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Wieseler, Friedrich
Narkissos: eine kunstmythologische Abhandlung ; nebst einem Anhang über die Narcissen und ihre Beziehung zum Leben, Mythos und Cultus der Griechen — Göttingen, 1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.10355#0011
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Die Sagen von Narkissos treten erst verhältnissmässig spät in der Literatur
auf. Am bekanntesten ist die bei Ovidius 1). Sie lautet folgendermaassen.
Die Nymphe Leiriope gebar vom Flussgotte Kepbissos einen schönen Knaben
und nannte ihn Narkissos. Teiresias, gefragt, ob das Kind ein hohes Alter
erreichen werde, gab zur Antwort: wenn es sich nicht kennen lernen werde.
Der Ausspruch des Sehers schien lange Zeit nichtig. Da traf er doch ein.
Narkissos halte eben das sechszehnle Lebensjahr erreicht. Viele Jünglinge und
Jungfrauen, Wasser- und Bergnymphen, bewarben sich um seine Liebe. Er
stiess sie aber alle hart und hoflartig zurück. Da erblickt ihn auf der Hirsch-
jagd die Nymphe des Schalles, Echo. Auch sie entbrennt sogleich in Liebe
zu ihm, wird aber gleichfalls verschmäht, worauf sie sich aus Schaam in die
Höhlen zurückzieht und allmählig zu Stein wird. Da betet einer der früher
von dem spröden Jüngling Verschmähten zur Nemesis, zu veranlassen, dass
jener selbst lieben und des Gegenstandes seiner Liebe nicht habhaft werden
möge. Und die Göttin von Rhamnus erhört diese gerechte Bitte. Narkissos,
von eifrigem Jagen und der Hitze des Tages ermüdet, kommt zu einem kla-
ren, wohlheschalteten Quell. Als er aus diesem seinen Durst stillen will, er-
blickt er sein eigenes Bild im Wasser und verliebt sich in dasselbe. Sehn-
süchtig verlangend in den Besitz des Geliebten unten im Wasser zu gelangen,
schwindet er in den Qualen nicht erhörter Liebe dahin, bis er sein müdes
Haupt auf den grünen Kräutern am Quell bellet und seinen Geist aufgiebt. Da
die trauernden Najaden und Dryaden seinen Leib bestallen wollen, finden sie

1) Metamorph. III, 342 fll. Ganz wie Ovid, und zwar nach ihm, berichten Lactan-
tius Narr. Fab. III, 5 u. 6, und zu Stak Theb. VII, 340, und die Mylhograpln
Vaticani I, 185, U, 180.

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