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281

Bei Jedem ist die Beurtheilung, welche er an sremden
oder eigenen Handlungen und Willensentscheidungen ausübt,
ein Product naturnothwendiger Entwickelung. Wir wachsen,
ohne es zu wissen, in eine bestimmte Lebcnsauffassung hinein.
Den weitesten Umkreis dieser ethischen Atmosphäre bildet sür
uns Europäer eine aus dem Kamps und der Arbeit der Bölker
gewonnene allgemeine Cultur; in immer größerer Verengernng
reihen sich daran Volkssitte und Standesgeist, Fanliliensinn
und persönliche Lebensgestaltung. Durch die Kreuznng aller dieser
Elemente entsteht eine solche Vielheit von Auffassungsweisen, daß
es völlig glaubhaft ist, wenn diejenigen, die auch in diesen
Dingen die Wunderkrast der Jnduction probiren, uns schließ-
lich versichern, daß zn etwas überall Geltendem, zu einem
„Sittengesetz", das überall als solches und als Princip der
Beurtheilung anerkannt würde, durchaus nicht zu gelangen sei.

Jndessen ist das Unglück vielleicht nicht so groß, wenn
die Urnsrage zu keinem Erfolge sührt und man dcsto mehr Ein-
kehr bei sich selbst hält. Denn wenn es ein Princip der
Moral, eine allgemeingiltige Norm der sittlichen Beurtheilung
überhaupt giebt, so muß es schon durch die Bestnnung des
Jndividuums gesunden und in derselben durch die unmittelbare
Evidenz erkannt werden können, mit der es sich als oonäioio
bins gna non sür die Möglichkeit einer allgemeingiltigen Veur-
theilung zum Bewußtsein bringt.

Fragen wir uns deshalb, was etwa in den Maximen
unserer Beurtheilung unerläßlich ist, wenn überhaupt ethisch
geurtheilt werden soll, so finden wir, ohne uns erst bei der
Ethnvgraphie Raths erholen zu müssen, daß nicht nur je nach
dem Standpuncte unserer eigenen Entwickelung, sondern schon
zu derselben Zeit je nach den verschiedenen Gegenständen und
Verhältnissen sehr verschiedene Maximen dabei in Betracht kom-
men, auf deren Erfüllung wir Werth legen. Die einzelnen
 
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