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spruch nehmen, daß ich zeige, wie dieselben der einseitig voll-
endete Ausdruck eines wesentlichen und unentbehrlichen Bestand-
theils in der Culturgeschichte des deutschen Geistes sind. Für
sein tragisches Geschick dagegen kann ich hosfen, Jhre Theil-
nahme in einem allgemeineren und tieferen Sinne zu erwecken.
Je mehr ich mich in den inneren Gehalt seines Lebens vertieft
habe, um so klarer ist es mir geworden, daß der Widerspruch,
an welchem er zu Grunde ging, in umnittelbarem Zusammen-
hange steht mit einem der schwersten Probleme der modernen
Bildung nberhaupt, und daß sein Wahnsinn daS characteristische
Symptom snr eine sociale Krankheit ist, welche sich aus den eigen-
thüinlichen Verhältnissen des modernen Geisteslebens entwickelt
hat und immer gesährlichere und drohendere Gestalten annimmt.

Friedrich Hölderlin ist ein Sproß aus jener Generation
des schwäbischen Vvlksstammes, welche in der glänzenden Ent-
wickelung des deutschen Geistes am Ende des vorigen Jahr-
hunderts ihre unvergänglichen Spuren hinterlassen hat. 11 Jahre
jünger als Schiller, 5 Jahre älter als Schelling, ist er ein
Jähresgenosse Hegels: und mit eben diesen drei Genien finden
wir seinen Geist von Jugend an auf das Jnnigste verbunden.
Seiner ersten poetischen Thätigkeit hat unverkennbar Schiller's
Jugenddichtung ihren Stempel ausgeprägt, nnd noch später
durfte er dem verehrten Vorbilde schreiben, daß er „unüber-
windlich von ihm dependire". Mit den bciden Philosophen
verband ihn Schulbildung und Jugendsreundschast in so nahem
und lebhastem Austausch, daß wir in vielen Puncten zweisel-
hast sein müssen, was er ihnen verdankt und was er ihnen
gegeben hat. Er lebte in denselben Jdealen, er rang mit den-
selben Problemen wie sie: und wenn es jenen beschieden war,
sich darans zur Höhe der Klarheit und des Ruhmes empor-
Zukämpsen, so zog ihn die Schwere seiner Natur zu trauriger
Verkümmerunq nieder.

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