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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Rosenbaum, Julius: Kann dem bildenden Künstler eine ständige Erwerbsquelle geschaffen werden?
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In eigener Sache
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0611

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heft 44.

Die Werkstatt der Kunst.

605

sorgen. Durch die Erziehungsmethode, die jetzt herrscht,
wird der junge Künstler ganz vom Getriebe der Welt ab-
gesondert und verliert mit den übrigen Menschen den Zu-
sammenhang, weil für seine Leistungen kein Bedürfnis
vorhanden ist. Es ist endlich Zeit, daß auch alle bildenden
Künstler mitleben und mitwirken. In den fünf Jahren
Studium, die durchschnittlich jeder durchmacht, wäre es
wahrlich nicht schwer, sich auch nach der praktischen Seite
auszubilden, als Möbelzeichner, Industriezeichner usw. Die
wirklich führenden Geister in diesen Zweigen sind in der
Hauptsache immer Maler, die wohl meistens aus materiellen
Gründen solche Fächer nachher lernten. Es genügt doch
vollkommen, wenn der junge Schüler vormittags vier
Stunden Akt oder Kopf malt. Der Nachmittag könnte sehr
wohl den praktischen Studien gewidmet sein. Aber welcher
junge Mensch tut dies von sich aus ? Ich habe schon manchen
Kollegen über diese verbummelte Zeit fluchen hören. So
könnte auch sehr gut die Photographie gelehrt werden. Dann
werden heute schon für geschmackvolle Fensterdekorationen in
Berlin Künstler als Ratgeber zugezogen. Bei den Schau-
fenster-Wettbewerben in Berlin haben sehr viele Künstler mit-
gewirkt. Meistens aber nur als Ratgeber. Warum könnte
nicht „Dekoration" auch als Nebenfach eingefügt werden,
wenn man denkt, daß in Berlin Dekorateure damit durch-
schnittlich s—toooo Mk. jährlich verdienen. Der Künstler
würde sicherlich dadurch keinen Schaden erleiden. Diese
Dekorateure haben ihre Hilfsarbeiter und stellen nur alles
geschmackvoll zusammen, was doch einem Maler ein leichtes
sein dürfte. (Bekanntlich hat der deutsche Werkbund in
Berlin bereits eine Schule für Schaufenster-Dekoration unter
Leitung von Frau Mpxler-Legband ins Leben gerufen.
Red.) Tepxichfabriken brauchen Ratgeber für Farben-
zusammenstellung. Aber diese Leute müssen die Webarten
beherrschen. Es wäre für einen Maler ein leichtes,
einen Webekursus durchzumachen, um eine solche, sehr
gut bezahlte Stellung zu bekleiden. Unter den heutigen Ver-
hältnissen ist es aberschwer, eine solche Stellung zu erhalten.
Wäre der Besuch einer Webeschule (Berlin hat eine
solche) für einen jungen Maler obligatorisch und ginge er
zu einer Firma mit einem Zeugnis der Akademie,
so wäre es doch etwas ganz anderes. Heute ist der Maler
mit dem Nimbus des Verbummelten gezeichnet, kein Beruf
nimmt ihn ernst. Das haben wir unseren Kollegen, die
als Stammgäste die Eafös zieren oder verunzieren, zu ver-
danken. Denn der Außenstehende hält zumeist diese Kari-
katuren für die Vertreter unseres Berufes. Die meisten
Fabrikbetriebe haben englische Tischzeit, d. h. bis um 3 Uhr
nachmittags Dienst. Der junge Mann hat dann den ganzen
Nachmittag für sich. Für jemand, der Geld verdienen
muß, kann es doch nichts Besseres geben. Auch die An-
gestellten, z. B. Buchhalter, benutzen noch die freie Zeit zum
Geldverdienen, gewöhnlich wenn sie verheiratet sind. Wir
sehen also, daß auch der junge Künstler bei zweckmäßiger
Erziehung sehr gut im Leben stehen und doch weitermalen
könnte. Ls würden dadurch weniger, aber bessere Bilder
entstehen.
II. hätte der Verein darauf zu dringen, daß die Malerei
mit dem Lehrerberuf verbunden sein müßte. Warum sollte
ein Maler nicht im Zeichnen unterrichten, genau so wie ein
Altphilologe im Latein oder Griechisch? Natürlich müßte er
genau so wie die anderen sich die nötigen Nebenfächer suchen.
So z. B. Naturkunde, da doch die Anatomie ein Bestandteil
derselben ist, den er zum Aktzeichnen gebraucht. Oder deut-
sche Literatur? wie geeignet wären die Künstler dazu, den
jungen Gemütern die schönen poetischen Erzeugnisse nahe-
zubringen. Nur künstlerische Persönlichkeiten können dies.
Wie werden von pedantischen Lehrern oft schöne Gedichte
und Dramen unbarmherzig zerpflückt! Wenn den Malern
das Lehrfach offen stände, so würde wenigstens eine kleine
Zahl junger Leute untergebracht sein. Und wenn sie dann
nur soviel Bilder verkaufen würden, wie sie in ihrer freien
Zeit malen könnten, wären sie sicher sehr gut aufgehoben.
III. müßte der Verein auch in das geschäftliche Leben
eingreifen und vor allem einen energischen Kampf gegen

Geschmacklosigkeiten führen, gegen die Pfuscherannoncen
und gegen die sog. „Hofmaler", die sich auf irgendeine
weise von einem kleinen Hofe diesen Titel verschaffen
und damit dem Publikum Sand in die Augen streuen I —
Line Erscheinung will ich noch berühren. Deutschland ist
immerhin der beste Markt für den schaffenden Künstler.
Naturgemäß ziehen viele Ausländer nach Deutschland und
erschweren uns den schon schweren Kampf; ich habe natürlich
nichts gegen ausländische Künstler, ich will aber nur diese
Tatsache konstatieren. Sie mag auch daher kommen, daß
Deutschland viele Akademien hat und gegen Ausländer sehr
entgegenkommend ist. Oesterreich und besonders Rußland
stellen eine große Zahl; die jungen Russen gehen wohl haupt-
sächlich der politischen Lage wegen fort, obgleich Rußland
für sie eine vorbildliche Einrichtung hat. Dort gibt es
nämlich Kunstschulen, die ungefähr so eingerichtet sind, wie
in Deutschland die Handelsschulen. Mit Jahren kann
derjenige, der Maler werden will, jene Schule besuchen, die
das Zeichnen und Malen als Hauptfach neben den anderen
wissenschaftlichen Fächern lehrt. Von dieser Schule kann
man ein Abiturium machen, das zum Besuche der Peters-
burger Akademie berechtigt. Hat aberjemand entdeckt, daß sein
Talent nicht ausreicht, dann genügt eine Ergänzungs-
prüfung im Latein, um ein wissenschaftliches Studium zu er-
greifen. Diese Schulen sind unschätzbar für junge Künstler,
erstens wird dort in aller Ruhe ihr Talent erprobt
und im Nichtfalle hat er keineswegs Zeit verloren.
Auch in Deutschland würden solche Schulen den Eltern und den
Schülern sehr viel Kummer ersparen. Denn der deutsche Künst-
ler ist durch unsere Studienmethode für das Leben direkt
unbrauchbar gemacht, privatschulen müßten natürlich
sich in jeder Hinsicht einem neuen Studienplan
unterwerfen. Daß es nicht so wie bisher weiter-
gehen kann, dürfte wohl jedem Künstler klar sein. Wir
müssen uns selbst helfen, wie andere Berufe, und mit
Forderungen an Regierung und Reichstag gehen.
Der Ausstellungsrummel verwirrt nur die jungen Köpfe,
die nicht die Schattenseiten sehen können noch wollen. Sie
sehen nur die sog. „Berühmtheiten", die anderen aber, die
auf der Strecke liegen bleiben, sehen sie nicht. Wir müssen
endlich danach trachten, sicher dazu stehen und nicht auf
die Gnade von Zeitungsverlegern und Mäzenen angewiesen
sein. Denn die meisten von uns müssen für ihr Brot
sorgen. Es ist doch klar, daß es für einen Künstler besser
ist, eine Stellung zu haben, wo er seinen künstlerischen
Geschmack mitteilen kann, als Kitsch zu machen, der noch
dazu schlecht bezahlt wird. In der freien Zeit könnte er
dann ganz nach seinem Empfinden arbeiten und so
der Kunst zu einer wirklichen Blüte verhelfen. Die Mehr-
zahl der heutigen Ausstcllungsbilder sind zwecklos, weil
sie nur für einen Zweck, der Ausstellung, gemalt sind.
Nun fordere ich Gleichgesinnte auf, sich zusammcnzutun
und den jetzigen Zuständen ein Ende zu bereiten, und ge-
sündere Lebensbedingungen zu schaffen. Bildender Künstler
allein zu sein, ist für die heutige Zeit geradezu Selbstmord.
Die unseligen Akademien mit ihrem abgeschmackten Titel für
junge Künstler: „akademischer Maler" haben es auf dem
Gewissen, diese Zustände herbeigeführt zu haben. Also
fort mit diesem Lehrgang. Der neue Lehrgang muß
als erste Voraussetzung haben: Hinein ins Leben!
Julius Rosenbaum-Berlin.
In eigener Sacke
In der Privatklagesache Schleustng gegen den
Redakteur der „Werkstatt der Kunst" ist ein
Termin zur Hauptverh andlung auf den 25. August
^9^0, l.p/4 Uhr, von -er Berrlfnngsinstttnz:
der 2. Ferienstrafkammer des Königlichen Land-
gerichts II Berlin, Thurmstr. 9 p Portal 4, I. Treppe
links, Zimmer 305, anberaumt. Ts sind keine
Zeugen und Sachverständigen geladen.
 
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