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Winckelmann, Johann Joachim; Uhde-Bernays, Hermann [Hrsg.]
J. J. Winckelmanns kleine Schriften und Briefe (Band 1): Kleine Schriften zur Geschichte der Kunst des Altertums — Leipzig, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.6830#0153
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WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN

brochene Teile. Auf diesen Satz gründet sich das Pro-
fil der jugendlichen Köpfe der Alten, welches nichts
Linealmäßiges, auch nichts Eingebildetes ist. Aber es
ist selten in der Natur und scheint sich noch selte-
ner unter einem rauhen, als glücklichen Himmel zu
finden: es besteht in der sanftgesenkten Linie von
der Stirn bis auf die Nase. Diese Linie ist der Schön-
heit dermaßen eigen, daß ein Gesicht, welches, von
vorne gesehen, schön scheint, von der Seite erblickt,
vieles verliert, je mehr dessen Profil von der sanften
Linie abweicht. Diese Linie hat Bernini, der Kunst-
verderber, in seinem größten Flor nicht kennen wol-
len, weil er sie in der gemeinen Natur, welche nur
allein sein Vorwurf gewesen, nicht gefunden, und
seine Schule folgt ihm. Aus diesem Satze folgt fer-
ner, daß weder das Kinn noch die Wangen, durch
Grübchen unterbrochen, der Form der wahren
Schönheit gemäß sein können. Es kann also auch die
Mediceische Venus, die ein solches Kinn hat, keine
hohe Schönheit sein, und ich glaube, daß ihre Bil-
dung von einer bestimmten schönen Person genom-
men ist, so wie zwei andere Venusstatuen in dem
Garten hinter dem Palast Farnese offenbare Porträt-
köpfe haben.

Die Form der wahren Schönheit hat die erhobenen
Teile nicht stumpf, und die gewölbten nicht ab-
geschnitten, der Augenknochen ist prächtig erhaben,
und das Kinn völlig gewölbt. Die besten Künstler
der Alten haben daher dasjenige Teil, auf welchem
die Augenbrauen liegen, scharf geschnitten gehalten,
und in dem Verfalle der Künste im Altertume und

»SO
 
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