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an athmete ihr ganzes Auftreten einen tiefen, glühenden Haß gegen
Paris und die Republik, wie sie denn auch — was sich ja später
offen heransgestettt Kat — in ihrer überwiegend monarchisch-klerikalen
Zusammensetzung keinen Ge-
danken mehr genährt hatte,
als den der Wiederherstellung
des Königthums. Und das
verhaßte Paris war es eben,
das sie dabei am meisten, ja
das sie ganz allein fürchtete.

Sein Widerstand mußte darum
vor Allem gebrochen werden
und zwar durch die Entwaff-
nung der Nationalgarde. —

Durch das Dekret vom 15.

Februar wurde verfügt, daß
nur noch diejenigen National-
gardisten ihren Sold erhalten
sollten, die sich mit Arbeits-
losigkeit ausweisen konnten.

Dieser pfiffige Plan mißglückte
vollständig.

Thiers, das Haupt der
Exekutivgewalt, von dem es
bis dahin allgemein bekannt
war, daß er orleanistische Re-
staurationstendenzen verfolgte,
hatte den Feldzug gegen Paris
damit eingeleitet, daß er drei
staatsstreichfreundliche Gene-
räle mit den wichtigsten Posten
betraute. Der Dezembermann
Vinoy wurde zum Oberbefehls-
haber der regulären Truppen,
der nicht viel minder berüch-
tigte Aurelle de Paladines zum
Oberkommandanten der Na-
tionalgarde und der ihnen
ebenbürtige General Valentin
zum Polizeipräfekten ernannt.

Fügt man dem die militäri-
schen Tagesbefehle hinzu, in
welchen die Energie betont
ward, mit der man das Eigen-
thum beschützen wolle, das
niemals weniger als damals
in Gefahr stand; die lügneri-
schen offiziellen Depeschen, wo-
mit man in ganz Frankreich
Stimmung gegen Paris zu
machen suchte; die Unterdrück-
ung mehrerer republikanischer
Volksblätter; die gerichtliche
Verfolgung der an der Bresche
stehenden Republikaner — De-
lescluze wurde ins Gefängniß
geworfen, Flourens, Blanqui
u. A. zum Tode verurtheilt —
konnte es da Wunder nehmen,
wenn Staatsstreichgerüchte in
Umlauf kamen und die Natio-
nalgarde weniger als je ge-
neigt war, ihre Waffen aus-
zuliefernd

Die Versammlung von
Bordeaux wollte Paris, soweit
es nicht zu den oberen Zehn-
tausend zählte, absichtlich in die Revolution Hineintreiben; am
10. März wurde ein Dekret erlassen, wonach alle am 13. August bis
inkl. 12. Nov. 1870 fällig gewesenm Wechsel, deren Zahlung in

Folge des Krieges auf unbestimmte Zeit vertagt worden war, vom
13. März an, also schon 48 Stunden nach Erlaß des Dekrets, ein-
getrieben werden durften, was zur Folge hatte, daß bis zum Vorabend

Aber nicht genug an dem; in derselben Sitzung hatte die Ver-
sammlung in Bordeaux dem verhaßten Paris auch noch den Schimpf
angethan, es für unwürdig zu erklären, die Nationalversammlung


Die Proklamirung der Kommune.

des 18. März nicht weniger als 150000 Wechsel protestirt wurden,
wodurch 45 000 Angehörige der Pariser Mittelklasse — Kaufleute und
Kleinindustrielle — von Bankerott und Entehrung bedroht waren.

und Negierung in seinen Mauern zu beherbergen und hiefür Versailles
besttmmt. Paris wurde im vollen Bewußtsein gereizt. Sie wollten
den Krieg, sie sollten ihn denn auch haben.

111.

Daß Thiers den Krieg mit Paris gewollt, von vornherein
gewollt, das leuchtet aus der „Enquete über den 18. März" heraus,

in der er selber bekannte, daß
gleich vom ersten Momente
an, da er die Geschäfte über-
nommen, es sein Hauptgedanke
war, „den Frieden zu schließen
und Paris zu unter-
werfen." Aber diese Unter-
werfung war leichter gedacht
als ausgeführt. Denn Paris
hatte nicht blos Gewehre, son-
dern auch Kanonen. Es hatte
sich dieselben am Vorabend
des am 1. März erfolgten Ein-
zuges der deutschen Truppen
aus den in Passy und auf
dem Wagram-Platz befind-
lichen Artillerieparks geholt
und ihre Schlünde blickten
nun trotzend von den Höhen
von Chaumont und Mont-
martre herab.

Zudem hatte sich die
Nationalgarde auch zu einem
Bund — Föderation röpu-
blicaine de la garde nationale
— zusammengeschloffen, wel-
chem ungefähr 215 Bataillone
angehörten und an seiner Spitze
ein Zentralkomite hatte, in
welchem zwar ein mehr bür-
gerlicher als sozialistischer Geist
herrschte, das aber nichtsdesto-
weniger aus ganz entschiedenen
Republikanern bestand, wie
das schon aus den von ihm aus-
gearbeiteten Bundes-Statuten
hervorgeht. Dieselben hatten
nämlich als obersten Grund-
satz aufgestellt, daß die Repu-
blik über dem allgemeinen
Stimmrecht stehe, also nicht
zur Diskussion zugelassen wer-
den dürfe, und es den ver-
schiedenen Delegirten bis hin-
auf zum Zentralkomite zur
Pflicht gemacht, jeden auf den
Sturz der Republik abgesehe-
nen Versuch zu vereiteln. Und
die Entwaffnung war eben ein
solcher Versuch, und diesem
wollte sich, wenn nöthig, der
Bund mit den Waffen ent-
gegenstellen.

Das wußte Thiers; doch
durfte er der Bordeaux-Ver-
sammlung gegenüber, deren
Geschöpf er.war und die nach
einer Zermalmung des revo-
lutionären Paris förmlich
lechzte, selbst vor einem Bürger-
krieg zurückschreckend Unter
seinem Vorsitz wurde denn
auch in der Ministerraths-
sitzung vom 17. März der
Operationsplan fertiggestellt und beschlossen, denselben noch vor
Morgengrauen durchzuführen, Paris also im Schlafe zu überfallen.
Der Hauptangriff sollte auf Montmartre erfolgen, wo sich 171 Kanonen
 
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