Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Winckelmann, Johann Joachim; Borbein, Adolf Heinrich [Editor]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Editor]; Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Winckelmann-Gesellschaft [Editor]; Balensiefen, Lilian [Contr.]
Schriften und Nachlaß (Band 6,2): Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati: Roma 1767; Kommentar — [Darmstadt]: von Zabern, 2014

DOI chapter:
Volume Primo: A sua Emmineza, Indicazione. Prefazione, Trattato preliminare. Kommentar
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.58930#0054
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
52

Kommentare zu S. 1-132

verfocht man hernach mit so vieler Hitze, daß ein übrigens einsichtsvoller Schriftsteller, statt in der Figur des Jünglings Bestürzung
über den Antrag seiner Mutter, die ihn zur Blutschande verleiten wollte, wahrzunehmen, ein boshaftes Lächeln darin sieht, so wie es
sich für das gewöhnliche Betragen des Papirius gegen seine Mutter schicke (Du Bos reflex; sur la poesie etc. T. 1. P. 372).
Weniger kann man es tadeln, daß man einem andern sehr schönen Gruppo, das ehedem im Kabinette der Königin von Schweden,
jetzt aber zu S. Ildesonso in Spanien, existirt, die Namen des Castor und Pollux, oder wie Majfei glaubt (Majfei raccolto di stat.
tav. 121) des Phosphorus und Hesperus, beygelegt hat. Hätten indessen die Gelehrten bey der Erforschung des Inhalts desselben ihre
Zuflucht zur heroischen Geschichte genommen; so würden sie sich vielleicht der wahren Bedeutung mehr genähert haben. Dieses Werk
stellt nemlich zwey ganz nackende Jünglinge vor, von denen der Eine eine Schale in der rechten Hand [XII] hält, mit der Linken
aber den Andern umfaßt, der auf einen Altar, der zwischen Beyder Füßen steht, eine Fackel hält und eine Andere auf der Schulter
hat. Diesem Jünglinge zur Seite steht eine kleine weibliche bekleidete Figur, mit einem Kasten oder Gefäße auf dem Kopfe und in der
Stellung, als wollte sie einen Finger der rechten Hand den Lippen nähern, und mit der andern Hand das Gewand etwas in die Höhe
hebend. Um diesen Gruppo mit desto mehrerer Deutlichkeit zu erklären; habe ich es für rathsam gehalten, denselben aufder letzten
Seite vor der Vorrede in Kupfer stechen zu lassen.
Ob ich nun gleich nicht, wie bei dem vorhergehenden Gruppo, meine von der gemeinen Meinung verschiedene Vermuthung mit
gleicher Zuversicht vorlegen kann; so unterwerfe ich sie doch, da ich gerade nichts Unwahrscheinliches darin finde, der Untersuchung
des Lesers. Ich glaube nemlich, daß in diesem Gruppo die Freundschaft des Orestes undPylades und zugleich der Anfang der Electra,
eines Trauerspiels des Euripides, vorgestellt sey. Die beiden Jünglinge, welche bei den Alten zu den berühmtesten Mustern wahrer
Freundschaft gerechnet wurden (Bion Idyll ap. Fulv. Ursin. p. 245.), scheinen mir nemlich im Begriff zu seyn, den traurigen Vorsatz
auszuführen, die Mutter des Orestes, Clytämnestra, und ihren Buhlen Agesthus, umzubringen und so die Ermordung des Agamemnon
zu rächen, auf dessen Grabe sie, nach Art der Opfernden umkränzt, ein Stück Vieh nebst angezündetem Holze opfern (Euripid. Electr.
v. 90 seq.). Dieses Grab scheint durch den kleinen niedrigen Altar angedeutet zu seyn, welcher gerade so wie Diejenigen gestaltet ist, die
man auf die Grabhügel der Verstorbenen zu setzen pflegte. Auch nennt Aeschylus das Grabmahl des Agamemnon einen Altar (Choeph.
v. 104). Das Vorhaben, mit welchem sie umgehen, scheint durch die Fackel ausgedrückt zu seyn, welche meiner Voraussetzung zufolge
Orestes auf der Schulter in die Höhe gerichtet hält, gleichsam als wenn er einen Schlag damit geben und anzeigen wollte, daß er die
heilige Verrichtung vergessen habe, und das, was er in die Höhe hebt um damit zu schlagen, ein Gewehr und keine Fackel sey. In dieser
Stellung könnte man unserm Orestes auch das Beiwort Δασπλήτης, oder Einer, der mit der Fackel schägt (Conf. Palmer, execit. in
auctor graec. p. 793.), geben, so wie man der Hecate das Beiwort Δασπλήτις gab. Zu dieser vorhadb#enden Rache schickt sich auch
der etwas nieder hängende Kopfder andern Figur, indem man darin ein tiefes Nachdenken, das mit einem wichtigen Unternehmen
beschäftigt ist, wahrnimmt; und daher drückt ihre Stellung mehr den Affekt der Freundschaft, als die Aufmerksamkeit auf das Opfer
aus. In der weiblichen Figur endlich scheint der Künstler uns sein Sujet vor Augen zu legen gewollt zu haben. Sie stellt nemlich wahr-
scheinlich die Electra, des Orestes Schwester vor, welche in dem Augenblicke, da dieser mit seinem Freund am Grabe seines Vaters steht,
vom Euripides mit einem Gefäße voll Wasser auf dem Kopfe eingeführt wird (Eurip. 1. c. 1. 55.), um ihren damaligen Stand anzudeuten,
da der Buhle ihrer Mutter sie mit einem bloßen Landmanne verheirathet hatte. Selbst das Stillschweigen, das sie durch die Haltung
der Hand aus drückt, kann meine Meinung unterstützen, indem das Vorhaben ihres Bruders sehr geheim gehalten werden mußte.
Man mag indessen gegen meine Meinung, daß in den Werken der alten Bildhauer statt wirklicher Begebenheiten aus der Geschichte
vielmehr Gegenstände aus der Fabellehre vorgestellt seyen, auch anführen, daß alle Attribute und alle Convenienzen unwidersprech-
lich darthun, daß auf einigen geschnittenen Steinen und Münzen wirkliche Begebenheiten aus der Geschichte, wie z. B. aus dem
Leben Alexanders des Großen und aus der Geschichte der Römer, abgebildet seyen; so verliehre doch dadurch der von mir festgestellte
Grundsatz Nichts von seiner Festigkeit; denn was die Thaten Alexanders betrift; so waren dieselben eben so allgemein bekannt, wie die
Fabelgeschichte und die Thaten der alten Helden, und eben so in der Einbildungskraft der alten Künstler gleichsam einheimisch. Wenn
ich also behaupte, daß diese sich bloß an die Fabellehre hielten; so begreife ich darunter auch die Geschichte dieses Königs, welcher,
um seine Geschichte desto enger mit der Fabellehre zu verbinden, sich rühmte, daß er ein Abkömmling des Achilles, des Berühmtesten
unter den alten Helden, sey. Allein wieviel Denkmähler dieser Art giebt es überdem wohl? Ohne zu behaupten, daß nicht noch Andere
entdeckt werden könnten, giebt es, so viel ich weiß, jetzt nur ein Einziges, und dieses ist die Unterredung dieses Königs mit dem
Diogenes, welches von mir unter Nr. 174 beygebracht ist. Außerdem haben wir noch Nachricht von einer Schaale, um welche herum
die Thaten eben dieses Königs in sehr kleinen Figuren vorgestellt waren (Trebel in trig. tyran. in Quiete.). Eben dieses mag man auch
von geschnittenen Steinen und Münzen, und wenn man will, auch von einigen Rückseiten von Schaumünzen, sagen; Denn wenn wir
auf solchen Werken auch nicht gerade Gegenstände aus der Fabellehre vorgestellt sehen; so enthalten sie doch wenigstens Begebenheiten
[XIII] aus der allerältesten Geschichte Roms, die an die Fabelgeschichte grenzen oder, besser zu sagen, mit derselben auf das Engste
verbunden sind, wie z. B. der kurz vorher angeführte Raub der Sabinerinnen. Außerdem sieht man auch auf einer Schaumünze des
Antoninus Pius den Augur Nävius, wie er den Stein mitten von einander schneidet (Vaillant. num. imperat. max. mod. p. 122) und
 
Annotationen