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1155

Alle schüttelten ihm nun die Hand, und nachdem die junge Frau
die Maskeradenstücke weggeräumt hatte, sagte sie:

„Ich muß die Herren doch mit einander bekannt machen. Herr
Anton Firks —"

„Von der Buchbinderbranche," ergänzte dieser mit einem Kratzfuß.

„Herr -?"

„Hölting, Bronzearbeiter."

„Sehr angenehm," verbeugte sich der Kleine. „Habe meinerseits
das Vergnügen, Sie zu kennen. Habe Sie oft in Versammlungen
gesehen und gehört. Auch Ihre 'Vorträge in der Volkshalle besucht.
Sehen Sie, ich bin auch so ein Bildungswurm."

Inzwischen hatte das Mütterchen den Tisch gedeckt und ihre
Mohnpielen aufgetragen, die sich nun die kleine Gesellschaft trefflich
schmecken ließ, während Firks seine humoristischen Bemerkungen machte
und mit Frau Witt und dem neuen Bekannten, der sich bereits ganz
wie zu Hause fühlte, muntere Reden austauschte. Als man zum
Nachtisch, aus Butterbrot und Harzkäse bestehend, schritt, gab Firks
der Großmutter einen heimlichen Wink und verschwand mit ihr in
der Küche, aus der er alsbald mit einer Terrine dampfenden Punsches
zurückkehrte, die er vorsichtig und feierlich vor sich hertrug, während
die Großmutter init Gläsern und einem Teller voll Pfefferkuchen folgte.

Das Geheimniß der
Tasche, die er als Knecht
Ruprecht getragen, war
damit enthüllt und nun
ging es an ein fleißi-
ges Gläserfüllen, wobei
Onkel Firks einen scherz-
haften Toast über den
anderen ausbrachte, so
daß man aus dem Lachen
nicht herauskam.

Mittlerweile war es
für Lotte Zeit geworden,
schlafen zu gehen, und
Frau Witt entfernte sich
leise mit ihr in die an-
stoßende Kammer.

Als die Mutter ihr
den Gutenachtkuß gab,
sagte das Kind, ihren
Hals umschlingend:

„Mutter, ich möchte
doch eigentlich gern einen
Vater haben."

„Wie kommst Du
darauf?"

„Weißt Du, iven ich zum Vater möcht'?

„Nun wen denn?"

„Den Herrn Hölting."

„Dumme Göhre."

„Er gefällt mir."

„Aber es fragt sich, ob er mir gefällt und ich ihm."

„Ha, ha, das weiß ich. Ach Mutter, das wär' so hübsch, lind
wenn ich ein Brüderchen kriegte, dann wart' ich es: das wär noch
tausendmal schöner als mit der großen Puppe zu spielen."

Frau Witt war ganz verwirrt und wußte nicht, was sie ant-
worten sollte.

In der Stube saßen inzwischen die Männer bei ernstem Gespräch,
während die Großmutter in der Küche abwusch. Firks erzählte Hölting
von der Bravheit Frau Dorotheens. Wie sie beim Tode ihres Mannes,
der Arbeiter in einer Velvetfabrik gewesen, als noch ganz junges
Ding, das sie damals war, die Ernährung der Familie muthig aus
sich genommen hätte. Wie sie zuerst einen Handel mit Velvetresten,
die ihr die Fabrik billig überließ, anfing und in die Höhe brachte,
und mittlerweile Maschinennähen und Wäschezuschneiden erlcrn e,
worin sie bald so geschickt wurde, daß sie für große Geschäfte ständige

Arbeit bekam. „Sie wissen," fuhr Herr Firks fort, „was es für ein
alleinstehendes Frauenzimmer heißt, eine Familie von drei Köpfen
durchzubringen. Sie können sich also denken, wie die Frau arbeiten
muß. Aber dabei behält sie noch Zeit, sich zu unterrichten und sich
Kenntnisse anzueignen, wovon die meisten Weibsen keinen Begriff
haben, weil sie gedankenlos in den Tag hineinleben. Ich sage Ihnen,
das ist eine Frau, die alle Achtung verdient."

Als Frau Witt in die Stube trat, entstand eine unwillkürliche
Pause. Es war, als ob die Verlegenheit, in die ihr Kind sie versetzt
hatte, sich auch den Männern mittheilte. Sie erhoben sich, um zu
gehen. Frau Witt nöthigte nicht zum ferneren Bleiben.

„Und nun danke ich Ihnen sehr," sagte Hölting, „daß Sie mir
erlaubt haben, diesen schönen Abend mit Ihnen zu verleben. Und
wenn ich so frei sein dürfte, wieder einmal vorzusprechen, so wäre
es — so würde ich "

„Ganz ungeheuer glücklich sein," siel Firks ein. „Nur heraus
damit. Es ist auch ein Glück, in Frau Dörtens Nähe zu sein. Was
denken Sie, was ich ohne dies liebe Weibchen anfinge, ich habe mich
ihr schon zur Ehe angeboten —"

„Ach, Sie Spötter," fiel ihm die junge Frau ins Wort. „Und was
hätte ich wohl ohne Sie angefangen? Als mein Mann starb," wandte sie

sich zu Hölting, „da war
er es, der mich mit Rath
und That unterstützte, mir
zueinerNähmaschinever-
half und sich überhaupt
als wahrer Freund des
Verstorbenen bewies."

„Ja, aber heirathen
will sie mich doch nicht.
Undank ist der Welt
Lohn," rief Firks in
einem Tone, welcher
scherzhaft sein sollte, und
der doch wehmüthig
klang. Sich jedoch gleich
ermannend, rief er dann
munter: „Nun also, Herr
Hölting darf wieder-
kommen , nicht wahr,
Frau Törtchen?"

Diese nickte nur, bis
unter das Haar er-
röthend, ü de n sie den
Druck der Hand, die
Hölting ihr zum Abschied
bot, sanft erwiderte.

Hölting begleitete den neuen Freund noch eine Strecke, dann
schritt er glückselig in die sternklare Christnacht hinein.

Er hatte durch die Schmerzen und Enttäuschungen jener früheren
Liebe hindurch müssen, um das auf so viel sichererem Grunde ihm
erblühende neue Glück nach seinem ganzen Werthe schätzen zu können.

Noch im Laufe des Winters wurden Karl und Dorothea ein Paar
und Lotte hatte zur gehörigen Zeit Gelegenheit, ihr Wort ivahr zu
inachen und ein neuangekommenes Brüderchen zu garten, soweit die
Großmutter sie an den Kleinen heranließ. Wie sehr aber Lotte das
Brüderchen liebte, mehr noch hing sie an dem Vater, der auch sie
innig ins Herz schloß.

Die kleine Familie lebt in einer Atmosphäre von Glück und Zu-
friedenheit bei angestrengter Arbeit und treuer Pflichterfüllung. Onkel
Firks, nach dem das Neugeborene Anton heißt, kommt nach wie vor
zum Besuch und bringt stets eine heitere Laune mit, die wie goldenes
Sonnenlicht ihm und den Freunden den Ernst des Lebens erhellt.

In der folgenden Weihnacht saßen sie wieder alle beisammen und
der schönste Toast, den Onkel Firks ausbrachte, galt dem vorjährigen
Christabend, an welchem das Schicksal unser Paar auf so seltsame
Weise zusammengeführt hatte.
 
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