Vellage zum „Wahren Zacak" Lr. 141.
Gewonnen. :-Z
Line Meihnachtsgeschichte von <25. Langer.
• in böses Jahr lag hinter Karl Hölting. Es hatte der Jugend-
kraft seiner sechsundzwanzig Jahre, seines von Haus aus
tüchtigen und durch Selbstzucht gekräftigten Charakters,
sowie der Begeisterung bedurft, mit der er, selbst ein
Arbeiter, der gemeinsamen Sache anhing, um die Prüfungen, die ihm
dieses Jahr auferlegt, zu bestehen und zu einer verhältnißmäßigen
Ruhe zu gelangen. Nicht allein, daß ihm seine treffliche Mutter, mit
der er, von einer zahlreichen Familie allein übrig geblieben, in innigster
Gemeinschaft gelebt hatte, durch den Tod entrissen worden war. Auch
die Geliebte hatte er verloren, aber nicht durch den Tod, sondern
durch das Leben, welches viel grausamere Verluste als jener zu be-
reiten vermag. Die Wunde hatte zwar schon zu verharschen begonnen,
doch trat das Bild der Lieblichen unwillkürlich immer wieder vor
seine Seele. Wie konnte er sie auch vergessen, jene glücklichen Stunden
an dem behaglichen mütterlichen Herde mit dem waldfrischen Kinde,
wie es aus seiner Heimath gekommen
war? Hörte er sie doch noch immer
plaudern von ihrem Leben in dem
kleinen Forsthause, in den» sie als die
Tochter eines Wildhüters erwachsen
war, von ihren Streifereien in den
Wäldern zur Sommers- und Winters-
zeit, von den zahmen Rehen, die sie,
selbst so schlank und zierlich wie ein
Reh, aus der Hand gefüttert hatte.
Als sie sechzehn Jahre zählte, wollte es
das Geschick, daß ihr Vater starb und die
Mutter nach der Stadt zog und einen
Gastwirth heirathete. Das junge
Mädchen mußte nun nicht allein in
der Wirthschaft, sondern auch in der
Schenkstube helfen, und hier war es,
wo Karl Hölting die hübsche Klara
kennen gelernt hatte. Er war kein
häufiger Gast in Trinklokalen, aber
auch kein Pedant, der einen Trunk
guten Vieres verschmähte. Hatte ihn
der Zufall in jenes Restaurant ge-
führt, so zog ihn nun das Mädchen
immer wieder dorthin. Mit Ent
Zucken nahm er wahr, daß sie ihn
besonders freundlich bewillkommnete und bediente und gern einen
Augenblick bei ihm verweilte, wenn es ihre Zeit erlaubte. Der U;n-
gang mit ihr wurde ihm mehr und mehr zum Bedürfnis;, und eines
Tages bat er seine Mutter, sie möchte ihn, erlauben, die Kleine an
bMem ihrer freien Abende zu ihr zu führen. Frau Hölting gab bereit-
willig ihre Einwilligung und Klara kam und kam wieder und wieder
a>fd hatte sich bald in das Herz der Mutter ebenso eingeschmeichelt
ww in das des Sohnes. Dieser schwebte >vie in einer goldenen Wolke.
Tas Mädchen sich gewinnen, es geistig zu sich emporheben, war
lein einziger Gedanke. An den Abenden, an denen Klaras Anwesen-
heit für ihn das Stübchen in einen Feenpalast verwandelte, las er
ben Frauen vor, alles was er Belehrendes und Geist und Herz Er-
hebendes erhaschen konnte. Frau Hölting hatte sich in späteren Jahren
"st ihrem strebsamen Sohne herangebildet und vermochte der Lektüre
wcht nur zu folgen, sondern sich auch an ihr zu erfreuen. Klara
hwgegen legte kein großes Interesse dafür an den Tag. Auf die
ckrago, ob ihr das Gelesene gefalle, gab sie stets zur Antwort: „Warum
>ncht'-" Aber ihre Gedanken schweiften iveit ab oder wären mit der
^Pndarbeit, die sie regelmäßig mitbrachte, beschäftigt, Karl mußte
mes endlich merken, aber uin so eifriger arbeitete er an der geistigen
Aufklärung des Mädchens, dessen gute Anlagen nach seiner Meinung
,lllr nicht geweckt worden waren.
Indessen kam Klara seltener und seltener zu den traulichen Abend-
ustungen, und wann Karl das Restaurant ihres Stiefvaters besuchte, so wich
ust ihn; so viel als möglich aus. Auch entging es ihm nicht, daß ihre an-
zügliche Zurückhaltung den männlichen Gästen gegenüber, unter denen es
wanchen rohen Gesellen gab, allmälig freieren Manieren Platz machte.
„Sie wird irre an dir, du mußt dich erklären," dachte Karl, der
Wnz erfüllt von seiner Liebe und überzeugt, daß dieselbe Erwiderung
fände, keine Eile gehabt hatte, das entscheidende Wort zu sprechen.
Nun aber sah er ein, daß er unrecht gehandelt. Am nächsten Sonn-
tag, dem ersten schöne» Frühlingstage, ging er aus in der Absicht,
sich mit Klara zu verständigen. In den seligsten Gefühlen schritt er
dahin. Da erblickte er, um eine Ecke biegend, plötzlich ein Paar, das
dicht aneinander geschmiegt, vor ihm die Straße hinaufging. Sah er
denn recht - War es denn möglich? Noch glaubte er sich zu täuschen.
Konnte dieses kokett herausgeputzte Wesen am Arme des langen
Schreibers, den er wiederholt im Restaurant gesehen, aber nicht weiter
beachtet hatte. Klara, seine Klara sein? Doch ja, sie war es wirklich,
lind das Köpfchen drehte sich so lebhaft, die rothen Lippen plauderten
so munter, die ganze Erscheinung athmete Glück und Zufriedenheit.
Karl stockte das Blut in allen Adern. Wie erstarrt stand er da.
Dein Paare zu folgen hielt er unter seiner Würde. Er kehrte um.
Aber Klara gleich aufzugeben vermochte er nicht. Er schrieb an sie
und bekannte ihr seine heiße Liebe in
herzbewegenden Worten.
Darauf kam denn umgehend ein
sehr unorthographischer Brief zurück,
in dem es hieß, es thäte ihr sehr leid,
aber sie paßten nicht zusammen, Sie
wollte nicht heirathen, um an sich
herumschulmeistern zu lassen. Sie
glaubte so viel zu wissen, wie sie in
ihrer Lebenslage brauchte. Auch dem
Schreiber, mit dem sie sich versprochen,
sei sie klug genug. Die Leserei sei nur
für Damen, die nichts zu thun hätten.
Sie dankte ihm jedoch für die Mühe,
die er sich mit ihr gegeben und wünschte
ihm eine gelehrigere Braut.
Karl war bis in die tiefste Seele
getroffen. Daß sie ihn abwies, war
nichts gegen den Grund, den sie dafür
angab und die spöttische Art, in der
sie es that. Wie ein vergifteter Pfeil
saß es ihm in der Brust. An seinen;
Ideal von Menschenwürde war also
seine Liebe gescheitert. Aber konnte
er mit einer Frau leben nnd glücklich
sein, die sein Streben so wenig theilte,
ihn so wenig verstand? An dieser Erwägung begann der Schmerz
sich allmälig abzustumpfen und bald darauf nahn; die Krankheit seiner
Mutter, ihre Pflege nnd d« Sorge um sie all' sein Denken nnd Fühlen
in Anspruch. Als sie dahingegangen war,, stand der durch die Schläge
des Schicksals gefestete Mann fertig da. Nur der Arbeiters^che sollte
sein Leben fortan gewidmet sein.
So kam das nächste Weihnachtsfest heran.
Nach längerem Schneefall war an; heiligen Abend ein leichter
Frost bei klare»; Himmel eingetreten. Echtes, rechtes Weihnachtswetter,
das Jung und Alt auf die Beine brachte. Besonders lebhaft ging es
zwischen den Budenreihen des Marktes zu, wo Schnarren und Blech
trompeten lustig erklangen, die Ausrufer einander an Stimmkraft
überboten, die Spaßmacher innner bereite Lacher fanden.
Karl Hölting ging in sich gekehrt und des Treibens um sich her
nicht achtend seines Weges. Er war bis in die Mitte einer der be-
lebteren Straßen gekommen, als er plötzlich seinen Weg durch eine
Kinderschaar, lauter kleine Mädchen, gesperrt sah, welche die Thür eines
Ladens umstanden, weil dieser schon von Kindern ganz angefüllt war.
Kopf an Kopf standen sie, so daß kein Apjpl zur Erde fallen
konnte und man nichts sah als Kaputzen und Hütchen und darunter
große, blitzende Augen, die alle erwartungsvoll nach einer Richtung
schauten. Verwundert trat Hölting näher, um über die Köpfe der
Kleinen hinweg in das Innere des Ladens nach der Ursache dieser
merkwürdigen Kinderversammlung zu sehen. Da gewahrte er denn
auf einem hohen Gestell eine große Puppe, die wie eine Dame nach
de»; neuesten Modenjournal gekleidet war, und auf dem Ladentische
eine Tombola, an der zwei größere Mädchen standen, von denen das
eine die Loose zog, während das andere die Nummern ausrief. Es
war offenbar eine Puppenverloosnng, die hier vor sich ging.