsche Holbein ist es, den die Franzosen als ein Muster
vollkommener Formbeherrschung anerkennen und verehren.
Er hat die Früchte harter und folgerichtiger Schulung ge-
erntet. Die bitteren Klagen Dürers über den mangelhaften
Unterricht zu seiner Zeit, seine heißen Bemühungen und
 
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