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WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN

der Geschichte einer Gottheit in dem ihr geweihten
Tempel auch zugleich als ein allegorisches Gemälde
anzusehen, weil die ganze Mythologie ein Gewebe
von Allegorie war. Homers Götter, sagt jemand un-
ter den Alten, sind natürliche Gefühle der verschie-
denen Kräfte der Welt, Schatten und Hüllen edler
Gesinnungen. Für nichts anders sah man die Liebes-
händel des Jupiter und der Juno, an einem Plafond
eines Tempels dieser Göttin zu Samos, an. Durch
den Jupiter wurde die Luft, und durch die Juno die
Erde bezeichnet.

Meine Erklärung über die Allegorie überhaupt be-
greift zugleich dasjenige in sich, was ich über die
Allegorie in Verzierungen sagen könnte.
In allen Verzierungen sind die beiden vornehmsten
Gesetze: Erstlich, der Natur der Sache und dem
Orte gemäß, und mit Wahrheit zu zieren; und zwei-
tens, nicht nach einer willkürlichen Phantasie zu
zieren.

Das erste Gesetz, welches allen Künstlern über-
haupt vorgeschrieben ist und von ihnen verlangt,
Dinge dergestalt zusammenzustellen, daß das eine
auf das andere ein Verhältnis habe, will auch hier
eine genaue Übereinstimmung des Verzierten mit
den Zieraten.

Das Unheilige soll nicht zu dem Heiligen, und das
Schreckhafte nicht zu dem Erhabenen gestellt wer-
den. Aus eben diesem Grunde verwirft man die
Schafsköpfe in den Metopen der dorischen Säulen an
der Kapelle des Luxemburgischen Palais in Paris.
Das zweite Gesetz schließt eine gewisse Freiheit

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