VON DER EMPFINDUNG DES SCHÖNEN
wirken die wahren Schönheiten der Kunst wie der
Nordschein, welcher leuchtet und nicht erhitzt. Man
sollte beinahe sagen, sie wären von der Art Ge-
schöpfe, welche überhaupt keine Empfindung haben.
Wenn auch das Schöne in der Kunst lauter Gesicht
wäre, wie, nach den Ägyptern, Gott lauter Auge ist,
würde es dennoch so in einem Teile vereint, viele
nicht reizen.
Man könnte auch auf die Seltenheit dieser Empfin-
dung aus dem Mangel von Schriften, die das Schöne
lehren, einen Schluß machen. Denn von Plato an
bis auf unsere Zeit sind die Schriften dieser Art vom
allgemeinen Schönen leer, ohne Unterricht und von
niedrigem Gehalte. Das Schöne in der Kunst haben
einige Neuere berühren wollen, ohne es gekannt zu
haben. Hiervon könnte ich durch ein Schreiben des
berühmten Herrn von Stosch, des größten Alter-
tumskundigen unserer Zeiten, einen neuen Beweis
geben. Er wollte mir in demselben zu Anfang un-
seres Briefwechsels, weil er mich persönlich nicht
kannte, Unterricht geben über den Rang der besten
Statuen und über die Ordnung, in welcher ich die-
selben zu betrachten hätte. Ich erstaunte, als ich sah,
daß ein so berufener Antiquarius den Vatikanischen
Apollo, das Wunder der Kunst, nach dem schlafen-
den Faun im Palaste Barberini, welcher eine Wald-
natur ist, nach dem Zentaur in der Villa Borghese,
welcher keiner idealischen Schönheit fähig ist, nach
den zwei alten Satyrn im Campidoglio und nach dem
Justinianischen Bock, an welchem das beste Stück der
Kopf allein ist, setzte. Die Niobe und ihre Töchter,
T75
wirken die wahren Schönheiten der Kunst wie der
Nordschein, welcher leuchtet und nicht erhitzt. Man
sollte beinahe sagen, sie wären von der Art Ge-
schöpfe, welche überhaupt keine Empfindung haben.
Wenn auch das Schöne in der Kunst lauter Gesicht
wäre, wie, nach den Ägyptern, Gott lauter Auge ist,
würde es dennoch so in einem Teile vereint, viele
nicht reizen.
Man könnte auch auf die Seltenheit dieser Empfin-
dung aus dem Mangel von Schriften, die das Schöne
lehren, einen Schluß machen. Denn von Plato an
bis auf unsere Zeit sind die Schriften dieser Art vom
allgemeinen Schönen leer, ohne Unterricht und von
niedrigem Gehalte. Das Schöne in der Kunst haben
einige Neuere berühren wollen, ohne es gekannt zu
haben. Hiervon könnte ich durch ein Schreiben des
berühmten Herrn von Stosch, des größten Alter-
tumskundigen unserer Zeiten, einen neuen Beweis
geben. Er wollte mir in demselben zu Anfang un-
seres Briefwechsels, weil er mich persönlich nicht
kannte, Unterricht geben über den Rang der besten
Statuen und über die Ordnung, in welcher ich die-
selben zu betrachten hätte. Ich erstaunte, als ich sah,
daß ein so berufener Antiquarius den Vatikanischen
Apollo, das Wunder der Kunst, nach dem schlafen-
den Faun im Palaste Barberini, welcher eine Wald-
natur ist, nach dem Zentaur in der Villa Borghese,
welcher keiner idealischen Schönheit fähig ist, nach
den zwei alten Satyrn im Campidoglio und nach dem
Justinianischen Bock, an welchem das beste Stück der
Kopf allein ist, setzte. Die Niobe und ihre Töchter,
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