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Witt, Otto N. [Red.]
Weltausstellung in Paris 1900: amtlicher Katalog der Ausstellung des Deutschen Reichs — Berlin, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.1375#0136
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DEUTSCHE KUTIST

akademifchen Einflüflen im Wesentlichen unabhängig hat fich nur in Frankfurt am
Main und in Hamburg eine bodenwüdifige Kunft entwickelt.
München und Berlin find fo uerfchieden wie der deutfdie Horden und Süden, wie
Preußen und Bayern. Jahrzehnte hindurdt ift München die künftlerifche Hauptftadt
Deutrmlands. Hier herrfdit die Künftlerfdiaft faft wie ein Staat im Staate, üon hier
gehen Anregungen aus, die ganz Deutfdtland mit fich reiben. Und hier hat die deutfdie
Kunft die innigfte Berührung mit dem üolksleben. Denn München hat nodi ausge-
fprochen das Wefen der Stammeshauptftadt eines Bauernftaates. Ein wichtiges, im
Urtheil der Zukunft uielleidit das bedeutende Erzeugnis der Münchener Kunft, die
Karikatur großen Stiles, ift aus einer eigenartigen Befruchtung der akademifchen Kunft
durch den 6enius loci entftanden. Hirgend in Deutfdtland ift diefe Kunftgattung nur
entfernt fo früh, fo dauernd und fo uon Rllen gepflegt worden wie in München,
üon Kaulbach, dem Schüler des Cornelius, uon Schwind, dem genialen Erfinder,
uon Spiijweg bis auf den größten der lebenden, Hdolf Oberländer, geht die Ueber-
lieferung ohne Unterbrechung weiter, und wenn einmal das Cebenswerk der Fritj Ruguir
uon Kaulbach und Franz Stuck zufammengeftellt wird, dürfen ihre Karikaturen
nicht fehlen. In München erfcheinen die wichtigften deutfdien Witjblätter, die aus der uer-
gangenen Epoche flammenden „Fliegenden Blätter" und die modernere „Jugend". Setbft
das wi^ige Berlin hat nicht annähernd etwas Rehnlidtes heruorbringen können trotj
mancher Hnläufe. Das macht, der Münchener Künftler lebt in und mit einem üolke,
in delTen Seele das neckifche, fpottluftige Wefen quillt, das in einer befonderen und
dem bajuuarifchen Stamm eigenthümlichen Hrt des üolksliedes, dem „Schnadahüpfl",
fidi Cuft zu machen pflegt. In diefem Zufammenhange mu§ auch die Münthener 6enre-
malerei mit Defregger als oberftem üertreter betrachtet werden, wenn ihr Gerechtigkeit
widerfahren Toll, und auch der größte Münchener Maler der neueren 2eit, Ceibl, wurzelt
ganz und gar im Ceben des bajuuarifchen Stammes.

üon diefem öeift werden auch die aus anderen 6ebieten des Keidts nach München zie-
henden Künftler mit fortgeriffen. Selbft bei einem Manne wie Fri$ uon Uhde, der
äußerlich uom bajuuarifchen Humor unberührt fcheint, läjjt fich das örtliche Wefen Mün-
chens durchfühlen.

In München find uiele günftige Umfiände zufammengetreten, um diefes Uebergewicht
der Kunft zu erzeugen und zu erhalten. Pflege und Förderung der Kunft wurden
feit den zwanziger Jahren uon den Königen als eine ihrer Regentenpflichten mit Pafllon
betrieben. Was heute dort blüht, ift aus ihrer Saat erwachfen. fluch das flusftellungs-
wefen und der hochentwickelte Kunfthandel, die fich an das 1854 errichtete Rusftellungs-
gebäude des ölaspalaftes angefchloffen haben. Jahrzehnte hindurch waren die Mün-
chener flusftellungen für die ganze deutfdie Kunft epochemachend, und erft in jüngfter
Zeit erwuchfen ihnen Hebenbuhler in Berlin und in Dresden,
Während in München feit den zwanziger Jahren das künftlerifdie Ceben den Mittelpunkt
des Dafeins ausmachte, hat es fidi in Berlin fehr uiel langfamer entfaltet. Hoch zu
Anfang der achtziger Jahre befafj Berlin kein nennenswertkes flusftellungswefen. Die
grofjen flusftellungen der flkademie fanden nur alle zwei Jahre ftatt und wurden uom
lnlande ziemlich wenig, uom Ruslande faft gar nicht beachtet. Dauernde Rusftellungen
kleineren Umfanges hatte der Kunfthandel damals noch nicht eingerichtet; das geifiige
Ceben der Stadt war anderen Zielen zugewandt. Seit einem Jahrzehnt und nament-

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