Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Siegmundsäule in Warschau

Schorling

2. Sabbatfeier in Warschau

Von M. Sebaftian

^^^chwere Zeiten sind^erekngebrochen äibcr polen, am schwersten sind
c- . ^ ft"' die große Stadt Warschau zu tragen, am traurigsten ist es
sudenviertel. Wohl wird für dke Armsten vkel getan von den
ivlaubensbrudern kn Amerika und Deutschland, doch ist es schwierkg zu
'eften. Oie Armen kann ja nur dke Hoffnung auf bessere Zeiten auf-

Aber eines^kann man den Bewohncrn des traurigcn Viertels nicht
nebmen -^die Freude an den Festtagen, die Weihe des Sabbats. Wenn
man am Freitag selbst durch die allerärmsten Gegenden der einstmals be-
ruchtigten Xrochmalna geht, da, wo zur russischen Zcit die Gilde der Diebe
lbren Skh hatte und ekner organisierten Gewerkschaftgleich streng von ihrem
leibstgewählten T'berhaupt regiert wurde, -- wenn inan dort auch dic
elendeltcn Kcllerwohnungen, deren Zins seit langem nicht bezahlt sein mag,
cftlcht, wird man an diesem Tage ekne eigene Emsigkcit beobachten,- überall
wird gescheuert, gereinkgt, gepuht. Freilich gibt es keine Linnentücher auf

den Tischen, das berühmte Schalet (ein Gericht aufgesehter Hülsen-
früchte) wird nicht mehr im Kochtops bereitet, aber das Hapker auf den
Tischen ist leidlich weiß, aus der Kartoffelbrühe schimmern hier und da noch
Fettaugen. Es wird alles soweit wie möglich sür die erste Festmahlzeit
am Freitagabend, für den Beginn des Sabbats hergerichtet.

Wie alle dicsen Tag erwarten! Er reißt sie so ganz aus dem täglichen
Leben hcraus,- am Sabbat gibt es kein Geschäft, keknc Arbett, kein Müh-
sal. Der ganze Tag ist der Ruhe und Betrachtung, dort wohl auch häufig
der Erinnerung gewidmet. Diese Erwartung tritt am stärksten im Gottes-
dienst am Borabend des Sabbats in Erscheinung. — Es war in einer
orthodoren Synagoge, die Andächtkgen sammeln sich, in der Mitte, in einer
Art offenem pavillon — Almemor genannt — steht der Vorbeter, kein
berufsmäßiger Sänger, sondern ein Handelsmann, der kurz vorher seknen
Geschäftcn auf der Gafse nachging. Eine gedrungene Erscheinung mit
rotbraunem Vollbart, der ihm beinahe bis zum Gürtel reicht. Eine
 
Annotationen