162
Kommentare zu S. 1-132
$. 175. Ich muß hier noch bemerken, daß Berkel die Nachricht des Plinius über den Ludius falsch verstanden, da er glaubt, daß dieser
Künstler der erste gewesen, der aufdie Mauer gemahlt habe: denn dieses war schon in den ältesten Zeiten und viele Jahrhunderte vor
diesem Römischen Mahler gebräuchlich.
Unter den unmittelbaren Nachfolgern des Augustus.
$. 176. Augustus war nach dem ersten Ausbruch seines Unwillens über die Atheniens er sehr milde und gütig gegen die Griechen und
ließ die ihnen bewilligten Vorrechte unverletzt. Auch Tiberius veränderte in dieser Hinsicht nichts, bis endlich die zü- [223] gellose
Begierede des Caligula alle Schranken überschritt. Dieser schickte den Memmius Regulus, welchem er seine Gattin Paulina geraubt
hatte, nach Griechenland mit dem Befehle, die besten Statuen aus allen Städten wegzuführen; auch wurde eine große Menge derselben
nach Rom gebracht, die der Kayser in seine Lusthäuser verth eilte. Dieser Befehl gieng auch auf die Statue des Olympischen Jupiter in
Elis von der Hand des berühmten Phidias; aber die Bau verständigen in Athen überredeten den Memmius, daß dieses Werk, welches
aus Gold und Elfenbein zusammengesetzt war, Schaden leiden würde, wenn man es bewegen und von seinem Orte rücken wollte; es
unterblieb also diese Unternehmung. Der Schade, den diese Statue gelitten, da sie zu den Zeiten des Julius Cäsar vom Blitze getrojfen
wurde, muß folglich nicht beträchtlich gewesen seyn, da man sie späterhin nichts desto weniger zu en führen Willens war. Zu solchen
Gewaltthätigkeiten wurde Caligula nicht aus Liebe für die schönen Künste verleitet, sondern aus einer rasenden Habsucht. Denn
zu eben der Zeit, als er in Griechenland die Tempel und öffentlichen Gebäude aller ihrer Statuen beraubte, ließ er in einem
Anfalle von tollem Neide alle die Statuen berühmter Römer niederreißen und zerschlagen, welche Augustus im Mars-Felde
errichtet hatte. [224]
$. 177. Aus dieser den Griechen ertheilten Freyheit ihre Verfassung zu behalten, mögte man vielleicht den hieraus entstandenen
Nutzen erweisen wollen. In solchem Falle würde hierher gehören ein Werk der Bildhauerey in der Villa Ludovisi, welches in
einer Gruppe von zwey Figuren besteht, und gemeiniglich für eine Arbeit aus der Zeit des Kaysers Claudius gilt. Es ist unter
dem Namen des Paetus und der Arria bekannt, weil man sich einbildete, daß in der männlichen Figur der Römische Senatur
Paetus, einer der Theilnehmer an der wider den Claudius gemachten Verschwörung des Scribonianus, und in der weiblichen
Figur, aus deren Brust einige Blutstropfen hervorquellen, die todte oder sterbende Arria, die Gattin des Paetus vorgestellt sey;
denn sie stieß sich, wie Plinius der Jüngere berichtet, selbst einen Dolch in die Brust, und reichte ihn hernach ihrem Manne,
damit er ein Gleiches thun mögte. Aber Tacitus erzählt, daß Paetus nicht dem Beyspiele seiner Frau folgte, und verdammt
wurde, sich die Adern zu zerschneiden. Maffei, der sich an die Erzählung dieses Geschichtschreibers erinnerte, und deshalb die
gewöhnliche Benennung dieser Gruppe verwarf, nahm seine Zuflucht zu der Geschichte des Mithradates, des letzten Königs
von Pontus, und glaubte, es sey in diesem Werke vorgestellt der Verschnittene Menophilus, welchem [225] Drypetina, die sehr
kranke Tochter dieses Königs an vertraut war, und welcher diese und sich selbst entleibte, damit sie nicht von den Feinden
mögte geschändet werden. Aber dieser Einfall von Maffei ist noch schlechter als die bekannte Benennung dieser Gruppe; denn
der vermeinte Verschnittene zeigt nicht nur alle Zeugungs-Theile ganz vollkommen und sehr gut ausgearbeitet, sondern er hat
auch einen Knebelbart, welcher die Oberlippe bekleidet. Indem ich mich also an den vorher aufgestellten Grundsatz halte,
findet ich es weit gegründeter, daß in dieser Gruppe, wie auch Jacob Gronov bemerkt hat, Macareus, der Sohn desAeolus, und
Canace seine Schwester und Gattin abgebildet sey, welche sich beyde nach einander tödteten.
Unter Nero.
Statuen aus Griechenland durch Nero weggefuhrt.
$. 180. Wir unterlassen jetzt alle Untersuchungen über Werke aus diesen Zeiten und bemerken vielmehr, daß Nero, der
Nachfolger des Claudius in der Regierung, gegen die Schätze der Griechischen Kunst eine ausgelassene Begierde bezeigte. Aus
dem Tempel des Apollo zu Delphi allein wurden fünfhundert Statuen von Erz genommen. Da nun dieser Tempel bereits zu zehn
Malen in den frühem Zeiten ausgeplündert worden, so kann man hieraus einen Schluß auf die Schätze dieses Tempels machen,
besonders wenn man erwägt, daß daselbst auch nach dem Nero und bis zu den Zeiten des Pau- [226] sanias und Hadrianus ein
Ueberfluß von Statuen vorhanden war, mit welchen viele andere Tempel ausgeschmückt wurden.
Der Apollo von Belvedere.
$. 181. Es ist glaublich, daß unter den durch Nero aus Griechenland geholten Statuen auch die Statue des Apollo im Belvedere und
der irrig sogenannte Fechter in der Villa Borghese gewesen; denn sie sind beyde in den Trümmern des alten Antium entdeckt, und dieses
war der Ort, wo Nero gebohren war und auf dessen Auszierung er sehr viel verwandte. Bianchini will zwar aus dem Stillschweigen
des Plinius in Hinsicht dieser beyden Statuen vermuthen, daß sie sich schon vor der Zeit dieses Kaysers in Antium befunden; aber wie
kann man in diesem Stillschweigen einen Grund zu einer solchen Vermuthung finden! Plinius erwähnt auch nicht der Pallas von
Kommentare zu S. 1-132
$. 175. Ich muß hier noch bemerken, daß Berkel die Nachricht des Plinius über den Ludius falsch verstanden, da er glaubt, daß dieser
Künstler der erste gewesen, der aufdie Mauer gemahlt habe: denn dieses war schon in den ältesten Zeiten und viele Jahrhunderte vor
diesem Römischen Mahler gebräuchlich.
Unter den unmittelbaren Nachfolgern des Augustus.
$. 176. Augustus war nach dem ersten Ausbruch seines Unwillens über die Atheniens er sehr milde und gütig gegen die Griechen und
ließ die ihnen bewilligten Vorrechte unverletzt. Auch Tiberius veränderte in dieser Hinsicht nichts, bis endlich die zü- [223] gellose
Begierede des Caligula alle Schranken überschritt. Dieser schickte den Memmius Regulus, welchem er seine Gattin Paulina geraubt
hatte, nach Griechenland mit dem Befehle, die besten Statuen aus allen Städten wegzuführen; auch wurde eine große Menge derselben
nach Rom gebracht, die der Kayser in seine Lusthäuser verth eilte. Dieser Befehl gieng auch auf die Statue des Olympischen Jupiter in
Elis von der Hand des berühmten Phidias; aber die Bau verständigen in Athen überredeten den Memmius, daß dieses Werk, welches
aus Gold und Elfenbein zusammengesetzt war, Schaden leiden würde, wenn man es bewegen und von seinem Orte rücken wollte; es
unterblieb also diese Unternehmung. Der Schade, den diese Statue gelitten, da sie zu den Zeiten des Julius Cäsar vom Blitze getrojfen
wurde, muß folglich nicht beträchtlich gewesen seyn, da man sie späterhin nichts desto weniger zu en führen Willens war. Zu solchen
Gewaltthätigkeiten wurde Caligula nicht aus Liebe für die schönen Künste verleitet, sondern aus einer rasenden Habsucht. Denn
zu eben der Zeit, als er in Griechenland die Tempel und öffentlichen Gebäude aller ihrer Statuen beraubte, ließ er in einem
Anfalle von tollem Neide alle die Statuen berühmter Römer niederreißen und zerschlagen, welche Augustus im Mars-Felde
errichtet hatte. [224]
$. 177. Aus dieser den Griechen ertheilten Freyheit ihre Verfassung zu behalten, mögte man vielleicht den hieraus entstandenen
Nutzen erweisen wollen. In solchem Falle würde hierher gehören ein Werk der Bildhauerey in der Villa Ludovisi, welches in
einer Gruppe von zwey Figuren besteht, und gemeiniglich für eine Arbeit aus der Zeit des Kaysers Claudius gilt. Es ist unter
dem Namen des Paetus und der Arria bekannt, weil man sich einbildete, daß in der männlichen Figur der Römische Senatur
Paetus, einer der Theilnehmer an der wider den Claudius gemachten Verschwörung des Scribonianus, und in der weiblichen
Figur, aus deren Brust einige Blutstropfen hervorquellen, die todte oder sterbende Arria, die Gattin des Paetus vorgestellt sey;
denn sie stieß sich, wie Plinius der Jüngere berichtet, selbst einen Dolch in die Brust, und reichte ihn hernach ihrem Manne,
damit er ein Gleiches thun mögte. Aber Tacitus erzählt, daß Paetus nicht dem Beyspiele seiner Frau folgte, und verdammt
wurde, sich die Adern zu zerschneiden. Maffei, der sich an die Erzählung dieses Geschichtschreibers erinnerte, und deshalb die
gewöhnliche Benennung dieser Gruppe verwarf, nahm seine Zuflucht zu der Geschichte des Mithradates, des letzten Königs
von Pontus, und glaubte, es sey in diesem Werke vorgestellt der Verschnittene Menophilus, welchem [225] Drypetina, die sehr
kranke Tochter dieses Königs an vertraut war, und welcher diese und sich selbst entleibte, damit sie nicht von den Feinden
mögte geschändet werden. Aber dieser Einfall von Maffei ist noch schlechter als die bekannte Benennung dieser Gruppe; denn
der vermeinte Verschnittene zeigt nicht nur alle Zeugungs-Theile ganz vollkommen und sehr gut ausgearbeitet, sondern er hat
auch einen Knebelbart, welcher die Oberlippe bekleidet. Indem ich mich also an den vorher aufgestellten Grundsatz halte,
findet ich es weit gegründeter, daß in dieser Gruppe, wie auch Jacob Gronov bemerkt hat, Macareus, der Sohn desAeolus, und
Canace seine Schwester und Gattin abgebildet sey, welche sich beyde nach einander tödteten.
Unter Nero.
Statuen aus Griechenland durch Nero weggefuhrt.
$. 180. Wir unterlassen jetzt alle Untersuchungen über Werke aus diesen Zeiten und bemerken vielmehr, daß Nero, der
Nachfolger des Claudius in der Regierung, gegen die Schätze der Griechischen Kunst eine ausgelassene Begierde bezeigte. Aus
dem Tempel des Apollo zu Delphi allein wurden fünfhundert Statuen von Erz genommen. Da nun dieser Tempel bereits zu zehn
Malen in den frühem Zeiten ausgeplündert worden, so kann man hieraus einen Schluß auf die Schätze dieses Tempels machen,
besonders wenn man erwägt, daß daselbst auch nach dem Nero und bis zu den Zeiten des Pau- [226] sanias und Hadrianus ein
Ueberfluß von Statuen vorhanden war, mit welchen viele andere Tempel ausgeschmückt wurden.
Der Apollo von Belvedere.
$. 181. Es ist glaublich, daß unter den durch Nero aus Griechenland geholten Statuen auch die Statue des Apollo im Belvedere und
der irrig sogenannte Fechter in der Villa Borghese gewesen; denn sie sind beyde in den Trümmern des alten Antium entdeckt, und dieses
war der Ort, wo Nero gebohren war und auf dessen Auszierung er sehr viel verwandte. Bianchini will zwar aus dem Stillschweigen
des Plinius in Hinsicht dieser beyden Statuen vermuthen, daß sie sich schon vor der Zeit dieses Kaysers in Antium befunden; aber wie
kann man in diesem Stillschweigen einen Grund zu einer solchen Vermuthung finden! Plinius erwähnt auch nicht der Pallas von