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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 7.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.15409#0090
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82«

Der höfliche Kanzler.

Weicht klirren drohend mehr die Kanzlersporen, Die Dienstzeit wollt' der Reichstag gern verkürzen,
Tpil' Es stampft der große Reiterstiefel nicht; Nicht minder stark dann würde Deutschland sein.

Und nicht mehr donnert es in uns're Ohren Der Kanzler bittet: Nur nichts überstürzen,

Wie ein Kommando, wenn der Kanzler spricht. Für dieses Mal sagt die Regierung „Nein!"

Nein, höflich stet« zur Linken und zur Rechten Doch wird wahrscheinlich in den spätern Jahren

Weiß er die schwerste Ford'rung zu verfechten, Auch diesem Wunsche Rücksicht widerfahren —

Und was uns reizen kann zu Kampf und Streit, Jndeß wann jemals käme diese Zeit,

Darüber schweigt des Kanzlers Höflichkeit. Darüber schweigt des Kanzlers Höflichkeit.

Macht uns ein Wort des Kriegsministers Sorgen, Zum Schutz der Arbeit wurde viel versprochen,
Der sich in ZukunftSpläncn keck ergeht, Mit Ernst und Eifer auch an's Werk man ging,

Da spricht der Kanzler: Denket nicht an morgen, Doch was vollbracht ward in den letzten Wochen,
Zahlt heute nur, was auf der Rechnung steht. Wie war eS wenig doch und wie gering.

ES sind nur dreiundsiebzig Millionen, Normale Arbeitszeit dem Volk zu geben,

Da kann fürwahr kein Widerstand doch lohnen — Ist im Prinzip schon der Regierung Streben,
Was später folgen wird mit Sicherheit, Doch wann in Praxis sie dazu bereit,

Darüber schweigt des Kanzlers Höflichkeit. ! Darüber schweigt des Kanzlers Höflichkeit.

qQ~5^<^K3-

Schier unerträglich drückt in unfern Tagen
Der Lcbensmittelzoll den armen Mann,

Und wenn darob ertönen laute Klagen —

Der Kanzler hört sie mild und freundlich an.

Er glaubt es gern, daß indirekte Steuern
Dem Volk das schwer erworb'ne Brot vertheuern,
Doch ob man je zu helfen sei bereit,

Darüber schweigt des Kanzlers Höflichkeit.

Es rdgt sich mächtig in des Reiches Baue,

Das ganze Land erfüllt der Waffenklang,

Es wird gefördert ziellos bis ins Blaue
Das große Rüstungswerk im Thatendrang.

Kann die Nation — so hört man sorgend fragen —
Wohl auf die Dauer solche Lasten tragen?

Die Antwort liegt im dunklen Schooß der Zeit,
Es schweigt auch hier des Kanzlers Höflichkeit.

Berlin, Mitte Juli.

Lieber Jacob!

Wenn ick mir die Sache so recht ieberlejc, weeßte, denn finde ick doch
Manchet ziemlich vcrrickt uff de Welt. Warum kommen zum Beispiel de Heringe
nich jlcich mit Pellkartoffeln uff de Welt oder de jricne Aale nich jleich mit
Jurkensalat? Det mechtc ick wirklich jar zu jerne wissen, aber wie sehr ick
ooch simmelire, mir fallt davor kccn verninftijer Jrund in. „Man muß
den lieben Jott vor Alles danken", sagt Kiesecke, wie er vier Wochen jeangclt
un endlich 'ne Padde jefangen hatte, un so jeht et uns hier in Berlin ooch.
Wenn so jarnischt richtijet passiren will, worieber man sich freien kennte, na, denn
haben wir Berliner immer noch Forckenbecken, Wat der Oberbirjermeester is,
ick sage Dir, Jacob, der sorgt vor't Amüsement, un wenn't 'n Dahler kost't.
Uff Forckenbecken laß ick so leichte nischt kommen, denn det is 'n Kerl, der
in de Welt Paßt. Et is ja richtig, de Ferdebahnen will er nich in de
städtische Verwaltung iebernehmen, weil et ihm wahrscheinlich doch 'n bisken
zu dämlich wäre, wenn er als oberster Leiter von den janzen städtischen
Klimbim immer den Fcrdebahnanschluß verpassen dähte, wie er det bei
wichtije Abstimmungen in'n Reichsdag ja jlicklicher Weise an de Mode hat.
Na, wat liegt denn jroß an det janze Sozialistenjesetz, det is ja schnuppe, ob

wir det haben oder nich, een bcriehmt jewesener, anjehender Staatsmann
hat ja ooch mal jesagt, wie er zu 't jewehnliche Volk runterkletterte, det de
Hundesperre de Berliner unanjenehmcr wäre, wie det Sozialistenjesetz. Doch
davon nu nach Reine, ick wollte ja von Forckenbecken un sein neiestet Sommer-
verjnicjcn reden.

Denke Dir doch blos an, lieber Jacob, ick stehe Dir neilich Morjens
uff, un will mir de Beene 'n bisken vertreten un jleich mal Nachsehen, wat
woll vor Wetter wird, indem et jrade Sonntag war, wo ick natierlich det
Nachmittags 'n bisken in't Jriene rausländern wollte. Ick denke mir doch
jarnischt Beeset; wie ick aber mit een Mal 'ne Litfaßsäule in't Ooge kriege,
un lese da een'n mächtijen Uffruf von Forckenbecken an „unsere Mitbirjer",
det wir uns Alle an den jroßen Schützenbriedermumpitz möglichst vollzählig
betheilijen sollten, ih, da denke ick Dir doch jleich, mir tritt een Bulle uff't
Hienerooge, so freidig erstaunt bin ick. Weeßte, Jacob, hätte ick Forcken-
becken da uff'n Lausitzer Platz jchabt, ick sage Dir, ick hätte ihn umarmt,
det mir alle Knochen in'n Leibe jeknackt hätten, un hätte ihn eenen Bruder-
kuß jejeben, den se bis rieber uff de Rixdorfer Wiesen hätten knallen hören.

Er war ja leider nu nich anwesend, un so blieb ick denn mit meine
Jedanken alleene uff den Lausitzer Platz stehen. Det Erste, wat ick dachte,

Dir Laune drr Weltgeschichte.

Eine tragikomische Geschichte aus dem „tollen Jahr" 1848.

Von Hans Flux.

2(^8)|ie Sterne flimmerten schon am Himmel, als ein junger Mann
an den fürstlichen Park zu Rothenstein hcranschlich. Keck und
gewandt stieg er über die Mauer, ohne zu bemerken, daß eine
dunkle Gestalt ihm folgte und hinter einem großen alten Baum
verborgen ihm nachsah. Er hatte Eile und strebte einem dichten Gebüsch zu,
ans dessen Dunkel er aufgeregt nach dem fürstlichen Schlosse hinüberspähte.
Eine blendende Lichtfülle ergoß sich aus den Fenstern des Schlosses auf die
mit Sand und Kies bestreuten Pfade des Parks, über die man zuweilen
einen Lakaien geschäftig hineilen sah. Der junge Mann sah nach dem Lichter-
glanz hinüber und seufzte.

Schon nach wenigen Minuten ließ sich ein leises Rauschen von weib-
lichen Gewändern vernehmen und der junge Mann stieß einen Ruf der
Freude aus. Eine schlanke junge Dame in prächtiger Toilette, Hals und
Arme funkelnd von Gold und Edelsteinen, stand vor ihm, sie schaute ihn
mit zärtlichen Blicken an.

„Elisabeth!" rief er und zog sic stürmisch an sich. „Die Zeit der
Wunder ist noch nicht vorbei", rief er mit glänzenden Augen, „die Götter
steigen noch immer herab zu den armen Sterblichen. Du, die glänzende Hof-
dame, die Nichte Seiner Durchlaucht des regierenden Fürsten Eberhard des
Achtundachtzigsten von Rothenstein, schenkst Dein Herz dem armen Schul-
meister Arnold Wurm; die Prinzessin liebt den Bauernsohn."

„Ja", sprach die Prinzessin feierlich, „sie liebt ihn, seitdem sie ihn beim
Klavierunterricht kennen gelernt. Ich ziehe Dich den Gecken am Hofe vor.
Aber", fuhr sie fort, und ein düsterer Schatten flog über ihre Züge, „mein
Freund, es droht uns eine große Gefahr."

Arnold erschrak.

„Mein Oheim, Seine Durchlaucht, will mich heute Abend niit dem
alten Grafen von Meyerheim verloben."

Da loderte in dem Schulmeister der Zorn mächtig empor.

„Was?" rief er, „mit diesem gebrechlichen Greis, mit diesem . .."

„Ach", sprach die Prinzessin, „ich will den Alten um keine» Preis."

„Ich entführe Dich", sprach der Lehrer entschlossen.

„Aber wohin?"

„Wohin Du willst, nach Amerika, nach China, nach Island, das ist
mir Alle» einerlei!"

„Aber hast Du denn auch genügend Geld?" frug die Prinzessin.

Arnold erschrak. „Nicht viel!" stotterte er.

„Nun, dann werde ich etwas mitbringcn. Ich habe mein ganzes
Nadelgeld noch und meine Diamanten sollen mich nicht reuen, wenn ich sie
verkaufen muß. Lieber ohne Diamanten als mit dem Grafen Meyerheim
durchs Leben gewandelt!"

„O Du edelste aller Hochgeborenen", rief er freudig und gewann seine
ganze Zuversicht wieder. „Sieh, Du sollst Dein Herz keinem Unwürdigen
schenken, denn-"

„Denn Er ist ja auch ein Monarch, ein Schulmonarch", rief jetzt eine
barsche befehlende Stimme, deren Ton Elisabeth in die Knie sinken machte.
Der Fürst, denn er war es wirklich, stand in Galauniform, niit eincni
großen funkelnden Stern auf der Brust, vor den Beiden.

Arnold glaubte in die Erde versinken zu müssen vor dem strengen und
zürnenden Blick des als sehr selbstherrlich bekannten Landesfürsten; er wagte
kein Wort der Entgegnung.

„Flieh", hauchte Elisabeth.

„Du bekommst drei Wochen Stubenarrest für Deine dummen Streiche",
donnerte der Fürst sie an, „den frechen Menschen aber, der sich unterfangen,
meiner Nichte nachzustellen, laß ich einsperren bis er schwarz wird, und dann
mag man ihm den Prozeß machen. Er hat die schuldige Achtung gegen
seinen Landesfürsten außer Acht gelassen. He, Wache, greifet ihn!"

Aber die Wache kam zu spät, denn der Schulmeister war, den Rath
der Prinzessin befolgend, mit Windeseile im Dunkel der Nacht verschwunden.

„Den fangen wir schon", sagte Eberhard der Achtundachtzigste grimmig.

Elisabeth ward an diesem Abend wirklich mit dem alten Grafen Meyer-
heim verlobt und schien sich in ihr Geschick zu ergeben.

Des anderen Tags war das nächtliche Abenteuer im Park Stadtgespräch.

„Darum sieht der Schulmeister, der Wurm, die Bürgermädchen so
hochmüthig über die Achsel an", sagten einige mit heirathssähigen Töchtern
übermäßig gesegnete Mütter.

„Der Duckmäuser der!" sagten die Männer.

Arnold Wurm selbst blieb verschwunden. Er war von wildem Groll
und heißer Leidenschaft ganz erfüllt. Da lehnte er sich in seinem Innern
auf gegen den gestrengen Landesherrn, der ihm die Geliebte entriß, um sie
einem altersschwachen Höfling zu gebe». Der sonst so loyale Schulmeister
wälzte plötzlich revolutionäre Gedanken in seinem Haupt. Niemals hatte er
so viel über Gleichberechtigung nachgedacht, als in diesen Tagen, da er, steck-
brieflich verfolgt, in einer Dachkammer bei einem Freunde sich verborgen hielt.

Unterdessen waren die Märzstürmc von 1848 gekommen und auch Eber-
hard von Rothcnstein hatte den Wünschen des Volkes Gehör geben und ihm
einige Rechte verleihen müssen. Eine Bürgerwehr von dreißig Mann bildete
sich, uin die neuerivorbcncn Rechte zu schütze».

Aber die Rothensteiner waren damit noch nicht zufrieden, denn die alten
Lasten blieben dem Wesen nach bestehen und vom Hofe wurden die Bürger
 
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