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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie — Freiburg i. B. [u.a.], 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.19220#0303
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wie von dm individuellen Verhältnissen unabhängig, dasür aber
auch secnndär und von untergeordneter Bedeutung. Sie
trefsen eben nicht den Jnhalt deS Pflichtbewilßtseins. Sie sind
Mittel sür die Herbcisührung dieses Jnhalts, und sie empfangen
ihren sittlichen Werth erst dnrch dcn Zweck, dem sie dienen.
Dieser ihr rcin sormaler Character tritt vor Allem darin her-
vor, daß die in diesen Pslichten verlangten Eigenschasten und
Thätigkeiten keinen ethischen Werth an sich darstellen, daß sie
keine selbständigen Tngenden sind. Denn da sie eben nur als
Mittel verlangt werden, so können sie als Mittel, ihrem bloß
sormalen Character gemüß, anch in den Dienst andercr und
sogar specisisch unsittlicher Zwecke treten. Selbstbeherrschung
z. B. ist lediglich ein bestimmtes Verhältniß der Motivation,
vermöge dessen gewisse Motive eine stcher nnd klar beherrschende
Stellung in dcn Vorgängen der Willensentscheidung einnehmen.
Diese „gewissen Motive" können die sittlichen sein — und
dann ist Selbstbeherrschung eine solche sormale Tugend —, sie
können aber auch unsittliche sein, und dann hat die Selbst-
beherrschung ihren sittlichen Werth verloren. Auch wer einen
ties unsittlichen Zweck der Herrschsucht, der Nache, des Eigen-
nutzes verfolgt, kann diese sormale virtno der Selbstbeherrschung
in hohem Grade besitzen. Jn diesem Falle hegen wir sür die-
selbe eine Art von (bekanntlich oft in der Tragödie benutztem)
ästhetischem Wohlgesallen, aber wir versagen ihr den ethischen
Beifall. Ganz dasselbe gilt von der Festigkeit und der Energie
des Willens u. s. s. Alle diese psychologisch-sormalen Bestim-
mungen erhalten ihre ethische Bedeutung erst durch ihre Unter-
ordnung unter den seinem Jnhalte nach sittlich bestimmten Willen,
dessen Zwecken gegenüber sie die unerläßlichen Bedingungen der
Realisirung darstellen.

Um so mehr aber zeigt sich, daß die Ethik sich mit dem
sormalen Princip des Pflichtbewußtseins und den aus demselben

Windelband, Präludien. 19
 
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