WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN
des Meisters erkennt sich, so wie in der Schreibart
an der Deutlichkeit und kräftigen Fassung der Ge-
danken, also in der Ausarbeitung des Künstlers an
der Freiheit und Sicherheit der Hand. Auf der Ver-
klärung Christi von RafFael sieht man die sicheren
und freien Züge des großen Künstlers in den Figuren
Christi, St. Peters und der Apostel zur rechten Hand,
und an der mühsam vertriebenen Arbeit des Giulio
Romano an einigen Figuren zur Linken. Bewundere
niemals, weder am Marmor die glänzende sanfte
Oberhaut, noch an einem Gemälde die spiegelnde
glatte Fläche. Jene ist eine Arbeit, die dem Tagelöhner
Schweiß gekostet hat, und diese dem Maler nicht viel
Nachsinnen. Der Apollo des Bernini ist so glatt wie
der im Belvedere, und eine Madonna von Trevisano
ist noch viel fleißiger als die von Correggio gemalt.
Wo Stärke der Arme und Fleiß in der Kunst gilt, hat
das Altertum nichts vor uns voraus. Auch der Porphyr
kann ebensogut bearbeitet werden, wie vor alters.
Die größere Glätte an Figuren tiefgeschnittener
alter Steine ist nicht das Geheimnis, wodurch sich
die Arbeit eines alten Künstlers im Steinschneiden
von den neuern unterscheidet. Unsere Meister in
ihrer Kunst haben die Glätte so hoch als die Alten
getrieben. Die Glätte der Ausarbeitung ist wie die
feine Haut im Gesichte, die allein nicht schön macht.
Ich tadle dadurch nicht die Glätte einer Statue, da
sie zur Schönheit viel beiträgt, obwohl ich sehe,
daß die Alten das Geheimnis erreicht haben, eine
Statue bloß mit dem Eisen auszuarbeiten, wie am
Laokoon geschehen ist. Es ist auch in einem Ge-
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des Meisters erkennt sich, so wie in der Schreibart
an der Deutlichkeit und kräftigen Fassung der Ge-
danken, also in der Ausarbeitung des Künstlers an
der Freiheit und Sicherheit der Hand. Auf der Ver-
klärung Christi von RafFael sieht man die sicheren
und freien Züge des großen Künstlers in den Figuren
Christi, St. Peters und der Apostel zur rechten Hand,
und an der mühsam vertriebenen Arbeit des Giulio
Romano an einigen Figuren zur Linken. Bewundere
niemals, weder am Marmor die glänzende sanfte
Oberhaut, noch an einem Gemälde die spiegelnde
glatte Fläche. Jene ist eine Arbeit, die dem Tagelöhner
Schweiß gekostet hat, und diese dem Maler nicht viel
Nachsinnen. Der Apollo des Bernini ist so glatt wie
der im Belvedere, und eine Madonna von Trevisano
ist noch viel fleißiger als die von Correggio gemalt.
Wo Stärke der Arme und Fleiß in der Kunst gilt, hat
das Altertum nichts vor uns voraus. Auch der Porphyr
kann ebensogut bearbeitet werden, wie vor alters.
Die größere Glätte an Figuren tiefgeschnittener
alter Steine ist nicht das Geheimnis, wodurch sich
die Arbeit eines alten Künstlers im Steinschneiden
von den neuern unterscheidet. Unsere Meister in
ihrer Kunst haben die Glätte so hoch als die Alten
getrieben. Die Glätte der Ausarbeitung ist wie die
feine Haut im Gesichte, die allein nicht schön macht.
Ich tadle dadurch nicht die Glätte einer Statue, da
sie zur Schönheit viel beiträgt, obwohl ich sehe,
daß die Alten das Geheimnis erreicht haben, eine
Statue bloß mit dem Eisen auszuarbeiten, wie am
Laokoon geschehen ist. Es ist auch in einem Ge-
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