Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
124 Erstes Bach. Allgemeine Untersuchungen zur konstantinischen etc. Monamentalkunst Roms.

(Taff. 69 239 242). Letzteres Motiv, das unser modernes Auge unangenehm berührt, ist
bei Frauen eine der heftigsten Äußerungen des Schmerzes. Um Heliodor, einen befreundeten
Mönch, zur Rückkehr zum aszetischen Leben zu bewegen, schreibt ihm Hieronymus, daß er sich
weder durch die Liebkosungen des kleinen Neffen noch durch die Schmerzensausbrüche der
Mutter und des Vaters abhalten lassen solle, „zu der Fahne des Kreuzes zu eilen": „. . . licet
parvulus ex collo pendeat nepos, licet sparso crine et scissis vestibus ubera, quibus nutrierat,
mater ostendat" usf.1 Diese Worte beschreiben sehr gut den traurigen Zustand, in welchem
die Mutter des hl. Alexius dargestellt ist. Ähnliche Gestalten kehren auch häufig in der
klassischen Kunst wieder; ihr Schmerz ist aber stets in einer dezenteren Weise ausgedrückt2.

Das sind die hauptsächlichsten von den Gebärden, deren sich die Künstler in der
monumentalen Malerei zu bedienen pflegten. Wie die von uns angeführten schriftlichen
Zeugnisse beweisen, haben sie nicht etwa bloß in der Kunst ein theoretisches Dasein ge-
fristet, sondern waren mit dem täglichen Leben verwachsen und gelangten infolge der durch
Diokletian veränderten Verhältnisse seit dem 4. Jahrhundert ungleich mehr als in früherer
Zeit zur Anwendung. Die christliche Monumentalkunst Roms nahm also auch von dieser
Seite eine naturgemäße, mit dem praktischen Leben stets in Fühlung bleibende Entwicklung:
die neuen Gesten, die sich seit dem 4. Jahrhundert in ihr zeigen, waren ein Produkt der
veränderten Lebenslage, nicht des Einflusses irgend einer mehr oder minder imaginären
Kunstrichtung. Mit Ausnahme der sog. griechischen Segensgebärde treten sie in den Szenen
gleich zu Anfang auf und gehen dann mit diesen in die Provinzialkunst über.

Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, daß in Rom schon um die Mitte des
4. Jahrhunderts umfangreiche Bilderzyklen aus dem Alten und Neuen Testament vorhanden
waren, welche sich dann die Provinzialkunst zum großen Teil angeeignet hat. Daher die
Tatsache, daß sowohl in Neapel als auch in S. Prisco, Ravenna und Mailand Gegenstände
abgebildet wurden, welche in der Kunst der Reichshauptstadt schon seit langer Zeit existierten.
Die Gleichheit erstreckte sich nicht bloß auf den Inhalt und die Form der Komposition, sondern
auch auf die Details: die Gestalten haben dieselbe Gewandung, machen dieselben Gesten und
sind auf die nämliche Weise durch den Nimbus ausgezeichnet. Durch diese Abhängigkeit der
provinzialen von der reichshauptstädtischen Kunst ist zugleich die Führerschaft Roms, wenig-
stens für die altchristliche Periode, bewiesen. Damit wollen wir uns vorderhand begnügen.

Um die große Überlegenheit der römischen Kunst deutlicher zeigen zu können, gehen
wir jetzt zu der Besprechung der hervorragendsten kirchlichen Denkmäler über, welche
jene Bilderzyklen einst besessen haben oder noch besitzen. Mit einer Ausnahme sind es
natürlich lauter römische Monumente, denen ein besonderes Kapitel gewidmet ist.

1 Ep. 14, 2, ed. Hilberg 46f. Vgl. auch Ep. 39, 5, 305. 2 Vgl. z. B. Petersen, Markus-Säule 82 106 112f.
 
Annotationen