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auch von Beurtheilung keine Rede; für die Beirrtheiluug ist
eiu Verlangen, ein Gebot, das erfüllt wcrdeu soll, unerläßlich.

Jn der ethischen Terminologie nennen wir dies Gebot,
dessen Erfüllung oder Nichterfüllung die Benrtheilung bestimmt,
eine Pflicht, und so läßt fich behnupten, daß von ethifcher Be-
urtheilung überhaupt nie die Möglichkeit gegeben wäre, wenn
wir nicht ein Bewußtsein von Pflichten besäßen, die dnrchnus
erfüllt werden follen. Das Pslichtbewußtsein ist insofern
das Princip der Moral, als es die oberste Bedingung ist,
unter der sittlichcs Leben möglich ist. Was Pflicht ist, das
mag je nach den Umständen, Völkern und Zeitläufen ver-
fchieden sein; abcr, daß überhaupt eine Pflicht anerkannt werde,
ist die selbstverständliche, einem Jeden einleuchtende Grund-
bedingung des ethischen Lebens. Wer da leugnen wollte, daß
es überhanpt cin Soll für den Menschen giebt, wer gar
keinc Pslicht anerkennte, der niüßte seinerseits anf alle Beur-
theilung verzichten, und in ihm würden wir andererseits den
absolut Unsittlichen erkennen.

Das Pflichtbewußtsein ist also das allgemeingiltige Princip
der Moral. Dic einzelnen Pflichten mögen noch so cmpirisch
bestimmt scin, das Pflichtbewußtsein selbst ist a. xrlori, d. h.
es ist durch keine empirische Bestimmung zn begründen und
begründet vielmehr selbst crst die Möglichkeit der besonderen
Pflichten, wclche ihren ersahrungsmäßigen Jnhalt durch die
jeweiligen Verhaltnissc erhalten. Gegen diese Apriorität des
Pflichtbewußtseins enthält deshalb der Nachweis des empirischen
Ursprungs der cinzelnen Jnhaltsbestimmungen desfelben nicht
den geringsten Einwurf, und dieselbe wird auch nicht durch die
psychologische Theorie in Frage gestellt, welche die Veranlas-
sungen entwickelt, die in der empirischen Bewegung des indi-
viduellcn und des Gattungs-Bewußtseins znr Erfassung der
ethischen Pslicht gesührt haben und immer wieder sühren. Man
 
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