Drittes Kapitel. Alte Taufkirche am Lateran. 249
Nichtsdestoweniger hat Rohaults Rekonstruktion einen fast allgemeinen Beifall gefunden;
man beruft sich auf sie, als wäre sie über allen Zweifel erhaben. Für uns ist sie nicht bloß
wegen der geringen, in keinem Verhältnis zum Oberbau stehenden Tragfähigkeit der Säulen,
sondern vor allem wegen des ausdrücklichen Zeugnisses des Liber pontificalis ein Ding der
Unmöglichkeit. Um die von der Rekonstruktion vorausgesetzte Arbeit auszuführen, wäre
es notwendig gewesen, den oberen Teil des Baptisteriums abzutragen und damit zugleich
auch die Mosaiken zu zerstören, mit welchen Konstantin oder vielmehr der hl. Silvester
den Bau ausgeschmückt, und die begreiflicherweise einen ganz besondern Wert hatten.
Ist es nun denkbar, daß Sixtus III. sich eines solchen Vandalismus schuldig machen konnte,
nur um einige brachliegende Säulen zu verwerten? Man komme mir da nicht mit der
Ausrede von der „geringen Festigkeit" der konstantinischen Bauten. Wie irrig diese ist,
zeigt ein bloßer Blick auf die dem Kaiser zugeschriebenen Kirchen, auf die man sich ge-
wöhnlich beruft: die Paulskirche wurde abgerissen, nicht weil sie baufällig, sondern zu
klein war; und von der Iateranensischen Salvatorkirche stürzte das Mittelschiff infolge des
Erdbebens vom Jahre 896 ein und wurde von Sergius III. (904—911), also in der Zeit des
größten Tiefstandes der Kunst, wiederaufgebaut1; Sankt Peter sodann, die hervorragendste
von den zömeterialen Basiliken, mußte nach fast zwölf hundertjährigem Bestehen dem
modernen Dome weichen und wurde demoliert; das Mausoleum der hl. Helena endlich fiel
der allmählichen Zerstörung durch die Zeit anheim, weil man es verfallen ließ, während das
der Konstantina, welches in beständigem Gebrauch verblieb, noch heute steht2. Es ist
somit ganz unwahrscheinlich, daß die lateranensische Taufkirche schon nach hundert Jahren
so baufällig gewesen wäre, daß Sixtus ein fast völlig neues Gebäude aufführen mußte.
Aber gesetzt, er hätte es getan, wie erklärt es sich dann, daß der eher zum Übertreiben
geneigte Liber pontificalis ihn, obgleich genügender Grund vorhanden gewesen wäre, nicht
als den Stifter hingestellt hat, wie er ihn, mit weniger Recht, als den Erbauer von S. Maria
Maggiore bezeichnen konnte? Wie durfte der Autor ferner bei einem so notorischen Ge-
bäude wie dem Baptisterium schreiben, daß die Säulen ein Ornament des Wasserbeckens
seien und nur das Gebälk mit der Inschrift trügen, wenn sie, wie Rohault de Fleury uns
glauben machen möchte, ein integrierender Bestandteil des Baptisteriums waren und der
ganze Oberbau auf ihnen lastete? Von welcher Seite wir die Sache auch immer anfassen
mögen, alles verurteilt die Rekonstruktion der Taufkapelle, wie der genannte Gelehrte sie
sich in seinem Geiste ausgemalt hat.
Wie ist es aber, wird man fragen, gekommen, daß die wertvollen Säulen aus Porphyr
unbenutzt blieben, wenn sie schon Konstantin für den Bau ausersehen hatte? Die Antwort
1 Die bekannten Unregelmäßigkeiten sind also auf Rechnung die etwas erweiterten Grabkammern, können also nur im wei-
des zweiten Baues zu setzen. teren Sinne des Wortes Basiliken genannt werden. Weil im
2 Die zömeterialen „Basiliken" der hll. Laurentius, Agnes Schöße der Erde, waren sie infolge der Feuchtigkeit naturgemäß
und Petrus-Marcellinus übergehe ich; denn diese waren bloß mehr der Zerstörung ausgesetzt als die oberirdischen Bauten.
Witpert, Mosaiken und Malereien. I. Band. 32
Nichtsdestoweniger hat Rohaults Rekonstruktion einen fast allgemeinen Beifall gefunden;
man beruft sich auf sie, als wäre sie über allen Zweifel erhaben. Für uns ist sie nicht bloß
wegen der geringen, in keinem Verhältnis zum Oberbau stehenden Tragfähigkeit der Säulen,
sondern vor allem wegen des ausdrücklichen Zeugnisses des Liber pontificalis ein Ding der
Unmöglichkeit. Um die von der Rekonstruktion vorausgesetzte Arbeit auszuführen, wäre
es notwendig gewesen, den oberen Teil des Baptisteriums abzutragen und damit zugleich
auch die Mosaiken zu zerstören, mit welchen Konstantin oder vielmehr der hl. Silvester
den Bau ausgeschmückt, und die begreiflicherweise einen ganz besondern Wert hatten.
Ist es nun denkbar, daß Sixtus III. sich eines solchen Vandalismus schuldig machen konnte,
nur um einige brachliegende Säulen zu verwerten? Man komme mir da nicht mit der
Ausrede von der „geringen Festigkeit" der konstantinischen Bauten. Wie irrig diese ist,
zeigt ein bloßer Blick auf die dem Kaiser zugeschriebenen Kirchen, auf die man sich ge-
wöhnlich beruft: die Paulskirche wurde abgerissen, nicht weil sie baufällig, sondern zu
klein war; und von der Iateranensischen Salvatorkirche stürzte das Mittelschiff infolge des
Erdbebens vom Jahre 896 ein und wurde von Sergius III. (904—911), also in der Zeit des
größten Tiefstandes der Kunst, wiederaufgebaut1; Sankt Peter sodann, die hervorragendste
von den zömeterialen Basiliken, mußte nach fast zwölf hundertjährigem Bestehen dem
modernen Dome weichen und wurde demoliert; das Mausoleum der hl. Helena endlich fiel
der allmählichen Zerstörung durch die Zeit anheim, weil man es verfallen ließ, während das
der Konstantina, welches in beständigem Gebrauch verblieb, noch heute steht2. Es ist
somit ganz unwahrscheinlich, daß die lateranensische Taufkirche schon nach hundert Jahren
so baufällig gewesen wäre, daß Sixtus ein fast völlig neues Gebäude aufführen mußte.
Aber gesetzt, er hätte es getan, wie erklärt es sich dann, daß der eher zum Übertreiben
geneigte Liber pontificalis ihn, obgleich genügender Grund vorhanden gewesen wäre, nicht
als den Stifter hingestellt hat, wie er ihn, mit weniger Recht, als den Erbauer von S. Maria
Maggiore bezeichnen konnte? Wie durfte der Autor ferner bei einem so notorischen Ge-
bäude wie dem Baptisterium schreiben, daß die Säulen ein Ornament des Wasserbeckens
seien und nur das Gebälk mit der Inschrift trügen, wenn sie, wie Rohault de Fleury uns
glauben machen möchte, ein integrierender Bestandteil des Baptisteriums waren und der
ganze Oberbau auf ihnen lastete? Von welcher Seite wir die Sache auch immer anfassen
mögen, alles verurteilt die Rekonstruktion der Taufkapelle, wie der genannte Gelehrte sie
sich in seinem Geiste ausgemalt hat.
Wie ist es aber, wird man fragen, gekommen, daß die wertvollen Säulen aus Porphyr
unbenutzt blieben, wenn sie schon Konstantin für den Bau ausersehen hatte? Die Antwort
1 Die bekannten Unregelmäßigkeiten sind also auf Rechnung die etwas erweiterten Grabkammern, können also nur im wei-
des zweiten Baues zu setzen. teren Sinne des Wortes Basiliken genannt werden. Weil im
2 Die zömeterialen „Basiliken" der hll. Laurentius, Agnes Schöße der Erde, waren sie infolge der Feuchtigkeit naturgemäß
und Petrus-Marcellinus übergehe ich; denn diese waren bloß mehr der Zerstörung ausgesetzt als die oberirdischen Bauten.
Witpert, Mosaiken und Malereien. I. Band. 32