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930

KM neues Jahr! -

Dichter, Poftbot', Schornsteinfeger,
Glockenläuten, laut und klar,

Alles kündet und behauptet,

Daß jetzt kam' ein neues Jahr.

Am Sylvester mitternächtig

Hort man's durch die Straßen schrei'n.

Und ich Hab' es auch vernommen,

Doch es leuchtet mir nicht ein.

Ich erklär': es ist nicht wahr,

Nein! es kommt kein neues Jahr!

Ja, wenn plötzlich Steuernzahlen
Nur die Pflicht der Reichen wär',
Wenn wir nicht mehr bluten müßten
Für Marin' und Militär,

Wenn Caprivi froh Herrn Carnot
Reicht zum Bruderbund die Hand
Und das Geld im Juliusthurme
Würd' zum Arbeitsschutz verwandt, —
Dann wohl wär' es wirklich wahr:
Dann wohl käm' ein neues Jahr!

Wenn der Unternehmer Ringe
Schränkten die Behörden ein
Und dagegen froh begrüßten
Jeden Arbeits-Fachverein;

Wenn Bersammlungs- und Vereinsrecht
Künftig ungeschoren blieb',

Und die Freiheit selbst in Sachsen
Eine zarte Knospe trieb' — ■

Dann ja wär' es offenbar,

Dann ja käm' ein neues Jahr!

Wenn die Herren Aktionäre
Selber eilten zur Fabrik,

Um sich ihre Dividende
Zu verdienen mit Geschick;

Wenn der Herr Betriebsdirektor
Würd' am Samstag abgelohnt.

Weil die Kraft der Arbeitsleute
Er zu wenig hat geschont, —

Dann würd' es sich zeigen klar,

Dieses wär' ein neues Jahr!

Wenn der Windthorst und der Richter
Machen Streik im Parlament,

Wenn man keine Kompromisse
Zu des Volkes Schaden kennt.

Wenn der Arbeit Abgesandten
Man Gehör noch schenkt allein
Und nach ihrem Wunsch und Willen
Führt Sozialreformen ein —

Dann erkennt es Jeder klar,

Dann beginnt ein neues Jahr!

Doch ich seh' den alten Windthorst
Und Jrrlehrer Richter noch,

Seh' die Steuern und die Zölle
Und der Militärlast Joch,

Sehe, wie die Kapitalmacht
Immer noch die Welt regiert
Und wenn Ihr zu solchem „neuen"
Jahre nun euch gratulirt.

Da bekenn' ich es fürwahr:

Mir scheint dies kein neues Jahr.

M. K.

Berlin, zu Neujahr.

Lieber Jacob!

Nu is wieder een Jahr verjangen, wie der Mann meente, als er een
Bad nahm. Nu haben wir det erste Jahr von det letzte Jahrzehnt von bet
neinzehnte Jahrhundert rum, un wat haben wir nuT Na, ville is et jrade
nich, et is aber ooch jrade nich zu wenig, wie man et eben nehmen will.

So'n Silvesterabend, lieber Jacob, det is doch immer een Oogenblick
von eene jewisse Feierlichkeit. Du brauchst nu nich jleich zu denken, det ick
vielleicht Blasen weene vor lauter Melancholichkeit un Traurigkeit, ih, Jott
bewahre, nich in de Tiete, aber so an'n Silvester, da stecke ick mir immer
jerne eene von meine Extrajistnudeln mitten in't Jesichte rin un lasse natierlich
aus Versehen een paar Dröppkens Rum mehr in den Jrogk rinklukklern,
denn weeßte Jacob, vor schwache Jetränke habe ick von Jujend uff de schärfste
Abu eijung, un ick jloobe, det kommt von eene von meine Jroßtanten her,
die braute Dir nämlich eene Sorte Kaffee, der war so schwach, det er nich
alleene aus de Kanne rausloofen konnte. Doch davon janz abjesehen, ick
wollte mir blos bei Dir wejen meine Vorliebe vor eenen steifen Jrogk ent-

schuldijen, objleich ick dazu eijentlich woll jarkeenen Jrund habe, indem ick
nämlich jloobe, det Du ooch nich zu de Temperenzler jeheerst.

Doch scheen, et is also Silvester! So'n Dag siebt et nich alle Tage,
un er is janz dazu anjedahn, mal von unfern verninftijen Standpunkt aus
eenen Rickblick uff det verfangene Jahr zu duhn. Na, Jacob, vorijen Silvester
da hätte ick woll ooch Manchen vierkantig de Kellertreppe ruffjeschmissen,
wenn mir Eener Alles det prophezeit hätte, wat det Jahr nu wirklich Passirt
is. Ick jloobe, Du ooch, Jacob.

Kannste Dir woll 'ne Welt vorstellen, lieber Jacob, wo der jreeßte
Staatsmann, der unser irdischer Jammerthal jemals mit seine Jejenwart
bejlickt hat, so jut wie jarnischt mehr zu sagen hat? Na, det hätte uns
Eener vor'n Jahr sagen sollen, oder noch besser, det hätte „Ihm" Eener
vor'n Jahr sagen sollen, da hättest De de autojraphirten Strafanträje mal
so flizzen sehen sollen, da wäre Eener so rinjeschliddert nach Plötzensee, det
er vor det erste Jähreken det Rauskommen versessen hätte. Aber, Jacob,
wat det Merkwirdijste bei den janzen Rummel is, die Welt, von die Jeder
jloobte, dat se ohne „Ihn" aus de Fugen sehen wirde, die steht immer noch

Der weise Mandarin.

(Eine unvollständige Legende.)

s liegt im fernen Osten ein Reich, von Ruhm beglückt,

In dem die Armen leider die Last der Steuern drückt.

Wenn recht das Sprichwort hätte, wär' ihre Wange roth —

Sie leben höchst bescheiden von Salz und trock'nem Brot,

Und selbst auf Salz und Brot ruht zu der Armen Groll
Im Inland eine Steuer und an der Grenze Zoll.

Zum Fleische alter Pferde griff längst der kleine Mann,

Da Fleisch von Rind und Schafen er nicht erschwingen kann,

Und an des Brotes Stelle tritt zu der Nachbarn Hohn
Die leidige Kartoffel an vielen Orten schon.

Doch auch die baare Münze verschont der Fiskus nicht
Und Steuern zu bezahlen ist erste Bürgerpflicht.

Wer diese Pflicht versäumet, ist keiner Schonung werth,

Wird über seine Pflichten mit Nachdruck auch belehrt,

Man mahnt ihn ernst und dringend und droht nicht bloß zum Schein:
Es dringt in seine Wohnung der Exekutor ein;

Er sucht nach Werthobjekten selbst an verborg'nem Ort
Und Hausrath nimmt und Kleider dem Säumigen er fort.
Versteigert wird die Beute oft für ein Lumpengeld,

War zehnmal sie dem Armen sein Liebstes auf der Welt,

Knüpft an das alte Möbel sich ein Erinnern zart,

Hat er sich einst ain Munde den Kaufpreis abgespart.

Doch sei der Armen Jammer auch noch so thränenreich:

Der Staat hat seine Steuern — das Andre ist ihm gleich.

Was Rücksicht und was Schonung! Nur das Gesetz ist Norm,
Nur das Gesetz ist heilig und zwar in jeder Form.

Der Diener des Gesetzes wird weich vor keinem Schmerz;

Er waltet seines Amtes und bräch ihm selbst das Herz.

Sein Trost in trüben Stunden: „Es sind in unserm Reich

Die Armen wie die Reichen vor dem Gesetze gleich!"

* *

*

In diesem Reiche lebte in Würden und in Macht
Einmal ein Staatsbeamter, der's hoch und weit gebracht.

Sein Wandel ohne Tadel erwarb ihm Gunst und Lob,

Bis in den Stand des Adels sein Glück ihn noch erhob.

Drei Pfauenfedern zierten die Mütz' aus seinem Kopf —

Ein schimmernder Karfunkel war dieser Mütze Knopf,

Und schritt er stolz vorüber im seid'nen Prachtgewand,

So legte sich verneigend aufs Herz man seine Hand,

Beglückt, daß vor dem Tode man einen Blick gewann
Von dem gerechten, weisen und makellosen Mann.

Es schufen ihm die Eltern ein Nestchen weich und warm —

An dieser Erde Gütern war er durchaus nicht arm.

Allein an Ländereien, die stets er überwacht,

Besaß der Würdenträger der Millionen acht.

Nun ist's im Osten Sitte, daß der geborg'ne Mann
Gerichtlich sein Besitzthum zum Erbgut machen kann,

Das eine ew'ge Dauer in jedem Sinn verspricht,

Weil's nicht veräuß'rungsfähig und auch belastbar nicht.

Nun war gar hold dem Sparen der hohe Mandarin,

Weshalb es seinem Sinne schier unerträglich schien,

Daß eine hohe Summe der Staat von dem erhebt,

Der sein Besitzthum weise derart zu sichern strebt.

Nun, Mittel weiß und Wege ein Mandarin ja schon -
Er ließ sich also schenken das Viertel der Million,

Das sonst, nach dem Gesetze, als Stempel man erhob
Und das in seine Tasche der gier'ge Fiskus schob. —■

Ich kann euch nicht berichten, ob ihm der Streich gelang,

Ob man ihn doch am Ende zu voller Zahlung zwang;

Im Dunkeln bleibt, was weiter sich noch begeben hat —

Im alten Manuskripte fehlt just — das letzte Blatt. l.

Das Fideikommis.

Dusecke: Jestern war der Exekutor bei mich, et jab aber nischt zu holen.
Pusecke: Na, Du hast doch eenen janz juten Ueberzieher.

Dusecke: Freilich, — aber da könnt' er nich ran; den Ueberzieher Hab'
ick meinem ältesten Sohne als Fideikommis je stiftet, det kost' nischt
un is jut vor unvorherjesehene Fälle.

Paffender Vergleich.

Erster Handwerksbursche: Himmel, was hast Du für zerrissene
Stiefeln an! Oberleder und Sohlen, Schaft und Absätze, alles in Fetzen!

Zweiter Handwerksbursche: Ach, das macht nichts, ich komme aus
der Schweiz unfl die Stiefel sehen halt gerad so aus, wie das neue
Schweizer Asylrecht.
 
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