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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie — Freiburg i. B. [u.a.], 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.19220#0296
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282

.Jnhaltsbcstimmungen dieser Maximen beziehen sich aus empirische
Willensverhältnisse imd zeigen vermöge ihrer Abhängigkeit von
den besonderen Objecten und Zuständen des wirklichen Lebens
eine solche Mannichsaltigkeit, daß es keinen allgemeinen Jnhalt
giebt, der sich in allen gleichmäßig sände und durch inductive
Analyse daraus gefunden werden könnte. Dieselbe Unmöglich-
keit, auf welche man bei der Vergleichung der Jndividuen,
Völker und Zeiten stößt, Waltet also schon innerhalb des ein-
zelnen Bewußtseins ob.

Daraus folgt nun von vornherein — und es ist von
höchster methodischer Wichtigkeit, darauf gcnau ausmerksam zu
sein —, daß, wenn es überhaupt ein oberstes Princip der
Moral giebt, dasselbe zu den einzelnen ethischen Maximen nicht
im Verhältniß des Gattungsbegriffs zu seinen Arten stehen
kann. Eben deshalb läßt sich die Ethik weder nach deductiver
noch nach inductiver Methode behandelu: man kann weder, von
cinem allgemeinen Begriffe ausgehend, durch bloß logische Ope-
rationen die besonderen gewinnen, noch umgekehrt von den be-
sonderen zu dem allgemeinen aussteigen. Zwischen dem Princip
und den einzclnen Sätzen besteht kein analytischeS Verhältniß.

Schon am Jndividuum also läßt sich verstehen, weshalb
bei umsassender empirischer Betrachtung keine einzelne Jnhälts-
bestimmung dcr sittlichen Marimen als unerläßliche Bedingung
sür die allgemeingiltige Beurtheilung erscheint. Ebenso aber
wird es schon durch die individuelle Besinnung klar, daß die
Möglichkeit der Beurtheilung sosort aufgehoben wäre, wenn
nicht in jedem Falle irgend etwas verlangt und erwartet würde.
So unübersehbar und unvergleichbar verschieden dasjenige sein
mag, was verlangt wird, so unerläßlich für das Wesen der
ethischen Beurtheilung ist es, daß unter allen Umständen von
der Willensthätigkeit des Menschen irgend Etwas verlangt
wird. Wo man nichts verlangt und nichts erwartet, da ist
 
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