WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN
keine hohe Idee, noch die von Maratta in der Ga-
lerie zu Dresden, ohne Nachteil von den ursprüng-
lichen Schönheiten in der Nacht des erstem zu reden,
die berühmte Venus von Tizian in der Tribuna zu
Florenz ist nach der gemeinen Natur gebildet. Die
Köpfe kleiner Figuren von Albani scheinen schön,
aber vom Kleinen ins Große zu gehen, ist hier fast,
als wenn man, nach Erlernung der Schiffkunst aus
Büchern, die Führung eines Schiffes im Ozean unter-
nehmen wollte. Poussin, welcher das Altertum mehr
als seine Vorgänger untersucht, hat sich gekannt
und sich niemals ins Große gewagt.
Die Griechen aber scheinen Schönheiten entworfen
zu haben, wie ein Topf gedreht wird. Denn fast alle
Münzen ihrer freien Staaten zeigen Köpfe, die voll-
kommener sind von Form, als was wir in der Natur
kennen, und diese Schönheit besteht in der Linie,
die das Profil bildet. Sollte es nicht leicht scheinen,
den Zug dieser Linie zu finden? Und in allen Münz-
büchern ist von derselben abgewichen. Hätte nicht
Raffael, der sich beklagte, zur Galatee keine wür-
dige Schönheit in der Natur zu finden, die Bildung
derselben von den besten Syrakusanischen Münzen
nehmen können, da die schönsten Statuen, außer
dem Laokoon, zu seiner Zeit noch nicht entdeckt
waren? Weiter, als diese Münzen, kann der mensch-
liche Begriff nicht gehen. Wer die besten Werke des
Altertums nicht hat kennen lernen, glaube nicht zu
wissen, was wahrhaftig schön ist. Unsere Begriffe
werden außer dieser Kenntnis einzeln und nach un-
serer Neigung gebildet sein. Von Schönheiten neuerer
152
keine hohe Idee, noch die von Maratta in der Ga-
lerie zu Dresden, ohne Nachteil von den ursprüng-
lichen Schönheiten in der Nacht des erstem zu reden,
die berühmte Venus von Tizian in der Tribuna zu
Florenz ist nach der gemeinen Natur gebildet. Die
Köpfe kleiner Figuren von Albani scheinen schön,
aber vom Kleinen ins Große zu gehen, ist hier fast,
als wenn man, nach Erlernung der Schiffkunst aus
Büchern, die Führung eines Schiffes im Ozean unter-
nehmen wollte. Poussin, welcher das Altertum mehr
als seine Vorgänger untersucht, hat sich gekannt
und sich niemals ins Große gewagt.
Die Griechen aber scheinen Schönheiten entworfen
zu haben, wie ein Topf gedreht wird. Denn fast alle
Münzen ihrer freien Staaten zeigen Köpfe, die voll-
kommener sind von Form, als was wir in der Natur
kennen, und diese Schönheit besteht in der Linie,
die das Profil bildet. Sollte es nicht leicht scheinen,
den Zug dieser Linie zu finden? Und in allen Münz-
büchern ist von derselben abgewichen. Hätte nicht
Raffael, der sich beklagte, zur Galatee keine wür-
dige Schönheit in der Natur zu finden, die Bildung
derselben von den besten Syrakusanischen Münzen
nehmen können, da die schönsten Statuen, außer
dem Laokoon, zu seiner Zeit noch nicht entdeckt
waren? Weiter, als diese Münzen, kann der mensch-
liche Begriff nicht gehen. Wer die besten Werke des
Altertums nicht hat kennen lernen, glaube nicht zu
wissen, was wahrhaftig schön ist. Unsere Begriffe
werden außer dieser Kenntnis einzeln und nach un-
serer Neigung gebildet sein. Von Schönheiten neuerer
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