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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 7.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.15409#0157
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893

„Jc stolzer wir die Fahne trugen, desto freudiger folgte uns das Proletariat,
denn desto klarer wurde dem Volke, daß wir fochten für die Erlösung der
darbenden Menschheit." In das dreifache Hoch aus die internationale Sozial-
demokratie, mit welchem Liebknecht seine Eröffnungsrede schloß, stimmten alle
Anwesenden begeistert ein.

Die Konstituirung des Kongresses wurde sodann unter voller Ein-
müthigkeit der Anwesenden vollzogen. Es wurden die Genossen Dietz und
Singer zu Vorsitzenden, Agster, Froh me, Ernst-Berlin, Müller-
Schkeuditz, Brüh ns, Schippel, Blos,Schwartz undOertel zu Schrift-
führern gewählt und nach kurzer sachlicher Debatte die Geschäftsordnung des
Kongresses festgestellt. Es hat sich noch selten ein sozialdemokratischer Kongreß
von vornherein so einmüthig gezeigt, wie dieser, von welchem die herrschenden
Klassen eine Spaltung der Sozialdemokratie erhofften.

Dir Ehrengäste vom Auslandr.

Dem Kongreß waren nicht nur Hunderte von Begrüßungstelegrammen
und Adressen aus den meisten Ländern Europas und Nordamerikas zugegangen,

cs hatten sich auch viele der hervorragendsten Freiheitskämpfer Europas persönlich
eingefunden, um den Vertretern der deutschen Arbeiter ihre Sympathien aus-
zudrücken und sie der Solidarität mit den Brüdern im Auslande zu versichern.

In der Sitzung am 13. Oktober erschienen bereits der bewährte hol-
ländische Sozialdemokrat Domela Nicuwenhuis, Anfcelc aus Belgien,
Branting aus Schweden, Mundberg aus Dänemark, die Wiener
I)r. Adler, Hauser und Pokorny, Beck aus der Schweiz und die Fran-
zosen Guesde, Ferroul und Duc-Quercy.

Domela Nicuwenhuis hielt, von lebhaftem Beifall des Kongresses
begrüßt, eine Ansprache, in welcher er die Grüße der Sozialdemokraten
Hollands überbrachte und in erhebenden Worten die internationale Zusammcn-
gehörigkeit der Arbeiter betonte.

k>r. Adler brachte den herzlichen Brudergruß der Oesterreicher, die
mit den deutschen Sozialdemokraten durch die innigsten Baude verknüpft sind.
Er erinnerte daran, daß in Oesterreich ein Zustand herrscht, der den des
deutschen Sozialistengesetzes bei weitem übertrifft, „und" — fügte er hinzu
j —■ „wir haben noch keinen 1. Oktober gefeiert. Aber Ihr Sieg ist nnscr
I L>ieg, denn cs ist durch ihn die Gewaltpolitik überall gerichtet".

Anmeldung der Delegirten.

Beide Redner fanden begeisterte Zustimmung. Ebenso die Rede Mund-
berg's, des Vertreters von Dänemark, welcher den Dank der dänischen Arbeiter j
überbrachte für die Art, wie die deutsche Sozialdemokratie den Ausnahmezustand
überwunden hat. Der Redner betonte auch die Wichtigkeit der ländlichen
Arbeiterfrage, welcher in Dänemark die vollste Aufmerksamkeit geschenkt ivird.

Die Rede des Vertreters Beek aus Zürich belebte ein Zug von Humor.
Er bedauerte, daß auch die Schweiz einigen deutschen Sozialdemokraten durch
Ausweisungen ein Leid zugefügt habe. Es hätten hier böse Beispiele die
guten Sitten verdorben. Mau müsse ein Volk nicht für seine Regierung
verantwortlich machen; man könne seinen Bruder innig lieben, ohne darum
für dessen Schwiegermutter Sympathie zu empfinden. Der Redner schloß
mit einem warmen Appell au die deutschen Sozialdemokraten, welche au der
Spitze des um seine Befreiung ringenden Proletariats marschiren.

Branting von Stockholm gab einen Hinweis auf die Entwicklung der
Sozialdemokratie in Schweden. Anseele schilderte die gesetzlichen oder viel-
mehr gesetzlosen Zustände in Belgien, welches das Eden des Kapitalismus
ist, durch das Streben der internationalen Sozialdemokratie aber noch zu
einem Eden für die Arbeiter werden solle.

Stürmisches Bravo begleitete die Darlegungen dieser Vorkämpfer der
ausländischen Sozialdemokratie.

Einer der interessantesten Momente des Kongresses war cs, als zu Beginn
der Nachmittagssitzung am 14. Oktober die französischen Sozialdemokraten
Guesde und Ferroul das Wort ergriffen. Guesde, welcher als Schrift-
steller auch dem deutschen Arbeiterpubliknm längst bekannt ist, wurde mit
stürmischem Beifall begrüßt. Er überbrachte die Grüße des französischen
Arbeiterkongresses zu Lille, der soeben getagt hatte und sprach in flammenden
Worten seine Bewnndorung für die deutsche Sozialdemokratie ans, an deren
eherner Rüstung die Waffen der Despotie zerbrochen sind. Er freute sich,
die deutsche Sozialdemokratie so einig zu sehen, wie sic es nie in höherem
Maße gewesen sein kann. Er werde den Genossen in Frankreich berichten,
daß die Spaltung in der deutschen Sozialdemokratie eine Bourgeoislüge
gewesen ist. lBcifall.) Auch die französischen Sozialdemokraten, versicherte
der Redner, folgen dem Marx'schcn Wahlspruch: „Proletarier aller Länder,
vereinigt Euch!" Anschließend hieran dementirte Genosse Guesde die von
der Bourgeoispresse verbreitete Meinung, daß der französische Arbeiter Sym-
pathien für das barbarische Rußland habe. Derselbe verachte in Rußland
die Despotie und er verachte die Bourgeoisie, welche sich in feiger Angst
vor dem Proletariat der russischen Barbarei in die Arme werfen möchte.
Zum Schluß brachte der Redner ein Hoch auf das sozialistische Deutsch-
land aus.
 
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