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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0008

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2355

Vlihdraht-Mcldungrn.
Berlin. Die Negierung und die Berliner Polizei stehen noch immer in Konflikt.
Man ist gespannt, ob die Negierung die Polizei auflösen oder ob die Polizei gegen die
Negierung einschreiten wird.
— Von konservativer Seite wurde die Einführung der Berufung verworfen, damit
man Tausch- und Lützow-Prozesse wenigstens nicht in doppelter Auflage erlebt.
Hamburg. Mehrere Aktionäre großer Schiffsgesellschaften versuchten es, an die
Stelle streikender Arbeiter zu treten. Als sie deren Arbeitsleistung jedoch kennen lernten,
sagten sie: „nicht für tausend Mark pro Tag!" und zogen sich wieder auf die leichtere und
lohnendere Arbeit mit der Couponscheere zurück.

Gütlicher,

^as ist der Herr von Bötticher,
Er sitzt am grünen Tische.
Die Ltaatsgeschäste leitet er
Mit altgewohnter Arische.
B)enn Unerwartetes geschehn.
Man braucht's ihm nur zu sagen.
Er löst sofort im Handumdrehn
Die allerschwersten Aragen.
Bur als aus Hamburg der Bericht
Dom großen Streik gekommen.
Da ist ihm des Begreifens Licht
2m Hirne nicht entglommen.
Er sprach: „Die Welt ist ja so schön,
Bings blüht uns Glück hienieden.
Ich kann es wahrlich nicht verstehn.
Daß Jemand unzufrieden!
„Ich kenne Hamburgs Hafen schon,
Der groß und imposant ist.
Jedoch von schlechtem Arbeitslohn
Daselbst mir nichts bekannt ist.
Bm Alster-Huai — nicht lang ist's her
That ich spazieren gehen;
B)enn etwas nicht in Ordnung wär'.
Da hält' ich's doch gesehen!

„Die Bheder sind gar liebe Herrn,
! Sie tragen schwarze Aräcke,
, Auch haben sie, so glaub' ich gern.
Das Herz am rechten Alecke.
Sie knausern nicht beim edlen Wein,
Auch nicht bei kecken Schönen;
> wie könnten sie wohl schmutzig sein
In ihren Arbeitslöhnen?
! „Ich glaub' es nicht, ich glaub' fürwahr,
> Daß man sie schwer verdächtigt.
Und darum halt' ich ganz und gar
Den Streik für unberechtigt.
Ich selbst fing nie das Streiken an
Und werd' es nimmer thuen,
warum soll grad' der Arbeitsmann
j Die Hände lassen ruhen?"
! Dies hat der Herr von Bötticher
voll Weisheit ausgesprochen,
I Und über Hamburgs Streikerheer
Hat er den Stab gebrochen.
So hat er Heiterkeit gebracht
In jene ernste Aehde,
Denn allorts ward er ausgelacht
! Aür seine schöne Bede.

Die noklzleidrnde politische Polizei.
Was? Nothleidcndc Agrarier? Nothlcidcnde Jimungsmeister? Ist
ja alles gar nichts! Aber wie traurig muß es unserer braven politischen
Polizei gehen, wenn sie sich statt des sozialdemokratischen Edelwildes Leute
wie Köller und Bronsart uon Schcllendorf zum Hetzen anssucht!

Hobelspähnr.


Gekommen ist ein neues Jahr,
Die Feierglocken klingen.
Ich biete meinen Gruß ihm dar,
Es mög' uns Gutes bringen.
Doch sind wir neuer Kämpfe auch
Mit frohem Muth gewärtig,
Und wenn die Reaktion sich rührt —
Wir werden mit ihr fertig.
Prost Neujahr!" rief der Sachse in der
Sylvesternacht, da wurde er wegen nächtlicher
Ruhestörung verhaftet.

König Stnnnn hat im Reichstage behauptet, die Sozialdemokratie
stamme aus der Hölle. Deshalb hat er wahrscheinlich eine solche Höllen-
angst vor ihr. » .

Es war die schwäbische Volkspartei
In Cannstatt krank und schlaff,
So gab die letzte Oelung ihr
Auf ihren Wunsch der Pfaff.
Daß Regierungen schwerhörig sind, wenn sie die Vertreter des
Volkes anhören sollen! ist nichts Neues, aber in Deutschland geht die
Taubheit so weit, daß sogar der Präsident der Volksvertretung
schwerhörig ist. * * «
Wer seinen Namen zieren Hoch über die Bürger erhebt sich
Dars durch das Wörtchen „von", ! Des Adelsstandes Sohn —
Den zählt man zu den Edelsten j Von Tausch und von Lützow bilden
Der preußischen Nation. j Dazu die Illustration.
Je mehr Erhebungen in der Tausch-Lützow-Affaire stattfanden,
desto mehr Erniedrigungen brachte derselbe für die politische Polizei.
Ihr getrener Säge, Schreiner.

Miquel als Unzufrirdenheits-Errrger.
Sonst war der kleine Rentner stets
So überaus zufrieden,
Und alles Opponircn hat
Er konsequent vermieden.
Jetzt schimpft auf die Regierung er
Mit dcmokrat'schem Feuer.
Besonders gegen Miquel ist
Sein Zorn ganz ungeheuer.
Warum denn also heftig jetzt
Hört man ihn räsonniren?
Der Zinsfuß ist herabgesetzt
Von seinen Staatspapicren.
Prophereihungen.
Es ist gar keine Kunst, beim Jahreswechsel
einen Rückblick auf das verflossene Jahr zu werfen
""d zu verkündigen, welche großen nnd wichtigen
Ereignisse cs gebracht hat. Diese Ereignisse sind
oft gar nicht werth, daß man sic noch einmal der
Vergessenheit entreißt, in welche sie der geehrte
Leser sofort wieder versinken läßt.
Wer aktuell sein will, der muß seinen Lesern
zum neuen Jahre etwas Neues bringen; der
„Wahre Jacob" wird daher statt des Rückblickes
einen Vorausblick auf das Jahr 1897 eröffnen.
.Jahr 1897 wird die parlamentarische
^.hatigkcit des Reichstags vom Januar bis weit
m oen LwmiE hineinreichen, ohne ein bemerkens-
mcrthcs Resultat zu ergeben. Die Etatsposten
werden nut vereinzelten geringen Abstrichen Ge-
nehmigung finden und man wird namentlich am
Militärctat nicht knanscrn; für die Marine wird
man sogar wesentliche Erhöhungen bewilligen.
Von sozialdemokratischer Seite wird ans arge Miß-
stände beim Militär hiiigcwicsen und namentlich
betont werden, daß die Soldatenmißhandlungen

noch immer sehr häufig sind. Der Kriegsminister
wird für einzelne Fälle Untersuchung versprechen,
die Angaben über andere Fälle bemängeln und
die Behauptung aufstellen, Deutschland brauche
die Armee sehr nothwendig, dagegen den Lukanus
gar nicht; trotzdem wird Herr v. Goßler von dem
Letzteren geholt werden.
Die Militär-Strafprozeß-Ordnung erscheint
als Stern achter Güte am politischen Horizont
und kann mit scharfen Ferngläsern beobachtet
werden. Dem bloßen Auge wird sie nicht sichtbar.
Die Zünftler werden mit Unterstützung der
Antisemiten im Reichstage viel erstreben und
gar nichts erreichen, dagegen wird für die
Agrarier mancher Bissen abfallen. König Stumm
wird einige Male die Gelegenheit erfassen, die
> Sozialdemokratie anzugreifen, wird aber von den
Arbeitervcrtrctcrn so gründlich heimgeschickt wer-
den, daß sein Schmerz in den Spalten der „Post"
deutlich erkennbar sein wird.
Damit erledigt sich auch die Frage nach den
Hintermännern. Auf diese legt kein Mensch
heute noch Gewicht, wohl aber auf die Vorder-
männer. Hohenlohe hatte Caprivi als Vorder-
mann, Caprivi den Bismarck, der Biebcrsteiner
den Herbert. An die Vordermänner mnß man
sich wenden, wenn man etwas wissen will, die
Hintermänner sind in aktiver und passiver Form
eine perverse Erscheinung und bleiben infolge dessen
am dessen in Dunkel gehüllt. (8 17ö d. St.G.B.)
Wenn in diesem Jahre irgendwo Mangel zu
konstatiren sein sollte, so wird dies doch kein
Mangel an MajestätsbeleidigungSprozesscn sein,
im Gegeuthcil, diese Prozesse werden vielen Staats-
anwälten lohnende Beschäftigung geben und
manchen armen Teufel mit Staatsqnarticr und
fiskalischem Brot versorgen.
Auch an Preßprozessen wird es nicht fehlen,
j denn namentlich in Sachsen, Preußen und Thü-

ringen wird es in der Regel den Redakteuren zu
wohl, so daß sie ihren: Uebermuth in Besprechung
öffentlicher Angelegenheiten Luft machen müssen.
Dann folgei: Konfiskationen, Prozesse re. als eine
längst bekannte Naturerscheinung.
In: Sommer, während der Zeit der sauren
Gurke, wird man viel von auswärtiger Politik
reden. Es wird ii: der Türkei und in Bulgarien
irgend etwas los sein. Die Mächte werden dies
zum Anlaß nehmen, um gegen die Türkei endlich
einmal gemeinsam und energisch — Noten zu
zu richten, wobei cs sein Bewenden haben wird
und die Türken sich nach wie vor im Abschneiden
von Armenierköpfen üben können. «
In der Herbstscssion des Reichstags wird
Kardorff eine Rede für die Silberwährung halten,
auch wird es eine große Kolonialdebatte geben.
Einige sozialdemokratische Anträge zur Verbesse-
rung der Gewerbeordnung werden beiläufig ab-
gelehnt werdein Sonst wird das Jahr nichts
Bedeutsames bringen, außer, daß die Sozial-
demokratie große Fortschritte machen und wachsen,
blühen und gedeihen wird.
Das ist das Jahr 1897.

Der Orthodoxydationsprozeß in der preußischen Verwaltung
macht Fortschritte und es kommt so weit, daß in den chemischen
Laboratorien alle chemischen „Verbindungen" kirchlich einge-
segnet werden müssen.
In Sachsen werden rothe Haare und Bärte als republi-
kanische Abzeichen verboten. Alle, die solche nicht blau oder
grün färben lassen, werden ausgewiesen.
In Breslau wird ein Straßenbummler, der unversehens
auf einen abgerissenen Nniformknopf trat, wegen Majestüts-
Jn Paris kommen mehrere hundert Kinder auf die Welt,
die eine ausfallende Neigung für Wuttki an den Tag legen
und solchen der Muttermilch vorziehen.

Kierzu als GratisLeilage: „Deo waHreu tzacov lustiger Almanach für 1897.
 
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