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Winckelmann, Johann Joachim; Borbein, Adolf Heinrich [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Hrsg.]; Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Winckelmann-Gesellschaft [Hrsg.]; Balensiefen, Lilian [Mitarb.]
Schriften und Nachlaß (Band 6,2): Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati: Roma 1767; Kommentar — [Darmstadt]: von Zabern, 2014

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Volume Secondo: Parte Prima della Mitologia sacra. Sezione II. della Deità in particolare. Kommentar
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https://doi.org/10.11588/diglit.58930#0351
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Parte Prima [:] Della Mitologia sacra Sezione II. Della Deitä in particolare · Kommentar

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[57] Fünf und zwanzigstes Kapitel.
Hercules.
I. Sehr schätzbar ist die Sch aale von weißem Marmor, die in der Villa des Kard. Alex. Albani befindlich und unter Nr. 64 und 65 in
Kupfer gestochen ist. Ihr Werth besteht indessen nicht sowohl in der Größe, ungeachtet ihr Umfang zwey und dreyßig Spannen beträgt
und sie darin wirklich alle bisher vorhandenen in Stein ausgehauenen Vasen übertrift, als vielmehr in dem, was darauf abgebildet ist.
Sie stellt uns nemlich die Thaten des Hercules vor. Allein auch diese Thaten an sich machen nicht den ganzen Werth der Bildhauerkunst
aus; sondern vielmehr die weiblichen Figuren, welche dabey zugegen und so schwer zu erklären sind.
Die Ordnung der Arbeiten und mühvollen Thaten des Hercules stimmt ganz und gar nicht mit derjenigen überein, in welcher er
sie den Schriftstellern zufolge verrichtet haben soll. Ich will deswegen aber nicht den Künstler tadeln, und ihn beschuldigen, als habe
er die gewöhnliche Ordnung, bloß aus Eigensinn verlassen; ich glaube vielmehr, daß er andern uns unbekannten Schriftstellern gefolgt
sey, welche sie in dieser Ordnung erzählt haben.
Der Kreis der abgebildeten Figuren fängt mit einer weiblichen Figur an, welche den rechten Fuß auf einen kleinen Felsen setzt und
in der linken Hand einen Palmzweig hält. Sie stellt wahrscheinlich, nach der Schilderung des Prodicus (Xenoph. Memor. L. 2. c. 1.), die
Tugend vor, welche Hercules in seiner Jugend in Gesellschaft der Wollust aufeinem Scheidewege antraf. Der Felsen kann den steilen
und mühvollen Weg andeuten, den ihm die Tugend zeigte, um zum Ruhme zu gelangen. Die Palme, welche in den Ringspielen das
Sinnbild des Sieges war (Poll. Onom. L. 3. segm. 152. Pausan. L. 8. p. 697.), kann auch hier den Lohn anzeigen, den Hercules von
seinen Thaten erwartete. Man sieht daher auch im farnesisch en Pallaste auf einem Gemählde des Hannibal Caracci, welches den
Hercules auf dem Scheidewege vorstellt, hinter demselben einen Palmbaum, als das Sinnbild seiner Siege.
Nach der Tugend erscheint auf unserer Schaale Hercules. Sowohl bey dieser, als bey allen übrigen darauf abgebildeten Thaten, hat
Hercules einen großen Bart. Allein hierin hat der Bildhauer gefehlt; denn einige dieser Thaten verrichtete der Held ja noch in einem
sehr jungen Alter, wie z. B. die Erwürgung des Löwen aufdem Berge Cythäron, ehe noch Euristheus ihm aufBefehl der Juno irgend
eine andere Arbeit aufgelegt hatte. Die Künstler zwey anderer Basreliefs haben besser als der unsrige Rücksicht auf das verschiedene
Alter genommen, in welchem Hercules seine Thaten verrichtete. Das Eine davon ist in Rom im Pallaste Albani, das Andere auf einem
Sarcophag in der Villa Ludovisi und Beyde stellen acht dieser herculischen Thaten vor. Denn bey den vier Ersten, welche sind die
Erlegung des nemäischen Löwen, der Hyder und des wilden Schweins und die Gefangennehmung des Hirsches der Diana, erscheint
der Held ohne Bart. Noch besser wird aufdem vorerwähnten Sarcophag sein jugendliches Alter durch den Kranz von Pappelblättern,
den er auf dem Kopfe hat, angezeigt, indem man weiß, daß er mit demselben noch eher bekränzt wurde, als ersieh mit der Löwenhaut
bekleidete. Denn es ist bekannt, daß man diesen Kranz, der eine Anspielung auf die ersten Pappelbäume war, die Hercules aus dem
Lande der Thesprotier nach Elis brachte, um die Rennbahn, auf welcher diefeyerlichen Wettrennen gehalten wurden (Pausan. L. 5.
p. 411. I. 4.), zu beschatten, den Figuren des jungen Hercules aufzusetzen gepflegt habe. Beweise davon sind die Figuren im Museo
capitolino (Mus. Capit. T. 1. tav. 84.) und in der Villa des Kard. Alex. Albani. Aus eben dem Grunde sieht man auch auf einem
Basrelief in der Villa Borghese den Hercules bey den vier vorhin genannten Arbeiten, so wie bey der fünften, welche die stymphali-
schen Vögel vorstellt, ohne Bart. Demungeachtet aber kann man nicht sagen, daß außer dem Verfertiger unserer Schaale alle übrigen
Bildhauer genaue Rücksicht auf das Alter genommen hätten, in welchem Hercules seine Arbeiten verrichtete. So gab es zum Bey spiele
ehedem eine unbärtige Statue desselben mit den Aepfeln in der Hand, welche er aus dem Garten der Hesperiden höhlte (Anthol.
L. 5. p. 388. I. 10.) und nach vielen ausgestandenen Mühseligkeiten aus Afrika herüber brachte. Außerdem aber giebt es viele andere
Statuen und Figuren, welche vorgenannte Aepfel in der Hand haben und dabey mit einem Barte vorgestellt sind.
Um aber wieder auf die Thaten des Hercules zu kommen, die auf unserer Schaale erhaben gearbeitet sind; so sind sie so
leicht zu erkennen, daß sie gar keiner Erklärung bedürfen. Die Schwierigkeit dabey besteht bloß in den weiblichen Figuren,
die man bey denselben erblickt.
Die erste hier vorgestellte That ist die Erlegung des Löwen. Es scheint dies aber nicht, wie ich gleich nachher zeigen werde, der
nemäische Löwe, sondern der vorhin von mir genannte Löwe vom Berge Cythäron, zu seyn. Hierauf erscheint Hercules, wie er den
Theseus aus der Gefangenschaft befreyet, in welcher ihn Aidoneus, König von Epirus, durch einen sehr bösen Hund, Cerberus genannt,
bewachen ließ. Diesen Hund führte Hercules mit sich und ließ ihn in der Stadt Hermon (Eurip. Here. für. v. 615.). Was die Ursach
dieser Gefangenschaft betrift; so setze ich voraus, daß sie dem Leser bekannt seyn wird. Der Hut, den Theseus hier aufdem Kopfe hat,
scheint ein Sinnbild der ihm vom Hercules wieder versehaften Frey- [58] heit zu seyn; denn er ist denjenigen ganz ähnlich, welche die
freygelassenen Sklaven bey den Römern zu tragen pflegten. Ja, selbst die römischen Bürger ahmten hierin den Sklaven nach, indem sie
Alle dergleichen Hüte aufsetzten, als sie das tyrannische Joch des Nero abgeworfen hatten (Xiphil. in Ner. p. 185. I. 28.).
Die sitzende Figur mit dem langen Talar und dem Scepter in der rechten Hand ist ganz der uns von Hesiodus (Athen. Deipn. L. 2.
p. 498. B.) gemachten Beschreibung ähnlich und daher ohne Zweifel Euristheus, König von Argos undMycene, von dessen Befehlen
Hercules nach der Veranstaltung der Juno abhing. Es ist eine jugendliche Gestalt, wodurch das Alter angedeutet wird, in welchem
 
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