Trattato premiliare [vorläufige Abhandlung] · Kommentar
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die Mythologie in Hetrurien einführten, dennoch die schönen Künste früher in Hetrurien als in Griechenland zu blühen anfingen.
Denn aufden Hetrurischen Denkmalen, welche bis jetzt entdeckt wurden, sie mögen von gebrannter Erde, oder von Marmor, oder
von Erz oder nur geschnittene Steine seyn, ist dieser und jener Zug aus der heroischen Geschichte der Griechen vorgestellt, und was
besondere Aufmerksamkeit verdient, selbst bis zu der Zeit hin, da die Griechen aus dem rohen Zustande traten und das Andenken an
ihre vornehmsten Begebenheiten auf die Nachwelt zu bringen anfingen, so daß man mit Hülfe der Hetrurischen Denkmale bis zu
den Anfängen der Griechischen Geschichte gelangt.
Zum Hauptbeweise dieser Einwanderung dienen die Griechischen auf Hetrurischen Denkmalen dargestellten Helden.
$. 8. Die älteste und berühmteste Begebenheit, an welcher die mächtigsten Staaten von Griechenland Theil nahmen, ist das Bündniß
derArgiver wider die Thebaner, vor dem Trojanischen Kriege, oder der Zug der sieben Helden wider Theben. Das Andenken dieses
Krieges aber hat sich nicht so in Griechischen Denkmalen, wie in Hetrurischen, erhalten. Denn fünf von den sieben Helden des
Argivischen Bündnisses finden sich mit ihren Namen in Hetrurischer Sprache auf einer Gemme des Stoschischen Museums, welche
zu den ältesten geschnittenen Steinen gehört, die man nur kennt.
[52] Tydeus, einer von diesen Helden, ist ebenfalls mit seinem Hetrurischen Namen aufzwey andern Gemmen geschnitten zu sehen.
Capaneus, ein anderer von diesen Helden, vom Jupiter durch den Blitz von der Leiter gestürzt, mit welcher er Thebens Mauern er-
steigen wollte, befindet sich also auf verschiedenen Gemmen geschnitten, die ebenfalls Arbeiten Hetrurischer Künstler zu seyn scheinen.
Die andern Griechischen Helden, die auf Hetrurischen Steinen und gleichfalls mit ihren Namen in Hetrurischer Sprache gebildet
worden, sind Theseus, und Peleus, Vater des Achilles. In dem Museum des Hrn. Duca Carajfa Roja zu Neapel findet sich ebenfalls
Achilles sammt seinem Namen von einem Hetrurischen Künstler in einen Stein geschnitten, welcher schon vom Grafen Caylus bekannt
gemacht worden. Aufeinem andern Steine sind Achilles und Ulysses gleichfalls mit ihren Namen in Hetrurischer Sprache vorgestellt zu
sehen, so daß man im Allgemeinen behaupten kann, daß alle Denkmale der Griechischen Kunst, die sich erhalten haben, in Absicht
des Alterthums den Hetrurischen weichen müssen. Ueberdies erhellt aus der Geschichte beyder Völker, daß die Kunst der Zeichnung
frühzeitiger in Hetrurien als unter den Griechen ausgebildet worden, und dieses ist nicht zu bezweifeln, nach einer Vergleichung der
Umstände dere Griechen mit denen, in welchen [53] sich Hetrurien befand zu den Zeiten, die auf gedachte zweyte Wanderung gefolgt.
Die Kunst wurde in Hetrurien geübt, als sie in Griechenland fast erloschen schien. Vom Frieden und der Freyheit in Hetrurien.
$. 9. Daß die Hetrurier nach dem Trojanischen Kriege einen tiefen Frieden genossen, da sich Griechenland in einer immerwährenden
Zerrüttung befand, können wir, ob wir gleich der ältesten Geschichte von jenen beraubt sind, dennoch fast mit Gewißheit aus der
Anzeige schließen, welche uns einige wenige Schriftsteller von ihrer Verfassung geben, woraus zugleich erhellt, daß dieselbe gleichför-
mig gewesen. Hetrurien war in zwölf Theile getheilet, von welchen ein jeder sein eigenes Haupt hatte, genannt Lucumo, und diese
Lucumonen standen unter einem gemeinschaftlichen Oberhaupte oder Könige, wie Porsenna scheint gewesen zu seyn. Diese zwölf
Häupter, wie auch das Oberhaupt, wurden gewählt. Solches wird noch mehr bestätigt durch die Abneigung, welche die Hetrurier
gegen die Könige anderer Völker bezeugten, und diese gieng so weit, daß, da die Bejenter, ihre Bundesgenossen, die vorher eine repu-
blikanische Regierung gehabt hatten, sich einen König wählten, die Hetrurier dem Bündnisse mit ihnen entsagten, und aus Freunden
ihre Feinde wurden. Die Regierung von Hetrurien scheint mehr demokratisch gewesen zu seyn: denn man handelte weder vom Kriege
noch vom Frieden, als nur [54] in den öffentlichen Versammlungen der zwölf Völker, die den Körper ihres Staats ausmachten, und
zu Bolsena in dem Tempel der Göttin Bolturna zusammen kamen. Eine solche Regierung, an welcher ein jeder im Volke Antheil
hatte, mußte auf den Verstand des ganzen Volks einen Einfluß haben, und den Geist und den Sinn erheben, ohne welche die Uebung
der schönen Künste nicht gedeihen kann. Es war also der Friede, der sich in Hetrurien durch die Vereinigung und Macht eines Volks
erhielt, welches über ganz Italien herrschte, und sich den angränzenden Völkern furchtbar machte, die vornehmste Ursache von
dem Hervorkeimen und Wachsthume der Künste unter ihnen.
Von der kläglichen Lage Griechenlands um eben diese Zeit.
$. 10. Griechenland hingegen befand sich um die Zeit, da es Kolonieen nach Hetrurien sandte, in der kläglichsten Lage und in bestän-
digen Empörungen, welche die alte Verfassung zerrissen, und den ganzen Staat umkehrten. Diese Verwirrung hub an im Peloponnes,
wo die Achäer und die Ionier die vornehmsten Völker waren. Die Nachkommen des Herkules, um diesen Theil von Griechenland
wieder zu erobern, kamen mit einem Heere, welches mehrentheils aus Doriern, die in Thessalien wohnten, bestand, und verjagten
die Achäer, hierauf warfsich ein Theil dieser Verjagten aufdie Ionier; sie wurden aber durch die andern Achäer von Lacedämon, die
Abkömm- [55] linge des Aeolus, wiederum vertrieben; daher flüchteten sie zuerst nach Thrazien und hierauf nach Kleinasien, wo
sie das von eingenommene Land Aeolien nannten, und Smyrna nebst andern Städten gründeten. Ein Theil der Ionier flüchtete sich
ins Atheniensische, ein anderer Theil verließ Griechenland undgieng ebenfalls nach Klein-Asien unter der Anführung des Nileus,
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die Mythologie in Hetrurien einführten, dennoch die schönen Künste früher in Hetrurien als in Griechenland zu blühen anfingen.
Denn aufden Hetrurischen Denkmalen, welche bis jetzt entdeckt wurden, sie mögen von gebrannter Erde, oder von Marmor, oder
von Erz oder nur geschnittene Steine seyn, ist dieser und jener Zug aus der heroischen Geschichte der Griechen vorgestellt, und was
besondere Aufmerksamkeit verdient, selbst bis zu der Zeit hin, da die Griechen aus dem rohen Zustande traten und das Andenken an
ihre vornehmsten Begebenheiten auf die Nachwelt zu bringen anfingen, so daß man mit Hülfe der Hetrurischen Denkmale bis zu
den Anfängen der Griechischen Geschichte gelangt.
Zum Hauptbeweise dieser Einwanderung dienen die Griechischen auf Hetrurischen Denkmalen dargestellten Helden.
$. 8. Die älteste und berühmteste Begebenheit, an welcher die mächtigsten Staaten von Griechenland Theil nahmen, ist das Bündniß
derArgiver wider die Thebaner, vor dem Trojanischen Kriege, oder der Zug der sieben Helden wider Theben. Das Andenken dieses
Krieges aber hat sich nicht so in Griechischen Denkmalen, wie in Hetrurischen, erhalten. Denn fünf von den sieben Helden des
Argivischen Bündnisses finden sich mit ihren Namen in Hetrurischer Sprache auf einer Gemme des Stoschischen Museums, welche
zu den ältesten geschnittenen Steinen gehört, die man nur kennt.
[52] Tydeus, einer von diesen Helden, ist ebenfalls mit seinem Hetrurischen Namen aufzwey andern Gemmen geschnitten zu sehen.
Capaneus, ein anderer von diesen Helden, vom Jupiter durch den Blitz von der Leiter gestürzt, mit welcher er Thebens Mauern er-
steigen wollte, befindet sich also auf verschiedenen Gemmen geschnitten, die ebenfalls Arbeiten Hetrurischer Künstler zu seyn scheinen.
Die andern Griechischen Helden, die auf Hetrurischen Steinen und gleichfalls mit ihren Namen in Hetrurischer Sprache gebildet
worden, sind Theseus, und Peleus, Vater des Achilles. In dem Museum des Hrn. Duca Carajfa Roja zu Neapel findet sich ebenfalls
Achilles sammt seinem Namen von einem Hetrurischen Künstler in einen Stein geschnitten, welcher schon vom Grafen Caylus bekannt
gemacht worden. Aufeinem andern Steine sind Achilles und Ulysses gleichfalls mit ihren Namen in Hetrurischer Sprache vorgestellt zu
sehen, so daß man im Allgemeinen behaupten kann, daß alle Denkmale der Griechischen Kunst, die sich erhalten haben, in Absicht
des Alterthums den Hetrurischen weichen müssen. Ueberdies erhellt aus der Geschichte beyder Völker, daß die Kunst der Zeichnung
frühzeitiger in Hetrurien als unter den Griechen ausgebildet worden, und dieses ist nicht zu bezweifeln, nach einer Vergleichung der
Umstände dere Griechen mit denen, in welchen [53] sich Hetrurien befand zu den Zeiten, die auf gedachte zweyte Wanderung gefolgt.
Die Kunst wurde in Hetrurien geübt, als sie in Griechenland fast erloschen schien. Vom Frieden und der Freyheit in Hetrurien.
$. 9. Daß die Hetrurier nach dem Trojanischen Kriege einen tiefen Frieden genossen, da sich Griechenland in einer immerwährenden
Zerrüttung befand, können wir, ob wir gleich der ältesten Geschichte von jenen beraubt sind, dennoch fast mit Gewißheit aus der
Anzeige schließen, welche uns einige wenige Schriftsteller von ihrer Verfassung geben, woraus zugleich erhellt, daß dieselbe gleichför-
mig gewesen. Hetrurien war in zwölf Theile getheilet, von welchen ein jeder sein eigenes Haupt hatte, genannt Lucumo, und diese
Lucumonen standen unter einem gemeinschaftlichen Oberhaupte oder Könige, wie Porsenna scheint gewesen zu seyn. Diese zwölf
Häupter, wie auch das Oberhaupt, wurden gewählt. Solches wird noch mehr bestätigt durch die Abneigung, welche die Hetrurier
gegen die Könige anderer Völker bezeugten, und diese gieng so weit, daß, da die Bejenter, ihre Bundesgenossen, die vorher eine repu-
blikanische Regierung gehabt hatten, sich einen König wählten, die Hetrurier dem Bündnisse mit ihnen entsagten, und aus Freunden
ihre Feinde wurden. Die Regierung von Hetrurien scheint mehr demokratisch gewesen zu seyn: denn man handelte weder vom Kriege
noch vom Frieden, als nur [54] in den öffentlichen Versammlungen der zwölf Völker, die den Körper ihres Staats ausmachten, und
zu Bolsena in dem Tempel der Göttin Bolturna zusammen kamen. Eine solche Regierung, an welcher ein jeder im Volke Antheil
hatte, mußte auf den Verstand des ganzen Volks einen Einfluß haben, und den Geist und den Sinn erheben, ohne welche die Uebung
der schönen Künste nicht gedeihen kann. Es war also der Friede, der sich in Hetrurien durch die Vereinigung und Macht eines Volks
erhielt, welches über ganz Italien herrschte, und sich den angränzenden Völkern furchtbar machte, die vornehmste Ursache von
dem Hervorkeimen und Wachsthume der Künste unter ihnen.
Von der kläglichen Lage Griechenlands um eben diese Zeit.
$. 10. Griechenland hingegen befand sich um die Zeit, da es Kolonieen nach Hetrurien sandte, in der kläglichsten Lage und in bestän-
digen Empörungen, welche die alte Verfassung zerrissen, und den ganzen Staat umkehrten. Diese Verwirrung hub an im Peloponnes,
wo die Achäer und die Ionier die vornehmsten Völker waren. Die Nachkommen des Herkules, um diesen Theil von Griechenland
wieder zu erobern, kamen mit einem Heere, welches mehrentheils aus Doriern, die in Thessalien wohnten, bestand, und verjagten
die Achäer, hierauf warfsich ein Theil dieser Verjagten aufdie Ionier; sie wurden aber durch die andern Achäer von Lacedämon, die
Abkömm- [55] linge des Aeolus, wiederum vertrieben; daher flüchteten sie zuerst nach Thrazien und hierauf nach Kleinasien, wo
sie das von eingenommene Land Aeolien nannten, und Smyrna nebst andern Städten gründeten. Ein Theil der Ionier flüchtete sich
ins Atheniensische, ein anderer Theil verließ Griechenland undgieng ebenfalls nach Klein-Asien unter der Anführung des Nileus,