I. Teil - Von dem Wesentlichen der Kunst
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267,1 derjenige Silenus ..., welcher den Bacchus erzogen: Wir benutzen die Bezeichnungen Satyr und Silen heute
meist als Gattungsbegriff für das auf zahllosen griech. Vasen dargestellte ausgelassene, undisziplinierte, weinseelige
Gefolge des Dionysos. In der Antike verhielt es sich in der Regel genauso. Doch gelegentlich tragen die Satyrn sowohl
auf Vasendarstellungen als auch in der Dichtung Eigennamen. Dabei wird unter anderen auch der Gattungsname
zum Eigennamen. Auffälligerweise ist gerade der als Silenos bezeichnete Silen sehr häufig als ein großer Weiser
dargestellt. Als solcher erscheint er bei Pindar fr. 157 (Snell; vgl. dazu Roscher IV [1909-1915] Sp. 505 s. v. Satyros)
oder auch in einer Sage, der zufolge ihn König Midas fangen ließ (Hdt. 8,138; Plut. mor. 115b [consolatio ad
Apollonium 27), um in den Genuß seiner Weisheit zu gelangen. Silenos tat dem Midas kund, derjenige Mensch
sei am glücklichsten, der nie geboren wurde. Pausanias, 6,24,8, berichtet, daß in Elis sogar ein Tempel für Silenos
stand. Als Erzieher des Dionysos bezeichnet sich Silenos (in diesem Falle allerdings ein verschlagener, hinterlistiger
Silenos) in den Eingangsstrophen zu Euripides' Satyrspiel „Kyklops“. - In der WA IV S. 79 ist ein längerer Einschub
in den Text der GK2 gemacht, der das hier im Komm. Erläuterte teilweise schon im Text erklärt. In Anm. 219 auf S.
291 bemerken die Hrsg.: „Wären wir so glücklich gewesen, Winckelmanns Hand-Ausgabe, welche die Wiener vor
Augen hatten, bey der Zusammenstellung des Textes vergleichen zu können, oder hätten die Wiener Hrsg, nur so
viel Achtung für Winckelmann und seine Leser gehabt, daß sie ihre willkürlichen Änderungen und Umstellungen
jedesmal mit Genauigkeit angezeigt: so würden wir die von Winckelmann selbst bestimmten Gesetze, nach welchen
er die einzelnen Theile wie das Ganze seines Werks behandeln wollte, nicht nur klar erkannt, sondern sie überall mit
kritischer Strenge beobachtet haben. Jetzt, da die Wiener Hrsg, die sorgfältigste Befolgung der Winckelmannischen
Handschrift vorgeben [...] und ihre Arbeit nichts destoweniger fast auf jeder Seite sichere unläugbare Spuren einer
willkürlichen eilfertigen Behandlung verräth, blieb uns nichts anders übrig, als das Gegebene so gut als möglich zu
benutzen, und das einzelne in den beyden Ausgaben und in den Anm. Zerstreute, nach den uns selbst aufgelegten
Regeln, zu einem Winckelmanns nicht unwürdigen Ganzen zu gestalten.“
267,9-10 Mahlzeit des Trimalchions'. Die Benennung spielt auf eine Episode in Petronius’ Satyricon an. Petro
Sancti Bartoli, Admiranda Romanarum Antiquitatum, Roma 1693 Taf. 43, deutete die Szene als „Trimalchio aus
dem Bade kommend, zum Triclinium geleitet“, wobei ihm die heute als Dionysos benannte Figur als Trimalchio
galt, von dem es Satyricon 28 heißt: „Dann (nach dem Bade) hüllte man ihn (Trimalchio) in einen pelzgefütterten
Scharlachmantel und hob ihn in seine Sänfte. [...] Während dieses Heimgeleits ist ihm ein Musikant mit einer
Pikoloflöte zu Häupten gegangen [...]“ (Übers.: Petronius Satyrica, Schelmenszenen, lat.-dt. von Konrad Müller,
Wilhelm Ehlers, Darmstadt 1983 S. 57). Die alte Benennung ist also nicht grundlos, denn Dionysos trägt ja in der
Tat einen weichen gefütterten Mantel wie Trimalchio und wird auf dem Relief außerdem änlich wie dieser von
einem Flötenspieler begleitet.
267,11-13 Silenus... dick und taumelnd auf seinem Esel: W. denkt zum einen sicher an den im 17. Jh. in der Villa
Giustiniani und spätestens seit 1756 in der Villa Albani befindlichen, heute nicht nachweisbaren Thiasos-Grabaltar,
der nur aus dem Stich in Galleria Giustiniana (1631-1635) II Taf. 147,2 bekannt ist und den W. im Nachlaß Paris
vol. 68 p. 187 erwähnt. Zum Altar vgl. Dietrich Böschung, Antike Grabaltäre aus den Nekropolen Roms, Bern
1987 S. 107 Nr. 822. Außerdem wird W. an den dionysischen Sarkophag in Woburn Abbey gedacht haben, der ihm
aus einer damals im Besitze Kardinal Albanis befindlichen Dal Pozzo-Zeichnung bekannt gewesen sein dürfte.
Schließlich stand ihm vielleicht auch noch das Relief Neapel, Nationalmuseum Inv. 27712, vor Augen, das er bereits
im Sendschreiben S. 93 (= SN 2,1 S. 129,31-33) anführte.
Lit.: Friedrich Matz, Die dionysischen Sarkophage II Berlin 1968 S. 195-196 Nr. 80 Taf. 96,1-2, 112,2; Elizabeth Angelicoussis, The Woburn
Abbey Collection of Classical Antiquities, Mainz 1992 S. 75 Nr. 61 Abb. 271, 286; Ville epala77i di Roma S. 136,30-36 mit Komm.
267,14 mit Anm. 2 Pan, welchen Pindarus den vollkommensten der Götter nennet: W. bezieht sich auf ein
kurzes, bei Aristeid. 41,6 überliefertes Pindarfragment (fr. 99 Maehler). Dort wird Pan allerdings vielmehr als „der
vollkommenste Tänzer unter den Göttern“ (xopEvrr]v teXegotcitov Oecöv) gepriesen.
267,18 daher Pan (ppifyKoixqc;, der straubhaarige heißet: NachAnth. Gr. 16,291 (Anyte) weihte der Hirt Theudotos
cppt^OKÖpq Ilavi, dem struppig behaarten Pan und den Nymphen ein Geschenk. W. erwähnt dieses Epitheton des
Pan noch einmal GK2 S. 372 (GK Text S. 351,35) mit Stellenangabe. - Der straubhaarigte: struppig, sich sträubend.
DWB X,3 Sp. 937-940.
267,23 Mine: Gebärde, Gesichtszug, Gesichtsausdruck; um 1650 aus gleichbedeutend frz. mine entlehnt und
anfänglich noch, wie auch hier, in der frz. Schreibung. Das Dehnungs-ie ist erst seit Adelung allgemein.
Lit.: DWB VI S. 2172-2174; Paul S. 572; Kluge S. 477.
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267,1 derjenige Silenus ..., welcher den Bacchus erzogen: Wir benutzen die Bezeichnungen Satyr und Silen heute
meist als Gattungsbegriff für das auf zahllosen griech. Vasen dargestellte ausgelassene, undisziplinierte, weinseelige
Gefolge des Dionysos. In der Antike verhielt es sich in der Regel genauso. Doch gelegentlich tragen die Satyrn sowohl
auf Vasendarstellungen als auch in der Dichtung Eigennamen. Dabei wird unter anderen auch der Gattungsname
zum Eigennamen. Auffälligerweise ist gerade der als Silenos bezeichnete Silen sehr häufig als ein großer Weiser
dargestellt. Als solcher erscheint er bei Pindar fr. 157 (Snell; vgl. dazu Roscher IV [1909-1915] Sp. 505 s. v. Satyros)
oder auch in einer Sage, der zufolge ihn König Midas fangen ließ (Hdt. 8,138; Plut. mor. 115b [consolatio ad
Apollonium 27), um in den Genuß seiner Weisheit zu gelangen. Silenos tat dem Midas kund, derjenige Mensch
sei am glücklichsten, der nie geboren wurde. Pausanias, 6,24,8, berichtet, daß in Elis sogar ein Tempel für Silenos
stand. Als Erzieher des Dionysos bezeichnet sich Silenos (in diesem Falle allerdings ein verschlagener, hinterlistiger
Silenos) in den Eingangsstrophen zu Euripides' Satyrspiel „Kyklops“. - In der WA IV S. 79 ist ein längerer Einschub
in den Text der GK2 gemacht, der das hier im Komm. Erläuterte teilweise schon im Text erklärt. In Anm. 219 auf S.
291 bemerken die Hrsg.: „Wären wir so glücklich gewesen, Winckelmanns Hand-Ausgabe, welche die Wiener vor
Augen hatten, bey der Zusammenstellung des Textes vergleichen zu können, oder hätten die Wiener Hrsg, nur so
viel Achtung für Winckelmann und seine Leser gehabt, daß sie ihre willkürlichen Änderungen und Umstellungen
jedesmal mit Genauigkeit angezeigt: so würden wir die von Winckelmann selbst bestimmten Gesetze, nach welchen
er die einzelnen Theile wie das Ganze seines Werks behandeln wollte, nicht nur klar erkannt, sondern sie überall mit
kritischer Strenge beobachtet haben. Jetzt, da die Wiener Hrsg, die sorgfältigste Befolgung der Winckelmannischen
Handschrift vorgeben [...] und ihre Arbeit nichts destoweniger fast auf jeder Seite sichere unläugbare Spuren einer
willkürlichen eilfertigen Behandlung verräth, blieb uns nichts anders übrig, als das Gegebene so gut als möglich zu
benutzen, und das einzelne in den beyden Ausgaben und in den Anm. Zerstreute, nach den uns selbst aufgelegten
Regeln, zu einem Winckelmanns nicht unwürdigen Ganzen zu gestalten.“
267,9-10 Mahlzeit des Trimalchions'. Die Benennung spielt auf eine Episode in Petronius’ Satyricon an. Petro
Sancti Bartoli, Admiranda Romanarum Antiquitatum, Roma 1693 Taf. 43, deutete die Szene als „Trimalchio aus
dem Bade kommend, zum Triclinium geleitet“, wobei ihm die heute als Dionysos benannte Figur als Trimalchio
galt, von dem es Satyricon 28 heißt: „Dann (nach dem Bade) hüllte man ihn (Trimalchio) in einen pelzgefütterten
Scharlachmantel und hob ihn in seine Sänfte. [...] Während dieses Heimgeleits ist ihm ein Musikant mit einer
Pikoloflöte zu Häupten gegangen [...]“ (Übers.: Petronius Satyrica, Schelmenszenen, lat.-dt. von Konrad Müller,
Wilhelm Ehlers, Darmstadt 1983 S. 57). Die alte Benennung ist also nicht grundlos, denn Dionysos trägt ja in der
Tat einen weichen gefütterten Mantel wie Trimalchio und wird auf dem Relief außerdem änlich wie dieser von
einem Flötenspieler begleitet.
267,11-13 Silenus... dick und taumelnd auf seinem Esel: W. denkt zum einen sicher an den im 17. Jh. in der Villa
Giustiniani und spätestens seit 1756 in der Villa Albani befindlichen, heute nicht nachweisbaren Thiasos-Grabaltar,
der nur aus dem Stich in Galleria Giustiniana (1631-1635) II Taf. 147,2 bekannt ist und den W. im Nachlaß Paris
vol. 68 p. 187 erwähnt. Zum Altar vgl. Dietrich Böschung, Antike Grabaltäre aus den Nekropolen Roms, Bern
1987 S. 107 Nr. 822. Außerdem wird W. an den dionysischen Sarkophag in Woburn Abbey gedacht haben, der ihm
aus einer damals im Besitze Kardinal Albanis befindlichen Dal Pozzo-Zeichnung bekannt gewesen sein dürfte.
Schließlich stand ihm vielleicht auch noch das Relief Neapel, Nationalmuseum Inv. 27712, vor Augen, das er bereits
im Sendschreiben S. 93 (= SN 2,1 S. 129,31-33) anführte.
Lit.: Friedrich Matz, Die dionysischen Sarkophage II Berlin 1968 S. 195-196 Nr. 80 Taf. 96,1-2, 112,2; Elizabeth Angelicoussis, The Woburn
Abbey Collection of Classical Antiquities, Mainz 1992 S. 75 Nr. 61 Abb. 271, 286; Ville epala77i di Roma S. 136,30-36 mit Komm.
267,14 mit Anm. 2 Pan, welchen Pindarus den vollkommensten der Götter nennet: W. bezieht sich auf ein
kurzes, bei Aristeid. 41,6 überliefertes Pindarfragment (fr. 99 Maehler). Dort wird Pan allerdings vielmehr als „der
vollkommenste Tänzer unter den Göttern“ (xopEvrr]v teXegotcitov Oecöv) gepriesen.
267,18 daher Pan (ppifyKoixqc;, der straubhaarige heißet: NachAnth. Gr. 16,291 (Anyte) weihte der Hirt Theudotos
cppt^OKÖpq Ilavi, dem struppig behaarten Pan und den Nymphen ein Geschenk. W. erwähnt dieses Epitheton des
Pan noch einmal GK2 S. 372 (GK Text S. 351,35) mit Stellenangabe. - Der straubhaarigte: struppig, sich sträubend.
DWB X,3 Sp. 937-940.
267,23 Mine: Gebärde, Gesichtszug, Gesichtsausdruck; um 1650 aus gleichbedeutend frz. mine entlehnt und
anfänglich noch, wie auch hier, in der frz. Schreibung. Das Dehnungs-ie ist erst seit Adelung allgemein.
Lit.: DWB VI S. 2172-2174; Paul S. 572; Kluge S. 477.