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welcher einem Proletarier das letzte Geleit gab,
vorüberziehen. Am Grabe sangen verschiedene
Arbeitergesangvereine, Reichstagsabgeordneter
Karl Frohme hielt eine weihevolle Rede und
ein Hügel von Kränzen, Zeichen der Liebe und
Verehrung sür den Verstorbenen, wölbte sich
über dem Sarge.

Eine^große Freude wurde dem Verstorbenen
noch an seinem letzten Geburtstage zu Theil.
Sein obengenannter Sohn überreichte dem
83jährigen Greise ein Bändchen seiner Gedichte,
betitelt „Reime eines deutschen Arbeiters."
Wir glauben nicht besser diese Lebensskizze von
Jakob Andorf sen. schließen zu können, als
wenn wir das Widmungsgedicht von Jakob
Audorfjun. an seinen Vater hier unseren Lesern
mittheilen:

- 1111 -

Nimm, Vater, diese schlichten Reime
Von Deinem treuen Sohne hin.

Du warst es, der die ersten Keime
Dazu gepflanzt in meinen Sinn;

Was Du am Webstuhl einst gesungen.
Du bied'rer, braver Proletar,

Das ist stets in mir nachgeklungen.

Wo ich geweilt auch immerdar.

Du legtest in des Knaben Seele
Den Sinn sür Wahrheit und für Recht,
Daß stets den richt'gen Pfad er wähle.
Verachtend das, was falsch und schlecht.
Wie für die Freiheit Du gestritten.

So habe ich Dir nachgestrebt.

Und wenn darum wir auch gelitten.

So haben wir doch recht gelebt.

Und wenn auch Andere sich blähen
Hochmüthig in der Mächt'gen Gunst, —
Wir blieben stolz fern abwärts stehen.
Verschmähend feiler Schmeichler Kunst.
Wie immer sich das Schicksal wende.
Wir schreiten muthig Hand in Hand,
Und bleiben bis zum Lebensende
Getreu dem Proletarierstand.

Wie schien in meiner Kindheit Jahren
So fern der Freiheit Ideal,

Wie war der Arbeitsstand zerfahren.
Wie klein der Zielbewußten Zahl;

Doch sieh', daß jetzt schon unsre Stärke
Mit Staunen unsre Feinde sah'n —

Du schafftest mit an diesem Werke,

Du braver Freiheits-Veteran!

Revue des geistigen und öffentlichen Lebens.

IeHnter Jahrgang.

Unter ständiger Mitarbeiterschaft von M. Bebel, E. Bernstein, §r. Engels, P. Lafargue, W. Liebknecht, M. Schippet, S. A. Sorge u. A.

redigirt

von

Karl Kautsky.

Soeben beendet die „Nene Zeit" ihren neunten Jahrgang. Begründet in einer Periode, in der das Ausnahmegesetz am
schwersten auf unserer Partei lastete, ist sie doch von Anbeginn gewesen, was sie heute ist, ein Organ der Kritik und der Forschung des
wissenschaftlichen Sozialismus, dessen Grundlagen im kommunistischen Manifest gelegt sind. Von diesem Standpunkt aus sucht die
„Neue Zeit" das Leben und Weben der heutigen, wie das Werden der kommenden Gesellschaft in allen Erscheinungen, in
denen diese Prozesse sich äußern, zu verfolgen: vor Allem natürlich auf den Gebieten der Politik und der Oekonomie, aber so weit als
möglich auch auf den Gebieten der Kunst und Wissenschaft.

Die „Neue Zeit" auf dem höchsten Niveau zu erhalten, das die verfügbaren Kräfte und die bestehenden Verhältnisse zu erreichen
gestatten, bleibt nach wie vor unser Bestreben. Wir wenden Alles auf, in der „Neuen Zeit" ein Organ zu bieten, das würdig ist der
Höhe, die der wissenschaftliche Sozialismus erklommen. Wir sind aber auch bestrebt, die „Neue Zeit" so abwechslungsreich, leicht-
verständlich und anziehend zu halten, daß sie nicht blos dem Theoretiker, sondern auch dem Praktiker, nicht blos dem Studirenden, sondern
auch dem Mann der Arbeit, der neben Belehrung Erholung sucht, willkommen sei.

Ein besonderes Gewicht legen wir auf die rasche unv gründliche Besprechung der bedeutenderen Zcitfragen. Wir haben
daher die Einrichtung getroffen, daß in einem regelmäßigen Berliner Brief die wichtigsten Ereignisse der Woche von einem hervor-
ragenden deutschen Publizisten besprochen werden; daneben werden noch wichtige Fragen der sozialistischen Bewegung, der Politik und
der ökonomischen Entwicklung Deutschlands von unfern ständigen Mitarbeitern A. Bebel, W. Liebknecht, M. Schippet in größeren
Abhandlungen besonders behandelt. Die politische und ökonomische Entwicklung, besonders aber die Arbeiterbewegungen des Auslands
verfolgen unsere ständigen sachkundigen Mitarbeiter in den großen industriellen und politischen Zentren London (Eduard Bernstein), Paris
(Paul Lafargue) und New Jork (F. A. Sorge), sowie eine Reihe gelegentlicher Mitarbeiter.

Neben den aktuellen Vorgängen vergessen wir nicht die Entwicklung und Anwendung der sozialistischen Theorien, sowie die
Untersuchung und Kritik der Theorien unserer Gegner.

Dem Beispiele anderer Revuen folgend, bringen wir auch fortlaufende Erzählungen guter Schriftsteller. Wir werden im
kommenden Jahrgangs zunächst ein Charakterbild aus der jüdischen Gesellschaft Londons veröffentlichen, Rüben Sachs von Amy Lcvy,
welches die Verhältnisse einer wenig bekannten und für die kapitalistische Entwicklung doch höchst maßgebenden Gesellschaftsschicht schildert.

Von Beiträgen, die entweder schon in unserer Hand befindlich oder uns zugesagt sind, nennen wir: Dr. Viktor Adler (Wien),
Die Sozialdemokratie in Oesterreich seit 1889. — Bernard (Paris), Die praktischen Leute. — E. Bernstein (London), Religion und Revolution
in der Neuzeit. — Aus und über Proudhon. — A. Lange. — Dr. A. Braun (München), Zur Wohnungsfrage. — Jglesias (Madrid), Die
Sozialdemokratie in Spanien. — K. Kautsky (Stuttgart), Die Frauenfrage. — Dr. E. R. Krejcsi (Pest), Die Entwicklung der Sozial-
demokratie in Ungarn. — P. Lafargue (Paris), Zola's neuester Roman. — Der französische Roman von Rousseau bis Zola. — Dr. F. Mehring
(Berlin), Die bürgerliche Presse in Deutschland. — Soziale Kapitel aus der preußischen Geschichte. — A. Müller (Straßburg), Elsässische
Zustände. — Max Schippet (Berlin), Zur Bergarbeiterbewegung. — Die Entwicklung der Branntweinproduktion und ihr Einfluß auf die
Landwirthschaft und die Gesetzgebung in Deutschland. — R. Schweichel (Berlin), Ueber R. Hamerling. — F. A. Sorge (New Port), Die
Arbeiterbewegung in den Vereinigten Staaten von 1866 bis auf unsere Tage. — A. V., Die Ueberfüllung der höheren Berufe. —
L. Winiarski (Zürich), Der Sozialismus in Russisch Polen. — F. Wolf (Manchester), Die rechte Hand Bismarck's.

Mßonnements-Vedingungen.

Die „Neue Zeit" erscheint wöchentlich einmal und ist durch alle Buchhandlungen und Koporteure zum Preise von Mk. 2.50
pro Quartal zu beziehen. Das einzelne Heft kostet 20 Pfennig. Durch die Post bezogen beträgt der vierteljährliche Abonnementspreis
Mk. 2.35. Bei direktem Bezug unter Kreuzband für Deutschland und Oesterreich-Ungarn vierteljährlich Mk. 3.15, für den Weltpostverein
Mk. 3.80. — Die „Neue Zeit" ist im Reichspostkatalog für 1891 eingetragen unter Nr. 4388.

P 's für 1. und 2. Semester des 9. Jahrgangs sind angefertigt: in Halbfranz Preis Mk. 1.50, in Ganzleinen

H. JS. W. Dietz' Aerlag in Stuttgart.
 
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