Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wieland: Zeitschrift für Kunst und Dichtung — 3.1917-1918

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25539#0108
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
der Weihgefäße, aus dem Klingelgeläut und aus der Erregung nach dem
gesungenen Choral »Heiliger Gott" tauchte jenes wundervolle, unsagbar
anmutige Innere der Kirche hervor, mit den aus Holz geschnihten Christus-
figuren am Kreuz, mit dem unvergeßlichen Ausdruck in Antlih und Frgur,
oder mit jenem, dem Volke noch näher stehenden bekümmerten Christus,
der auf einem Stamm in der Kirchenkrypta siht, einen Dornenkranz auf
dem Haupt, den Scharlachmantel üm die Schultern.

Ienes geschnitzte Gabälk mkt der passion des Herrn unter der Wölbung,
die geschnitzten Lhöre, die bunten naiven, schltchten kletnen Altäre, die ge-
schmückten Kanzeln, Tausbecken und Beichtstühle, die schön gezimmerten
Türen und ihre mit einfachen, aber in den Linken edlen Beschlägen — der
Arbeit des Dorffchmieds — geschmückten Rahmen bilden zuweilen ein
wunderschönes Ganzes, von dem man mit Mühe das Auge losreißr und
das man lange in der Seele trägt, als Funken der einsachen, reknen, un-
berechneten, von einem großen
GefühlumstrahltenSchöpsung.

Zu der schönstcn Volkskunst,
die in allen Eknzelheiten die
größte Harmonie ausweist, zählt
die podhalanische Kunst (Ta-
trakunst). Alles, von der Hütte
bis zu dem messingbeschlagenen,
mit Schnallen reichverzierten
Ledergurt und dem auf Glas
gemalten Bildchen steht in einem
seltenen harmonischen Zusam-
menhang untereinander, wie
auch mit der strengen Tatra-
natur, so daß man sich nicht
vorstellen kann, daß es anders
fein könnte, so üppig, kernig
und schlank ist hker alles, wie
die hochstämmigen Tatrafichten,
so stark, wie der Gebirgswind,
der über dke Almen daherjagt.

Der „Göral", wie der Be-
wohner des Tatragebirges ge-
nannt wird, schmückt den ge-
ringsten Gebrauchsgegenstand/
von den Stickereien an den
Beinkleidern und der Verzie-
rung des Ledergurts mit wun-
derschön ziseliertem Messing- „ . „ .

blech(Studio) angefangen, ver- ^.negswmter
ziert er auch das Beil, den

Hebel, den Schlitten, die Britschka, bemalt die Schüsseln und die Töpfe,
deren Formen so schön und schlank sind, wie dke des dorttgen Volkes.

Harmonisch und rekchhaltig ist auch die Gesamtheit der Volkskunst in
der Umgegend von Krakau und Kiclce, wenn auch der Charakter im Gegen-
sah zu der Tatrakunst hier weniger streng, weicher und zerfließender ist.

Angcfangen von der sich ausbreitenden, in einem schönen Kirschgarten
gelegcnen Hütte, die nach Piastensitte gastfrcundlich unter den schattigen
Vorsprung aus üppigem Strohschopf einladet, bis zu dem schön gc-
schnittenen Bauernkittel, — alles atmet hier eine langgedehnte Schwermut
und ein kühnes Draufgängertum zugleich,- sind es doch die Bauern des

meister ohne fremde Gepflogenheiten. Da das Land hier eknst eine unzu-
gänglkche Wtldnis war, die im Iahre 186I, dem Iahr des polnischen Auf-
stands, berühmt wurde wegen dcr unauffindbaren Angriffe, die die Kurpier
gegen die russischen Truppen unternahmen, so drangen die westlichen Ekn-
flüsse hier schwerer durch,- wir fehen daher fast in jedem Kreise auffallend
unterschkedliche Merkmale, besonders in der Verzkerung der archttektonk-
schen Einzelheiten, wke Gipfel, Türrahmen, Fensterläden. Dte Kurpker
Baukunst, oder vielmehr die Einteilung der Gebäude, zeichnet fich auch
noch dadurch aus, daß dke Hütten von den Wirtschaftsgebäuden wett ent-
fernt und ordentlich gehalten sind.

Die Tracht der Kurpier ist einfach, aus eigenem Gewebe,- etn brauner
Kittel, Leinenhosen und Strohschuhe. Außer auf dke Zimmermeisterkunst,
das eigentlichste Gebtet der Kurpierschen Ornamentik, müssen wtr noch
auf die Ausschmückung des Inneren der Hütte mit geschnittenen Bildern

von buntem Papier aufmerk-
sam machen, die dle dortige Be-
völkerung an dke Wände zwk-
schen dieBklder, über dke Fenster
und Türen hängt. Außerdem
beschäftigt sich der Kurpier, der
gezwungen ist, sich alles selbst
zu beschaffen, mit Weberei,- ske
weben Leknen und sehr schöne,
in matten Farben gehaltene
Kelims, die als Bettdecken die-
nen. Die schönsten Kelkms
werden bek Myszyniec herge-
stellt. In den neuen Kurpker
Häusern begegnen wir hübschen
Beschlägen und Türschlössern.
Ein seltsames Gefühl ttefer
Schwermut weht von dkeser
Kunst. Dke Dorfbaukunst der
Kurpter hat !n den jüdischen
Städtchen im Lomzaer Gebiet
die Bauart der jüdischen Bet-
häuser beeknflußt,- es stnd dies
wunderhübsche, fantastische Ge-
bäude mkt rekzenden Galerien,
Giebeln und mannigfaltig ge-
brochenen Dächern.

MitderBuntheitundHeiter-
kekt der Krakauer Kunst lkeße
sich viellekcht die Lowkczer Kunst
vergleichen(Masovien). Diestch
weit ausbreitenden, saubcren Hütten mkt dem weit ausgebauten Gehöfi
zeugen von dem größeren Wohlstand der Bcvölkerung. Die Männertragen
keinen Bartwlichs,- diese Äiode ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen,
daß es einst geistliche Besitzungen waren,- daher wkrd die hiesige Bevöl-
kerung auch „Ksiezaki" (von Ksieza Gekstliche) genannt. Es sind schön-
gewachsenc, stämmige Erscheinungen mit schönen, proportionierten, ovalen
Köpfen, entschlossenen Zügen undIebhaften Augen. 2hr Anzug ist farben-
reich und von charakteristkschcm ^chnktt, ganz anders, wie die Krakauer
Tracht, obwohl ebenso edel im Schnitt, doch mit ausgeglkcheneren Farben.
Das Auge dcs Velasquez würde sich freuen, wenn er die zu Duhenden

Schorling

Helden Kosciuszko , die mit Sensen auf die moskowitischen Kanonen los- auf dem Iahrmarkt von Lowkcz versammelten spankschen prinzessinnen
gegangen sind. Ein üppig sprießender Garten, eine weißgetünchte Hütte sehen würde, denn die Lowiczer Mädchen erinnern mit khrer Erscheinung
lnit dunkelblau gestrichenen Ladenfenstern, blumenbemalte Geräte mit dem an jene, und wenn ihre Gesichter auch nicht so zart und vornehm und ihre
barocken Hrofilausschnitt, ein reich ausgenähtes Frauenmieder von ge- Blicke ntcht so stolz wie bei jenen sind, so haben sie so vkel herzhafte Frksche,
Mustertem Stoff, fein gestickte Schmuckhauben und Hemden, ein geblümter so viel Anmut in den fröhlichen Gesichtern und in den lachenden Augen,
^ock, ein breites, großkariertes, rotes Tuch, — dte bescheidene, aber zu- so viel Schnuegfamkeit kn den schlanken Leibchen und den mtt hohen, rot
gleich reiche, außerordentlich würdige und in der Linie vornehme Männer- gcschnürten L)tiefeln bekleideten Füßchen, daß sie hinsichtlich der Freude,
tracht, bestehend aus Weste und Kittel, — die bemalten Töpfe und Schüffeln, die sie den Augen des Künstlers berekten, mkt Erfolg mit jenen prlnzesfinnen
endlich dke Kapellen und Kreuze mit reicherem Hrofil, als in der P.atra, rivalisieren durfen.

alles dies fügt sich zu einer neuen Gesamtheit, die weicher ist, als jene
ttrannliche, strenge Tatrakunst, aber auch bunter, heiterer und melodisch,
tt>ke dke anmutigen Krakauer Volkslkeder, dke von der Liebe singen.

Eine Ahnlichkeit mkt der Tatrakunst ließe sich violleicht in dcr Kunst der
Kurpker (Lomzagebket)finden. 2n khr spiegelt skch der Charakter derWildnis-
bevölkerung, der in sich gekehrten Menschen ab. Wie wenig sich hier fremde
^inflüsse in der Bau- und Dekorationskunst geltend gemacht haben, das
berveist ekn bks auf den heutigen Tag erhaltenes Wörterbuch für Zimmer-

Die Stoffe für die Trachten weben sie allein aus bunter, brett gestrekfter
Wolle, in der Orange, Grün und Kobalt überwiegen. Die Männer tragen
hohc Fklzhüte, mit brekten Flügeln und flachem Boden, die Frauen schön
gestickte Hauben und rote Tücher. Obgleich die Tracht des Flitterwerks
und der kleknen Verzierungen entbehrt, ist sie km allgemeknen reich und
prächtkg.

Die Möbel find ebenso wke tm Krakauer Gebket mkt Blumen bemalt
- das Ornament zekgt ekn großes Verständnis für architektonische Form

17
 
Annotationen