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244 Zweites Buch. Die hervorragendsten kirchlichen Denkmäler mit Bilderzyklen.

dem Löwen, wie meine Taf. 39 zeigt, nach Art von Blumen behandelt sind. Beide Bilder
verraten die Hand eines geschickten Künstlers. Der grimmige, zum Sprung bereite Löwe
mit der gesträubten Mähne, dem fürchterlichen Blick und dem weit aufgerissenen Rachen
läßt, trotz der vergoldeten Haare und Augen, an Naturtreue nichts zu wünschen übrig; sein
schreckenerregender Ausdruck paßt zu den gespreizten Federn der Flügel. Ich kenne keinen
zweiten aus der altchristlichen Kunst, der mit ihm wetteifern könnte. Der Engel trägt die
den heiligen Gestalten zukommende Gewandung, während derjenige von S. Pudenziana
(Taff. 42 ff) unbekleidet ist; er hat ein volles Gesicht und regelmäßige, männlich-schöne Züge,
wodurch er alle übrigen Köpfe übertrifft. Der ein wenig zur Seite gerichtete Blick seiner
großen Augen verleiht ihm den Ausdruck des Nachdenkens. Die Künstler haben diesen Blick
auch sonst noch angewendet, wohl ohne bestimmte Absicht; denn die feineren seelischen
Zustände in dem Ausdruck der Gesichter zu malen, scheint nicht in ihrem Können gelegen
zu haben. Bei der Bildung der Köpfe war ihr Hauptbestreben darauf gerichtet, möglichst
schöne oder doch wenigstens regelmäßige Gesichter zu schaffen. Wir haben gesehen, daß
ihnen dieses nicht überall (z. B. bei dem Kopfe Christi in der Gesetzesübergabe) gelungen
ist. Was sie aber besonders auszeichnet, das ist die peinliche Sorgfalt, mit der die Mosaiken
bis in die verstecktesten Teile hinein ausgeführt wurden. Diese ist um so mehr zu be-
wundern, als die Taufkapelle vornehmlich auf künstliches Licht angewiesen war.

Somit wären wir am Ende unserer Untersuchung der einzelnen Bilder angelangt. Ob-
gleich wir jede Figur, jede Szene betrachtet und ihr einige Worte der Beschreibung ge-
widmet haben, sind uns nirgends zwei grundverschiedene Stilarten begegnet, noch konnten
wir zwei Perioden wahrnehmen: alles ist aus einem Guß; alles stammt von der gleichen
Künstlerfamilie, deren Mitglieder natürlich nicht alle gleichwertig waren. Das eine Paar
Hirsche und Lämmer z. B. ist viel vollkommener als das andere. Auch die Technik verrät
verschiedene Hände; denn bei den soeben als vollkommener bezeichneten Schafen (Taf. 38,l)
ist die Arbeit klarer und sauberer, während sie bei den Gegenstücken (Taf. 38,2) infolge
der größeren Abstände zwischen den einzelnen Steinchen etwas Unbestimmtes, fast Ver-
schwommenes an sich hat. Aber alle diese Verschiedenheiten sind zufälliger, nicht wesent-
licher Art: das eine ist besser, das andere weniger gut ausgefallen. Die Künstler hatten
damals das Gelingen gewöhnlich nicht mehr so in der Hand wie früher, namentlich wenn es
sich um Szenen handelte: diese stehen auch anderwärts immer unter dem Niveau der Einzel-
gestalten. Wir werden darauf später zurückkommen. Hier bleibt uns noch die Frage, wann
die Mosaiken ausgeführt wurden, zu erledigen übrig.

§ 6. Entstehungszeit der Mosaiken.

In der Bestimmung der Entstehungszeit der Mosaiken läßt die Mehrzahl der Kunst-
historiker sich vielleicht mehr als billig von den historischen Nachrichten beeinflussen. Je
nachdem man sich zu der einen oder zu der andern bekennt, schreibt man sie dem Kaiser
 
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