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1078

Der beste Trost.

er Dichter von Begeist'rung glüht.
An Großes uns zu mahnen,

Lr singt voll Zeuer uns das Lied
von unsren stolzen Ahnen;

Lr klagt, daß mancher Heldenstreich
So gänzlich heut vergessen — —

Ja, ja; doch hat ringsum im Reich
Das Volk heut Richts zu essen.

Dem Langesbruder ist Musik
Allein das ewig Schöne,

Lr übt mit Runst und mit Geschick
Die ganze Macht der Töne;

Der Bourgeois sitzt schmunzelnd dort
Und lauscht mit viel Behagen —

Ach bleibt mir mit der Musik fort.
Das Volk hat Richts zu nagen.

Der Mann in Bäffchen und Calar,
Der kennt des Volkes Leiden,

Der Himmel wird, so legt er dar.
Uns Trost dafür bereiten;

Sind wir gestorben, wandeln wir
Im Paradiesesgarten —

Ach, Herr Pastor, der Magen hier
Der Magen kann nicht warten.

Ls will auf des Uatheders Thron
Der Herr Professor lehren;

Lr spricht von Schätzen der Nation,
Die unerschöpflich wären;

Ja, ja, der Rationalreichthum,

Der will nicht wenig heißen —

Die Theurung geht im Land herum.
Das Volk hat Richts zu beißen.

Ls wissen nur von blut'gem Ruhm
Soldaten zu berichten,
von der Lrobrer Heldenthum
Und ähnlichen Geschichten;

Sie träumen nur von Lieg und Schlacht,
Die ihnen heute fehlend —

Ja, ja, wann wird der Urieg gemacht
Der Theu'rung und dem Llend?

Die Herrn sind alle wohlgespickt
Mit tausend Trostesgründen,

Doch kann das Volk, das schwerbedrückt.
In Lolches sich nicht finden;

Man richtet Richts in dieser Zeit
Mit Worten ohne Thaten;

Der beste Crostgrund bleibt auch heut,
Lin wohlgespickter Braten.

Heite ärjere ick mir. Ja, ick bin ticksch wie'n Affe, un bet macht Alles
bet Wetter. Nee, weeßte, ick laß mir ja'n Bisken jefallen, aber man blos
nich zu wenig. Wenn ick den Rejen so sehe, alle Dage, denn wundere ick
mir blos, wo Petrus alle die Strippen herkriegt. Wenn De 'ne Landparthie
machen willst, denn is et mit eenmal 'ne Wasserparthie, un wat zu drinken
brauchste Dir ieberhaupt nich mitzunehmen, indem Dir soville Wasser de
Neese lang drippt, det De man in een Schlucken bleiben kannst. Un wat
nu so Alles zu 'ne richtije Landparthie jeheert! Davon is dies Jahr keene
Rede von. Denkste een junget Meechen will mit Dir in'n Wald Fänder-
spiele spielen? Keene Spur, da haben se ville zu ville Angst, det se sich de
frischjewaschene un jeplättete Kluft naß machen kennen, na, un Fänderspiele
missen doch nu sind, schon von Wesen de Kiste, mit die de Fänder nachher
ausjelöst werden. Na, ick habe dies Jahr nich ville Kiste jekriegt, obschon
ick sonst immer mit eenen mächtijen Knippel rumloofen muß, um mir de
Meechens von'n Halse zu halten, indem se doch zu verrückt nach mir sind.

Aber davon jänzlich abjesehen, in de hohe Politik is et ooch man ziemlich
mies. Wat passirt denn jroß? Vielleicht der Dreibund, oder det franzeesisch-
russische Bindniß? Na, mit die Jeschichten bleib mir man von'n Lerbe, ick
jebe keen ausjeblasenet Ei vor. Det ewije Bindnißschließen wird uff de
Dauer ooch langstielig, indem keen Mensch mehr dran jloobt. Da lobe ick
mir de Franzosen, die in Kronstadt waren, die kennen wenigstens noch ebenso
saufen wie de Russen, un wenn se denn in Kronstadt Eenen unter de Krone
haben, na, denn halten se Reden, an die sich Eener wärmen kann. Un
warum sollen se denn ooch nich —• von't Redenhalten alleen is noch keen

ollet Haus injestirzt, un wenn Keener nach die Reden hinheert, denn schä-
digen se damit ja ooch Keenen — also ick bin vor't Reden. Je mehr, desto
besser, un namentlich freien mir die Reden am Meisten, aus die sich Jeder
det rausnehmen kann, wat ihm jrade paßt.

Na, un wat nu schon in't Inland los is, det dragt de Katze uff'n
Schwanz weg. De deitschen Studenten halten ooch Reden, un da is so-
ville von Patriotismus un von Thron un Altar, un von Deitschthum un
von allen andern meeglichen Zauber drin, det ick an die Jeschichte ooch nich
so recht jlooben kann. Von Streberthum un von Servilismus un sonstij.
Kriecherei un Bauchrutscherei red't keen Mensch, aber wat nich effentlich je-
sagt wird, braucht deswejen immer noch lange nich jelogen zu sind. Na.
meinswejen kennen se sich mit ihren Stöcker inpeekeln lasten, ick hindere se
nich in'n Jeringsten, aber bange kennen se mir mit ihre Reden ooch nich
machen, un wenn se se jesammelt rausjeben. Aber de Antisemiten sind nu
ooch hier Widder mächtig uff'n Posten, un et haben sich schon verschiedene
jiedische Halsabschneider un sonstige Krawattenmacher jemeld't, die bei Willem
Pickenbachen eenen Privatkursus in de wucherische Ausbeutung nehmen
wollen. Er is se blos zu dheier, indem er von jeden Spieler een Blanko-
accept verlangt, un uff den Leim will nu Keener ruffhuppen. Kannst Du
se det verdenken? Ick ooch nich, indem et schließlich doch janz schnuppe is,
ob Eenen von eenen Juden det Fell ieber de Ohren jezogen wird, oder
ob man von eenen jermanischen Christen so langsam knusprig jebraten wird.
Aber det wollen de Antisemiten nu partuh nich insehen, un se scheinen mir
den Jrundsatz zu huldigen, det jeder Wucher mit Stump und Stiel aus-
jerottet werden muß, den man nich selbst veriebt. Det is ooch'n Stand-
punkt, den keen vernünftijer Antisemit seine Berechtijung absprechen wird.

Mirakel in Lrier.

Mn einer Arbeiterschenke saß

V® Ein Mann, der eifrig die Zeitung las.

In der Schenke wards allmälig laut,

Der Mann hat nicht aus dem Blatt geschaut.

Die andern lebhaft diskutirten,

Politisirten und debattirten,

Sprachen vom Wetter, vom Münchner Bock,

Dann auch von Trier und dem heiligen Rock.

Der einsame Leser bei diesem Wort
Legte plötzlich die Zeitung fort,

Sprach: „Meine Herrn, erlauben Sie mir:

Ich komme soeben direkt von Trier;

Dort ist ein Wunder an mir geschehen:

Bin blind gewesen und kann jetzt sehen," —

Bei diesen Worten entstand ein Zischen
Und höhnisches Lachen an sämmtlichen Tischen:
„Schwindel! Humbug! Lug und Trug!"

Der Fremde that einen kräftigen Zug
Aus seinem Glas und sagte gelassen:

„Meine Herrn, ich will fürwahr nicht spaßen.
Hören Sie gefälligst mich ruhig an.

Wir zogen nach Trier, zwanzig Mann,

Amüsierten uns daselbst famos,

Und nicht mit Essen und Trinken blos. —

Eines Abends, kommend von einem Schmaus,
Sah ich zwei Arbeiter vor einem Haus
Und trafen die Worte meine Ohren:

„In diesem Hause ward er geboren."

Ich fragte die beiden höflich: „Wer?"

„Karl Marx" war die Antwort. — „Wer war denn der ?

Habe niemals von ihm vernommen,

Wohl einer der Heiligen oder Frommen?"

Der Mann einen Griff in die Tasche that
Und zog heraus einen kleinen Traktat
Und sagte zu mir mit lächelnden Mienen:

„Lesen Sie das, ich schenk' es Ihnen.

Karl Marx hat diese Schrift verfaßt." —

Ich dankt' und ging ins Quartier mit Hast
Und las und las. — Die ganze Nacht
Hab' ich kein Auge zugemacht.

Eine neue Welt ging mir auf; mir war,

Als hätt' ich bisher gehabt den Staar
Und sähe nun zum ersten Male
Die Welt im goldenen Sonnenstrahle.

O welche köstliche Geistesnahrung,

Es war wie himmlische Offenbarung!

Ich will nicht lang und breit beschreiben,

Wie jetzt mir erschien das pfäffische Treiben. —
Nun sucht' ich schon am Tage darauf
Die beiden Arbeiter wieder aus.

Sie machten mich mit gereiftem Verstand
Mit dem Sozialismus näher bekannt.

Es fanden sich mehr Genossen ein,

Wir schlürften köstlichen Moselwein.

Doch mehr als der Wein — von edler Sorte —
Erquickten mich ihre trefflichen Worte.

„Als ich den Rock sah im heiligen Schrein,"
Sprach Einer, „fiel Christi Wort mir ein:

So Jemand hat der Röcke zween,

Soll den, der keinen hat, mit einem verstehn,

Und wer da lebt im Ueberfluß
Gebe dem reichlich, der darben muß.

So lehrt die Kirche, doch thut sie's nicht."

Drauf las er Max Kegels schönes Gedicht,

Das der „Wahre Jakob" hat jüngst gebracht
In Nummer hundertzwanzig und acht. —

Nun sagt, ihr Herrn, ob ich wahr gesprochen,

Daß mir in Trier der Staar ward gestochen.

Als Ultramontaner war ich genaht
Und ging hinweg als Sozialdemokrat." —

Bravo! rief's da, Bravissimo!

Das war ein Jubel und ein Halloh!

Mit heller Begeisterung riefen sie:

„Hoch lebe die Sozialdemokratie!"

Und drückten die Hand dem fremden Mann
Und stimmten die Marseillaise an. .7. 8t.

•W

Kunst- und Likerakurbericht.

Der kleine Hans hatte ganz Recht, als er aus
der Schule nach Hause kommend meldete, er habe
eine schlechte Zensur. Nicht sein Betragen und
seine Fortschritte waren schlecht, sondern das Schlechte
war die Zensur. So gehts uns mit unserer
Theater-Zensur auch. Sie ist schlecht, deshalb
werden oft gute Kunstwerke unterdrückt. Damit
wollen wir aber beileibe nicht darauf anspielen,
daß hier und da Sudermanns „Ehre" von der
Zensur verboten wurde; „die Ehre," das ist ja
schon so ein unruhiger Titel. Auch „Sodoms Ende"
wollen wir nicht in Schutz nehmen; wer wird solche
Zukunftsmusik machen! Wir wollen doch froh sein,
daß die Sündfluth erst nach uns kommt. Da-
gegen schmerzt es uns, daß Wildenbruchs „Neuer
 
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