Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0007

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2Z54

Zer- guten Muths!

Rückwärts und vorwärts an des Jahres Wende
Wandert der Rück. Die scharfumriihnen wilder
Äewalt'ger Kämpfe, die uns tief erregt,
Sind im Verbleichen fchon und aus dem Rebel,
Der Künftiges bedeckt, erheben stch,
Roch fchattenhaft, doch langsam sich verdichtend
Zu fester Norm, die Rilöer neuer Kämpfe,
Rnö schon im Voraus strafft sich jeder Rerv.
Kampf überall - in der Vergangenheit
Wie in der Zukunft — ruheloser Kampf,
Der starke Herzen heischt und treue Wärmer,
Die echt wie (Sold sind, aber hart wie Stahl.
Das Nlte weiß, was ihm vom Reuen droht,
Rnd wer's nicht weiß, der fühlt es instinktiv, -
Er wird gar oft brutal vor lauter Ängst,
Und jede Waffe ist dem Neigen recht.
Da wir M sicher unsrer Zukunft sind
And im Bewußtsein unsrer reinen Sache
Zu klug, den: Neinö ans Wcffer uns )u liefern
Und M erfüllen feinen Lieblingstraum,

Den Lieblingstraum des braven Königs Stumm,
So möchte gern das ganze GLtern-Rest,
Das fischende, uns in die Nerfe beißen.
Und weil ste fühlen, all' die dunklen Mächte,
Daß ste verloren sind in diesem Kampf,
Jetzt oder später, daß von Gl'ary und Wacht
Der Gegenwart ste klagend fcheiden müssen,
So drängen ste wie blind und toll zurück
In die Vergangenheit. Vermorschte Normen,
Redeckt vom Staube der Vergessenheit,
Kramt man hervor und Ddem einzublasen
Sucht man den Schemen kalt und starr und toöt,
Obwohl man selbst ein Kind der neuen Zeit!
Das ist wohl Tollheit, aber diese Tollheit
Refchützt zunächst noch eine Naust von Eisen,
Und allen Wuth, der uns bisher beseelt,
Den festen Glauben, die Entschlossenheit,
Än deren Nelsenbrust die Nluth zerschellt,
Wird von den Kämpfenden die Zukunft heischen.
Sie aber werden, dessen seid gewiß,
Richt kleiner sein, als ihre große Zeit!

Proffl Neujahr!
(Zu unserem vordsrseitigen Bilde.)

Es heult der Sturm, im Gseu glüht die Aohle,
So daß es doppelt euch daheim behagt.
Und wenn im Rauche der Zylvesterbowle
Lin Schwarm von Schatten euch vorüberjagt.
So bringt ein volles, heißes Glas dem Wohle
Des flotten Schelms, der sie zu Hetzen wagt
Und der schon oft mit seiner Geißel Hieben
Sich ihren Rücken schmerzhaft eingeschrieben.
Lr mag sie nicht, dis wohlbekannten Züge.
Lr drückt an nichts verlegen sich vorbei.
Lr mag sie nicht, die halbverschämte Rüge.
Lr ist in allem rücksichtslos und frei;
Krisch fällt er an den Schwindel und die Lüge.
Reck geht zu Leib' er jeder Spitzelet
Und ohne Scheu läßt er auf jedem Ranzen.
Wie hochgeboren auch, die Geißel tanzen.
Was er erstrebt, ist seines Volks Beglückung.
Lin hohes Ziel, das glühend er erfaßt.
Und jede Form und Art der Unterdrückung
Ist ihm im tiefsten Innersten verhaßt —
Roch mehr vielleicht die pfäffische Verzückung.
Die in der Stille müßig schlemmt und praßt.
Und seine lust'gen Augen haben Blitze
Gesunden Zornes für die Brüsewitze.
Das.was uns fehlt, woran wir heimlich kranken -
Mit Hellem Blick hat es der Schelm entdeckt.
Frei sind in Deutschland einzig die Gedanken
Und weil ihr fröhlich Blühen Manchen schreckt.
So hat mit Dorngestrüpp und hohen Schranken
Lin enges Plätzchen schlau man abgesteckt
Dem freien Wort, und wer sie überschritten.
Der hat sich grausam oft ins Fleisch geschnitten.

Drum ist die Wahrheit zu dem Schelm gegangen.
Der freudig sich in ihren Dienst gestellt.
Sie ziehen aus mit Spießen und mit Stangen,
Doch werden immer sie von ihm geprellt;
Ls ist so schwer, den Flüchtigen zu fangen.
Wenn die Gesinnung er zum Scherz gesellt
Und spöttisch lächelnd dreht der ganzen Blase
Boll Uebermuth er eine lange Aase.
Der wahre Jacob.
Ein böser Trsum.
Bismarck war ivieder ans Ruder gekom-
men und das Erste, was er that, mar, daß
er sich an seinem ehemaligen Freunde, dem Herrn
v. Bötticher, rächte. Er stieß ihn aus seinem
Amte und verfolgte ihn überall, so daß der
Staatssekretär a. D. in sehr traurige Verhältnisse
gerieth. Schließlich war Herr v. Bötticher ganz
verarmt und wurde Streikbrecher am Hamburger
Hafen unter dem Namen Meyer.
Als er das erste Mal seinen Lohn bekam, da
wurden ihm Abzüge gemacht. Er hatte auf
24 Mark gerechnet und bekam nur 18 Mark.
Murrend strich er das Geld ein, wobei ihn der
Kassircr anschrie: „Haben Sie nicht die Rede des
Staatssekretärs v. Bötticher gelesen? Der hat
nachgewiesen, daß die Schauerleute immer un-
zufrieden sind."
„Aber", warf der ehemalige Staatssekretär
ein, „meine Bedürfnisse —"
„Bedürfnisse!" rief der Kassirer. „Schmidt,
tragen Sie mir den Meyer in die Liste der Un-
zufriedenen ein; wenn er sich nochmal muckst,
wird man ihm zeigen, wo der Zimmermann ein
Loch gelassen hat!"
Betrübt ging der Gescholtene von dannen
und trank sein „Köhm un Beer". Das wollte
ihm gar nicht schmecken, denn er dachte an die

feinen Weine und Liköre von früher. Er klagte
einem Arbeitsgenossen sein Leid.
„Oh", sagte der, „Du willst zu hoch hinaus!
Weißt Du nicht mehr, was der Staatssekretär
Bötticher im Reichstage gesagt hat? Fünf Mark
pro Tag seien noch zu viel für uns."
Seufzend zog Meyer-Bötticher seines Wegs
und nahm die Püffe der Streikenden geduldig in
den Kauf. Er hatte es ja selbst nicht besser
gewollt.
Die schwere Arbeit machte ihm viel Beschwerde,
aber noch nie wurde sic ihm so sauer, als an dem
Tage, wo der alte Bismarck zu ihm kam und
ihm schadenfroh ins Gesicht lachte.
„Das hast Du davon, Du Abtrünniger, jetzt
bist Du sogar Streikbrecher geworden, um den
armen Teufeln den Taglohn zu schmälern," höhnte
Bismarck. „Aber ich habe es stets gesagt, daß
Du ein wenig zuverlässiger Freund bist. Hättest
Du seiner Zeit mit mir die Arbeit im Ministerium
niedergelegt, so ständest Du heute nicht als arm-
seliger Schauermann hier; aber bereits damals
zeigtest Du Deine Neigung zum Streikbrechen und
das ist heute der Lohn dafür."
Er lachte laut auf uud schritt von dannen;
die Sporen an seinen Kürassierstiefeln klirrten so
laut, daß Herr v. Bötticher aus seinem Traum
erwachte und in brünstigem Gebet seinem Schöpfer
dankte, daß er noch immer Staatsminister sei und
kein streikbrechender Schauermann an der Wasser-
kante. ,,
Vor Gericht.
Präsident: Angeklagter, es ist unmöglich,
daß Sie diesen raffinirten Einbruch ganz ohne
fremde Hilfe durchgeführt haben. Wer sind also
Ihre Mitschuldigen?
Einbrecher: Bedaure sehr, ich darf meine
Hintermänner nicht vcrrathcn.

Einliegend ciu^Prospekt „In freien Stunden". (Verlag: Buchhandlung Vorwärts, Berlin.)
 
Annotationen