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MM>° Sommernacht. »MM

uf hoher Halde sitz' ich stille,

Cies unter mir im Lchlaf die Welt,
Zu Häupten Ltern an Ltern in Fülle,
Rings um mich alles mild erhellt.

Ls schaut aus tausend Lterttenaugen
Die stille Nacht auf Wald und Flur:

Und meine Leele möchte saugen
Den Frieden ein aus der Natur.

Leis rauscht es in den alten Bäumen
Und heimlich tönt's und klingt's im Wald,
Als mär' die Welt ein einzig Cräumen,

Als sei der letzte Atreit verhallt.

Lieh, wie im duft'gen Nebelschleier
Die sonnenmüde Flur sich kühlt.

Und schmeichelnd dort in Bach und Weiher
Das Nondlicht mit den Fluthen spielt.

Um mich ein Heer von Feuerfunken,
Johanniswürmchen schwirren leis.

Und dort am Himmel feuertrunken
Zieh'n Meteore ihren Ureis:

Die gleiche Uraft ist's, die sie beide.
Das Würmchen und den Ltern bewegt.
Die Uraft, die in dem Geistesstreite
Den Gegner schmetternd niederlegt.

Laß' um mich rauschen deine Lüste,
Du wunderbare Lommernacht;

Lagt mir, ihr holden Blumendüfte,
Was mir das Herz so selig macht?

Fernab dem bunten Weltgewühle,
Wie schlägt es wonnig in der Brust,
Lrfüllt im Wechsel der Gefühle
Mit froher, frischer Uampfeslust.

A. E.

Berlin, bei fliehende Hitze.

Lieber Jacob!

For eens der jreeßtcn Meerwunder estimire ick et, det ick mir bei die
schwelende Hitze noch nich in meine jänzlichen Bestandtheile uffjelöst habe.
Jotte doch, wat is det vor eene Wärme — de ältesten Reichsrentjehs, die
sich doch ieberhaupt nie uff wat besinnen kennen, klappern verjeblich in ihre
Memoiren rum, ob ieberhaupt seit Menschenjedenken sonne Hitze uff unfern
Planeten, oder Erdball uff Deitsch, jeherrscht hat. Du meine Jiete, die
dicke Bäckersfrau, die nebenan bei mir wohnt, die solltest De mal jetzt vor
Oogen kriejen, ick sage Dir, Jacob, Du lachtest Dir 'n Ast uff beede Seiten.
Die Schweißdroppen, die von ihr Antlitz, wat vor Hitze jlänzt, wie 'ne
richtije olle Speckschwarte, runterdrippeln, sind jenau so jroß wie de Milch-
brode in de jetzige dheire Zeiten, un se Pust wie 'ne Lokomotive, die nich
recht ieber jeflickte Schienen loofen will. Nee, un die Nachfrage nach jroße
Weißen, wo fast jar keen Anjebot is —• weeßte, Jacob, wenn ick so'n richtijer
Jefreiter von de Heilsarmee wäre, denn Wirde ick denken, det wir Menschen-
kinder doch beese jesindigt haben missen, wenn wir von de jöttliche Vorsehung
sojar schon mit Weißbiermangel jestraft werden. Nu mißte blos noch een
Nothstand in Kimmel oder Nordlicht ausbrechen, na weeßte, denn hängte ick
mir sofort in Thierjarten dicht bei't Brandenburjer Dhor uff, mitten in de
feinste Jejend, wo ick denn als piekfcinet Dekorationsstick selten wirde. Aber,
lieber Jacob, um'm Hals Wirde ick mir nich uffhängen, denn da krieje ick
keene Luft, hcechstens unter de Arme, det duht nich weh un seht ooch nich
schlecht aus.

Aber da sehste nu schon so recht an mir, wie weit hier de Hitze jetzt.
Sojar uff Sclbstmordjedankcn kommt der Mensch, wo ick doch 'n ausjesprochener
Jegner von jeglichen Mord un Dodtschlag bin. Un da soll mau sich wundern,
wenn Allens drunter un drieber jetzt. Blos eene Sorte Menschen macht sich
nischt aus de Hitze, die is immer oben druff, un det kommt meines Erachtens
daher, det se noch'n janz andern Posten Hitze verdragen kennen, wie unser
Eener, der doch ooch een ziemlich wasserdichtet Fell hat. Ick meene de

Kolonialbrieder. Die haben nämlich bei die Hitze een janz extraordinäret
schlauet Ei ausjebrietet.

Ob Du ieberhaupt schon von die Jeschichte jeheert hast, weeß ick natierlich
nich, indem ick trotz meine Villen hervorrajenden jeistijen Eijenschaften nich
allwissend bin, aber ick muß Dir die Sache doch auseenander verdeitschen.
Et handelt sich selbstredend um de Kolouiallotterie. Karl Wißmann jetzt
nämlich bei seine Kolonialmimik von den nich janz neien Jrundsatz aus, det
bei jede Kolonialsache de Hauptsache der Draht is. Na, Berschiedentlichet
haben se ja nu ooch schon aus Reichsmitteln vor Ostafrika bewilligt, aber
det waren Alles blos Droppen uff die ville Heeßen Steene, die et da unten
in Afrika jeben soll. Nu weeßte doch ooch, lieber Jacob, det wir immer
noch unter de Segnungen von de Viehzölle leiden, un da fangen de Ochsen
an rar zu werden. Et will sich Keener mehr so recht vor Ostafrika bejeistern,
un wo de Bejeisterung uffheert, da bleiben jewehnlich ooch de Ersolje aus,
namentlich in sonne Jejeuden, wo ieberhaupt nich ville erfoljen kann. Aber
Wißmann weeß Rath, er bringt de preiß'sche Staatsrejierung soweit, det se
ihren amtlichen Sejen zu 'ne janz neie, noch nie dajewesene Lotterie siebt.

Wie Du Dir zu de Lotterien im Alljemeenen stellst, weeß ick nich, et
jetzt mir ooch nischt au. Aber ick vor meine Person halte nich ville von,
indem ick mal een beeset Haar drin jesunden habe. Ick werde Dir det mal
erzählen.

Als keeniglich preißischer, schwarz-weißer Staatsbirjer spielte ick natierlich
heimlich in de sächsische Lotterie, wat bei uns verboten is, weil in det jeeinte
deitsche Reich for Preißen det Keenigreich Sachsen Ausland bedeitet. Na
scheen, ick will mir ieber die Rechtsusifassung hier nich weiter auslassen un
habe also mein Zehntel Sächsisch trotz alle Staatsanwälte ruhig in de Tasche.
Et wird jezogen un schließlich kommt denn nu eenes Dages ooch richtig de
finfte Klasse, wo det jroße Loos drin is, ran. Ick sitze natierlich in meine
Stammkneipe an den runden Disch un da fallt mir in: „Du wirst doch
mal Nachsehen, ob De vielleicht wat jewonnen hast." Ick nehme 'ne Zeitung,
kieke rin un ick denke doch jleich, mir laust der Affe un ick soll lang hin-

Schon Schiller hat in prophetischem Geiste vor-
ausgesehen, daß die Lotterie auch der Kolouial-
politik einst dienen werde, denn er sagt:

„Es ruhen in dem Zeitenschooße

Die dunklen und die heitern Loose."

Nun, die heitern Loose haben wir im zivili-
sirten Europa bereits gezogen, unser Loos ist die
Brotvertheucrung, der Militarismus, die Baare'sche
Großindustrie — alles Dinge, die sehr heiter
sind. Die dunklen Loose, das ist die Lotterie des
dunklen Erdtheils.

Die Lotterie wird die bisher unlösbare Frage,
welchen Gewinn uns eigentlich die Kolonien bringen,
ziffernmäßig beantworten.

Die Hauptsache werden aber, wie bei jeder
Lotterie, die Nieten sein. Wir werden aus zahl-
losen Nieten einen Dampfer bauen, der so fest
genietet ist, daß der Pfeil keines Eingeborenen
ihn durchbohren kann. Vielleicht langt das Geld
sogar zu einer Kolonialeisenbahn, deren ge-
flickte Schienen dann ebenfalls sicher vernietet wer-
den können.

An schwarzen Waisenknaben für das Glücks-
rad wird es nicht fehlen, deren sind wohl genug
von „gezüchtigten" Stämmen übrig geblieben. Auch
die Eingeborenen werden auf die Anpreisung der
Gewinne massenhaft hineinfallen und es wird uns
bei dieser Gelegenheit vorzüglich gelingen unfern
schwarzen Brüdern etwas weiß zu machen.

Bachumer Moral.

(|[»<3 braust vom deutschen Rheine
Ein Ruf wie Donnerhall:
„Wer wollte uns verdammen?
Bochum ist überall!

„Was heimlich wir vollbrachten,

Ist überall der Brauch —

Das Mogeln, Schienenflicken,

Das thun die Andern auch.

„Daß wir uns für die Steuer
Zu niedrig schätzten ein —

Wer tadelt es? Die Reichen,

Sie thun es allgemein.

Und daß in Zeitungsenten
Wir logen weit und breit —

Vor uns that dies schon lange
Der „größte Mann der Zeit!"

Nun gut! Da Ihr am Brauche
So ängstlich haltet fest —

Wißt Ihr, was dem passiret
Der sich erwischen läßt? —

Euch hat man! — und so bleib' es
Auch hier beim alten Brauch:

So laßt Euch ruhig hängen, —
Man hängt die Andern auch!

Die Kolonial-Lotterie.

Wer könnte noch behaupten, daß die Politik
unserer herrschenden Klassen sich in einem geistigen
Niedergange befände und keines großen Gedankens
mehr fähig wäre? Sie hat eben einen gewaltigen,
erleuchteten Gedanken geboren — nämlich die Idee,
der Kolouialpolitik durch eine Lotterie aufzuhelfen.
Wenn nichts mehr verfängt, dieses Mittel muß
helfen.

Die Lotterie ist der große Glücksversicherungs-
apparat, welcher die Hoffnungen der Menschen auf
mühelosen Gewinn in baare Münze verwandelt,
und ihr Publikum rekrutirt sich aus der großen
Armee Derer, „die nicht alle werden."

Was hat der Menschengeist nicht schon durch
die Lotterie erreicht!

Die Lotterie hat für die Kirche gewirkt, sie hat
den Kölner Dom erbauen helfen, sie hat auch der
„Freiheit" gedient — allerdings nur der Ber-
liner „Schloßfreiheit." Auch die Bismarck-
spende hätte eigentlich eine Lotterie sein sollen,
dann wäre die Einheimsung des Hauptgewinnes
weit wenig auffällig und anstößig erschienen.

Die Lotterie ist mächtiger, als das deutsche
Reich, sie setzte die deutsche Einheit außer Kraft,
denu in Preußen sind sächsische und in Sachsen
preußische Loose als ausländische verboten. Die
Lotterie löst sogar die soziale Frage, denn wer
einen Haupttreffer macht, ist sofort von sozialer
Noth befreit, kurz — die Lotterie ist das Allheil-
mittel.
 
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