Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Winckelmann, Johann Joachim; Borbein, Adolf Heinrich [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Hrsg.]; Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Winckelmann-Gesellschaft [Hrsg.]; Balensiefen, Lilian [Mitarb.]
Schriften und Nachlaß (Band 6,2): Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati: Roma 1767; Kommentar — [Darmstadt]: von Zabern, 2014

DOI Kapitel:
Volume Primo: A sua Emmineza, Indicazione. Prefazione, Trattato preliminare. Kommentar
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.58930#0144
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
142

Kommentare zu S. 1-132

lassen mich dieses glauben, und Salmasius vermuthet, daß die Herolde sich einen Strick bis auf eine gewisse Weite um den Hals schnürten,
um bey der starken Anstrengung im Blasen des Homs nicht etwa eine Ader zu zersprengen. Das Lob des Herolds in der Inschrift ist also,
daß derselbe kein Horn noch Strick nöthig gehabt, sondern daß er blos mit seiner Stimme die ganze Versammlung der Griechen in den
Olympischen Spielen überrufen und den Sieg davon getragen. Und ist dieses nicht hinreichend, um zu beweisen, daß die Capitolinische
Statue einen solchen Herold vorstelle? Ich glaube mit Personen zu reden, welche wohl wissen, daß seit der sechs und neunzigsten Olympiade
zu Elis auch ein Wettstreit zwischen den Hornbläsern Σαλπιγκταί und den Herolden eingeführt war; die Wettstreitenden standen auf
einer am Eingänge der Rennbahn gemachten Erhöhung und der Sieger erhielt eine Belohnung, welche, nach der angeführten Inschrift
zu urtheilen, in der Errichtung einer Statue oder in irgend einer andern Verewigung seines Namens bestand.
$. 111. Man könnte aber meiner Behauptung, daß die Capitolinische Statue einen solchen Herold vorstelle, den [171] Schild entge-
gensetzen, auf welchem sie liegt. Da man weiß, daß die Ausrufer und Herolde, die von einem Lande in das andere, und von einem
Heere an das andere abgeschickt wurden, den Herold-Stab (caduceus) trugen: so kann man wohl annehmen, daß sie zuweilen auch
einen solchen Schild zu tragen pflegten. Denn ein Schild schickt sich für einen Herold eben so gut als ein Spieß, wie man ihn in
der linken Hand einer unbekleideten Figur sieht, die einen Herold vorstellt, und auf einem Gefäße von gebrannter Erde in dem
Museum des Collegium Romanium gemahlt ist. Man erkennt diese Figur an dem Herold-Stabe, den sie in der rechten Hand hält,
während sie einen weißen Hut hinten aufdie Schulter herabgeworfen hat. (Diese Figur ist auf der VI. Kupfertafel zum gegen-
wärtigen Band sub B. in Kupfer abgebildet.) Wirklich pflegt man in Italien die Herolde, welche den Krieg ankündigen sollten,
nicht nur mit einem Herolds-Stabe, sondern auch mit einem Spieße abzuschicken, um ihn in das feindliche Land zu werfen. Und
warum sollte man nicht glauben, daß in Griechenland die Herolde statt eines Spießes mit einem Schilde, der eben so gut wie jener
ihren Auftrag andeutete, abgeschickt worden?
$. 112. Uebrigens könnte man auch noch einen Unterschied unter den Herolden machen, so daß die, welche im Kriege gebraucht
wurden, kein blasendes Instrument mit sich [172] geführt hätten. Aber wir wissen aus dem Athenäus, daß die Herolde von gewissen
barbarischen Völkern mit Flöten und mit einer Ley er an ihre Feinde abgeschickt wurden, um die Gemüther zu erweichen. Von
den musikalischen Instrumenten, welche solche Herolde in alten Zeiten mit sich führen mußten, ist wahrscheinlich der heutige
Gebrauch entstanden, von einem Heere an das andere Trompeter abzuschicken, welche das Geschäft der alten Herolde verrichten.
Wirklich sieht man auf einem Gefäße von gebrannter Erde in der Vaticanischen Bibliothek einen bis auf den Helm entwaffneten
Jüngling abgebildet; er hält ein vielfach gewundenes Horn, von welchem eine Art Fahne oder Standarte herabhängt, und er steht
unter einigen Kriegern indem er einer betagten Person, die unter der Halle eines Tempels oder Pallastes sitzt, die Hand reicht.
$. 113. Endlich könnte man fragen, wie und warum in der Capitolinischen Statue ein verwundeter und sterbender Herold abgebildet
worden. Obgleich ich nicht schuldig bin, hierauf zu antworten, nachdem ich glaube Gründe und Kennzeichen genug angeführt zu
haben, die uns in derselben einen Herold zeigen, will ich dennoch hinzufügen, daß hier Polyphontes, der Herold des Königs Lajus
von Theben, welcher zugleich mit seinem Herrn vom Oedipus ermordet wurde, abgebildet seyn könne. Oder, da man in dem Ge-
[173] sichte unserer Statue gewisse Züge bemerkt, welche von einer bestimmten Person entlehnt zu seyn scheinen: so könnte mit mehr
Grundgemuthmaßet werden, daß es etwa Anthemocritus sey, ein von den Megarensern erschlagener Herold der Athenienser. Man
zweifle nicht, daß diesem Herolde Statuen errichtet, und Sorgfalt angewandt worden, in derselben sein Bildnißzu treffen. Denn sein
Tod erschien, wie Pausanias meldet, von so großer Wichtigkeit, daß man glaubte, die Stadt Megara habe wegen dieser Verletzung des
Völker-Rechts den Zorn der Götter erfahren, und sich niemals, obgleich der Kayser Hadrianus ihr wohlwollte, wieder erholen können.
Auch sah man auf dem Wege, der von Athen nach Eleusis führte, ein Denkmal, das eben diesem Anthemocritus errichtet worden.
Widerlegung eines Gelehrten, welcher die Vergötterung des Homerus im Pallaste Colonna für ein Kunstwerk aus diesem Style hält.
$. 114. Aber, um wieder einzulenken, es ist schwer zu sagen, ob uns aus dieser Zeit des ersten Glanzes der Griechischen Kunst noch
andere Denkmale übrig geblieben. Für ein solches Denkmal kann ich nicht die Vergötterung des Homerus in dem Pallaste Colonna
halten, wie ein Britte aus einigen schwachen Gründen behauptet, die schon widerlegt waren ehe er sie vorbrachte. Dieses erhobene Werk
mit Figuren, welche noch nicht eine Spanne lang sind, würde seiner Meynung nach zwischen der zwey und siebzigsten [174] und vier
und neunzigsten Olympiade verfertigt seyn und der einzige Grund einer solchen Vermuthung beruht auf dem Worte ΧΡΟΝΟΣ, das unter
der Figur, welche die Zeit vorstellt, eingegraben ist und von ihm ΚΗΡΟΝΟΣ gelesen wird, weil Kircher, Cuper, Spanheim und andere
eine gleiche Schreibart dieses Worts angenommen haben. Indem nun der gedachte Brittische Gelehrte annimmt, daß die Schreibart
dieses Worts also sey, macht erfolgende Schlußreihe: KH bedeutete in älteren Zeiten den doppelten vom Dichter Simonides nicht vor
der zwey und siebzigsten Olympiade erfundenen Buchstaben X. Allein dieser Buchstabe und die drey andern von neuer Erfindung
wurden erst in der vier und neunzigsten Olympiade allgemein und öffentlich gebraucht, wie Pausanias bezeugt, und wir kurz vorher
erwähnt haben. Folglich muß die Vergötterung des Homerus im Pallaste Colonna, an welcher noch KH statt des X gebraucht ist, vor
der vier und neunzigsten Olympiade verfertigt seyn. Ohne zu bemerken, daß weder Cuper noch Schott, welche dieses Denkmal in
weitläufigen Abhandlungen erläuterten, einen gleichen Schluß aus den Buchstaben KHgezogen, würde Reinold allenfalls Beyfall
 
Annotationen