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1002

Einst und jetzt,

ls Zie auf Ihre Nacht einst durften pochen.
Als Ihre Größe noch in Blüthe stand,
Da haben Lie ein großes Wort gesprochen.
Das genial der große Haufe fand.

Lie meinten mit dramatischer Geberde,

Man lasse mit Vergnügen uns herein —
Logar ein weitres, drittes Dutzend werde
In Ihren Augen ganz willkommen fein.

Gehörig ward seitdem Ihr Aohl verhagelt
And epidemisch ward der Raupenfraß:
wird heute fest das stolze Wort genagelt,

Io macht es Ihnen sicher wenig Spaß.

Aus allen Winkeln tauchten auf die Lacher
Und legten aus den Händen selbst den Lkat:
Der Kanzler rang mit dem Zigarrenmacher,
Gleich Götz von Lindenau um ein Mandat!

Zo wird der Menschen bester Witz zu Nichte,
wo seine Waffen immer er entlieh,

Ielbst wenn manBismarck heißt,vor derGeschichte
Und ihrer seinen, kühlen Ironie.

Io ist vom Pferde man herabgekommen
In wenig Jahren kläglich auf den Hund,

Io schlägt, je voller wir ihn einst genommen.
Uns die Geschichte spottend auf den Mund!

Nanu is et mit eenmal Friehling jeworden, de Böhme schlagen aus
un de Unternehmer ooch, un der Kohl schießt, un wenn De bet nich jloobst,
na, denn lese blos de Kapitalistenzeitungen, denn wird Dir schon een Seefen-
sieder ufsjehen, det Dir de Oogen thränen.

Aber laß det man jetzt jut sind, kommen wir ieber den Hund, denn
kommen wir ooch ieber den Schwanz, un de Hauptsache is, det et nu wirk-
licher rejulärer Friehling jeworden is, un det man nu mal raus kann aus
de olle muffijs- Bude, det man sich mal draußen een bisken umsehen kann,
un denn kannste sagen, wat De willst, et jeht doch nischt ieber de freie Natur,
det heeßt, wat wir hier so Natur nennen. Ratierlich zuckst Du nu de Achseln
un denkst: „Na, mit seine Berliner Natur kann mir Jotthilf nu schon jestohlen
bleiben; mit die zwee verdrockente Kiehnböhme mit die schwindsüchtijen paar
Kiehnäppel dran, da können de Berliner doch janz bestimmt keene Bilder
rausstechen!" Da biste nu aber janz bestimmt mit'n Torfkahn ieberjefahren.
Hier bei uns is et jeuau so schecne, wie bei Eich, un wenn in meine Stamm-
kneipe der Jarten frisch anjestrichen is, det De vierzehn Dage lang immer
mit den Hosenboden an de Stiehle kleben bleibst, un der Wirth hat seine
zwee Oleanderböhme abjestoobt un se malerisch an jede Seite von den Brunnen
uffjestellt, un ick sitze denn majestätisch in 'ne Laube von janz neie Latten —
na, Jacob, wat meenste woll, wat da de Elle von kost't! Aber det is noch
lange nich Allens von Naturjenüsse, die ick mir so jetzt an die scheene laue
Friehlingsabende leiste. Bon die jroße Weiße mit die neethije Strippe dazu
will ick schweifen, denn die drink ick in'n Winter ooch, un von meine lange
Feife sage ick ieberhaupt nischt, denn die rooche ick immer, — aber uff unsere
Nachbarschaft da is Dir een Kater, Jacob, un der singt Dir jrade um die
jetzige Zeit Liebeslieder, nee, weeßte, da is wirklich det Ende von weg. Ick
sage Dir, da is de Patti'n jarnischt dajejen.

Na, seehste Jacob, wenn ick da nu so sitze un mache de Oogen zu un
laß mir den Rooch von meine Feife so um de Neese rumspielen un lausche
uff den Kater, denn zieht so unser janzet politischet Leben an mein inneret
jeistijet Ooge vorbei. Det sind meine scheensten Stunden. Denn denke ick
blos an Staats- un jelehrte Sachen: wat der Scheffel Kartoffeln un de
Fuhre weißen Sand kost't. Et is ja selbstredend, det so'n richtijer Politiker
ooch seine Mußestunden blos mit de Politik verbringt, un ick bedaure denn
blos immer in'n Stillen, det se mir noch nich uff die richtije Stelle hinjesetzt
haben, wo ick eigentlich hinjeheere. Na, wat nich is, kann ja immer noch
werden, un et is noch keen Meester an eenen Dag erbaut worden. Aber
laß man jut sind, ick habe Zeit zu warten, un det Eenzige, wat unser Eenen
immer noch so uff de Beene erhält, det is die frohe Aussicht, det wir unsere
Lebensdage mal bei die mächtije Rente von dreiundreißig un een Drittel
Fennig beschließen kennen. Det is nämlich so eener von meine Haupt-
zukunftstreime. Wat werde ick blos mit die Masse Draht anfangen? Ob
ick mir 'ne Villa in'n Thierjarten zuleje oder ob ick mir man blos mit 'ne
Sejeljacht bejnieje? Die Frage macht mir bitte Koppzerbrechen.

Et is blos schade, det die janze Herrlichkeit bei mir noch'n Weileken
dauert. Ick bin jetzt noch so Eener, wat man „in de beste Jahre" nennt,
zwar ooch schon 'n bisken baufällig, aber wer nich jenau hinseht, der merkt
noch jarnischt. Ick habe mir schon jewinscht, det ick die Zeit bis zu mein
siebzigstet Lebensjahr verschlafen kennte, so ähnlich wie Dornröschen, wenn
De von die Jeschichte schon wat jeheert haben solltest. Du brauchst nich jleich
jrob zu werden, ick meene et wirklich ernsthaft. Stell' Dir mal die Sache vor.

Ick sitze also hier in die neie Lattenlaube, un drussele so bei de finfte
Weiße un de siebenten Strippe so langsam un allmählich in. Offen jestan-
den, jloobe ick ja nu nich, det ick mit Dornröschen ooch blos 'ne entfernte
Aehnlichkeit hätte. Davor is meine Neese in'n Laufe der Zeiten doch 'n
Bisken zu roth jeworden — aber det kommt nich etwa von't Drinken her,

Dir Verschärfung der Freiheitsstrafen.

erfammelt waren die Kriminalisten
In der berühmten alma mater Halle;
Zuchthausvorsteher waren's und Juristen,

Auch Staatsanwälte — ja, wer kennt sie alle!

Da tagten sie, des strengen Rechtes Kenner,

Wie Weise wahrhaft ernstlich tagen sollen,

Drum will ich Euch, Ihr biedern Zuchthausmänner,
Mit diesem meine Anerkennung zollen.

Ich dachte mir, es würden diese Herren
In ihrer Herzensgüte dort berathen,

Wie es denn möglich sei, die einzusperren
Man nöthig fand für kleine Missethaten,

Mit Güte möcht' in bess're Wege lenken,

Ihr traurig Loos nach Kräften, ihnen mildern,
Damit sie von der Menschheit besser lernen denken
Und im Gemüth nicht ganz und gar verwildern.

Auch dachte ich, daß die Kriminalisten
Gerecht zwar fühlen würden, aber milde,

Und sich der Mehrzahl nach als gläub'ge Christen
Ausrichten an des Nazareners Bilde;

Doch nichts von dem! Kein Mitleid mit den Schächern,
Wie man es fühlt mit unerzognen Kindern,

Nein, keine Gnade, hieß es, den Verbrechern,
Falsch wär' es, wollt' man ihre Strafe lindern!

Zu üppig noch ist das Gefängnißleben,

Zu milde noch sind die sonst strengen Wärter,
Noch schmäler muß die schmale Kost man geben, -
Die Lagerstätte muß man machen härter;

Fort mit dem Strohsack und den dürren Matten,
Fort mit des Himmels hoffnungsfreud'ger Helle,
Legt die Gefangenen auf scharfe Latten,

Gebt strafverschärfend ihnen dunkle Zelle!

In diesen Punkten fühlten sie gemeinsam,

Ganz zuchthausherrscherlich die Herrn in Halle,
Nur wußten sie nicht, ob vereinsam
Die Prügelstrafe sei mit diesem Falle;

Man hörte wohl die Ruthenhiebe loben
Als „Willkomm und Abschied" der alten Zeiten,
Doch hat man diese Frage aufgeschoben,

Um später sie auf's Neu' zu unterbreiten. —

Wie das die Welt anstaunt und baß bewundert,
Was sie in Halle dort zu Tage fördern
Im aufgeklärten neunzehnten Jahrhundert,
Nicht den Brandstiftern etwa und den Mördern,
Nein, jenen, der zum ersten Mal vergangen
Sich gegen Eure harten Strafgesetze,

Den möcht' am liebsten man gleich hangen,
Daß er nie mehr das heil'ge Recht verletze.

Nun mögen freuen sich die Redakteure,

Die in der Opposition noch männlich stehen,
Wenn diese Wünsche der Reaktionäre
Aus Halle endlich in Erfüllung gehen;

Auf scharfer Latte und in dunkler Zelle,

Ihr oppositionell verbohrten Käuze,

Wie werdet Ihr reumüthig dann und schnelle
Bei Brot und Wasser kriechen gern zu Kreuze!

La belle Trance.

Von Böranger redivivus.

s war einmal ein Mägdelein,
So niedlich und brünett,

Gar leidenschaftlich von Geblüt,

Nicht wenig auch kokett.

Die Freiheit liebte sie so sehr
Und kam ein Freiersmann daher,

Da lachte sie: „Haha, ein Mann!
Mich soll, mich kann
Nicht fesseln ein Tyrann!"

Mit ihrer blonden Nachbarin
Bekam einmal sie Streit;

Sie rauften sich, sie zausten sich,

Es siegt' die blonde Maid.

Mit ihren Armen stark, robust,
Schlug sie die Andre auf die Brust

Und raubt' noch ein Geschmeide gar
Aus ihrem Haar,

Ein golden Taubenpaar.

Drob die Brünette Haß und Groll
Tief hegte im Gemüth,

Auf Rache, Rache war entbrannt
Ihr hitziges Geblüt.

Und so die Nachbarin sie sah,

Als wär' es Satans Großmama,

Ward sie, erst lieblich noch und mild,

Ein Engelbild,

Sogleich fuchsteufelswild.

Ihr eines Tags ein Lümmel naht,

Gar ungeschlacht und roh,

Der sprach: „Ich will dein Rächer sein!"
Deß war sie innig froh.

Schloß mit ihm einen Herzensbund,
Nahm seinen Arm, küßt' seinen Mund.
Die Launen sein sie all' ertrug,

Nichts ab sie schlug;

Das ward ihr schwer genug.

O Mädel, Mädel, dummes Ding,

Thust mir im Herzen leid:

Daß du den Lümmel nahmst zum Schatz,
Das war nicht sehr gescheid.

Bald wird der Flegel fürchterlich
Durchbläun mit seinen Fäusten dich
Und mit den Juchtenstiefeln sein,

O weh! o Pein!

Traktiren dich nicht sein.

O Mädel, du, so fein, so frei,

— 's ist eine wahre Schand'! —

So reiß dich los und reiche flugs
Der Nachbarin die Hand.

Nicht bringt die Rache dir Gewinn.

Hilf lieber deiner Nachbarin
Zu weben an dem rothen Kleid,

Solid und weit:

Sozialgerechtigkeit.

J. st.
 
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