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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0011

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2358

Wie der 'Vmnpianer MM öie soziale Drage lösen wollte,
von s. Horowitz.


as kleine litthauische Städtchen Pum-
pian ist ein abseits der Heerstraße
gelegenes Krähwinkel. Die Bevölkerung
dieses Abderitennestes ist eine beinahe aus-
schließlich jüdische und deren materielle Lage

eine elende. Die „Städter" ziehen entweder

in die umliegenden Dörfer als ambulante schwerbepackte Krämer,
oder die Bauern kommen ins Städtchen, ihre Bodenprodukte zum

Austausche anbietend. Ein Fremder kommt äußerst selten in diese
entlegene Ortschaft, und wenn dies je einmal der Fall, dann ist er
Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit und wird von Alt und Jung
wie eine exotische Erscheinung begafft.
Vor fünfzig Jahren, zur Zeit als unsere Geschichte spielt, war der
Verkehr bekanntlich im Allgemeinen ein kleinerer, in dieser Gegend jedoch
gab es damals weder Eisenbahn noch Telegraph, und die Postschnecke
bildete das einzige Kommunikationsmittel. Wenn Jemand gezwungen
war, eine Reise anzutreten, so traf er solche Vorbereitungen, als gälte es

straft? Er möchte ihn wahrscheinlich gerne los werden, wer aber wird
ihm dieses Unglück abnehmen? Wer wird sich so was einem Zweiten
zu liebe ins Haus nehmen? Sind doch Krankheiten und sonstige
Unglücksfälle auch als Strafe, als Sühne aufzufassen, als eine Fügung
Gottes, als eine Läuterung, das man resignirt hinnehmen mich, und
so wird sich auch die Sache mit dem Reichthum verhalten."
Und er empfand ein lebhaftes Bedauern und Mitleiden mit allen
Reichen der Welt, die so empfindlich bestraft werden.
So verstrichen mehrere Jahre, und Rabbi Nehemias gelangte zur
Erkenntnis;, daß auch Armuth ein Unglück sei, und diese Erfahrung
machte er an seiner eigenen Person.
Sein Staatsrock, der Atlaskaftan, begann sich mit Fransen zu
zieren, sein Alltagskleid war schon längst voller Flicken. Dazu sechs
Kinder, worunter bereits heirathsfähige Mädchen, und die Frau
lamentirt den ganzen Tag: „Wir kommen förmlich um vor Hunger!
Die Kinder sind lauter Haut und Knochen, mehr Geist als Körper,
schaffe Mittel, Rabbi, schaff' Rath!"
Und Rabbi Nehemias versinkt wieder in Hinbrüten. Jetzt denkt er
an ein anderes Unglück, — an die Armuth, die auch ein Unglück zu sein
scheint. Und der Talmud sagt ebenfalls: „Armuth führt auf Abwege!"
Es giebt also noch ein Unglück, das er schon aus eigener Erfahrung
kennt, das schon sein Weib und seine Kinder an sich selbst erprobt haben.
Und aufgeregt schreitet der Rabbi auf und nieder in feiner kleinen
Stube. Verschiedene Stellen aus seinen Folianten, die Reiche und
Arme, Glückliche und Unglückliche zum Gegenstand haben, schwirren
ihm durchs Hirn, er kann aber aus diesem Labyrinth keinen Ariadne-
faden finden, und sein schwerbelastetes Haupt droht zu bersten.
Da plötzlich dämmert in seinem gemarterten Kopfe eine Idee auf,
das Chaos schwindet, der rettende Einfall scheint eine greifbare Gestalt
anzunehmen, er hält in seiner Zimmerpromenade inne und beginnt
folgenden laut gesprochenen Monolog:
„Aha, das ist ein Plan, fürwahr ein guter Plan, ein vorzüglicher
Ausweg . . . Noch einmal: Es ist doch feststehende Thatsache, daß die
Zahl der Armen die der Reichen um vieles übersteigt. Ferner ist sicher
anzunehmen, daß jeder Reiche gerne sein Unglück los werden möchte, nur
findet er hiefür keinen Abnehmer. I, einen Abnehmer findet er na-
türlich nicht, denn so verrückt ist Niemand. Wenn aber nicht einer,
sonder »viele Leute ihm seine un glückselige Bürde ab nehm en

eine gefahrvolle Expedition zu unternehmen. Jede Stadt war ein für sich
abgeschlossenes Gebiet und unser Pumpian war es ganz besonders.
Das Zeitungswesen lag noch in den Windeln, es wurde deshalb
nicht über weltbewegende Fragen disputirt und die moderne Termino-
logie wie „Arbeiterfrage", „Kapital", „Sozialismus" u. s. w. war selbst
in der großen Welt noch wenig verbreitet, in Pumpian natürlich noch
gar nicht bekannt und dessen Rabbi selbstredend ganz fremd.
Und doch war Rabbi Nehemias auch ein Sozialist nach seiner Art.
Der Rabbi war ein Pumpianer von Geburt, hatte nie das Weich-
bild seines Ortes verlassen und die Rabbinntswürde war in seiner
Familie erblich. Er bekleidete schon etliche Jahre dieses Amt und
bezog wöchentlich fünf polnische Gulden Gehalt.
Sein Beruf nahm ihn wenig Zeit in Anspruch, er studirt also
und spintisirt. Das Spintisiren ist auch seine liebste Beschäftigung.
Trotz seiner Weltabgeschiedenheit boten ihm so manche Vor-
gänge Stoff zum Nachdenken, nnd diese Fragen wollte er
mit seiner Stubengelehrsamkeit losen. Obwohl in Elend
und Armuth groß geworden, obwohl er nie einen reichen
Mann zu Gesicht bekommen hatte, wußte er doch, daß
manche Leute über große Reichthümer verfügen, denn hie
für fand er Beispiele im Talmud.
Aus seinen heiligen Büchern wußte er aber auch, daß
Reichthum ein Unglück sei. War doch König Salomo gewiß
ein reicher Mann und doch flehte er zu Gott, ihm ja keine
Reichthümer zu bescheeren, denn diese tragen nur zu»; Un-
glücke des Menschen bei. Erzählt doch der Talmud, daß
die armen Leute im Paradiese die hervorragenden Sitze
einnehmen, während die Reichen kaum an der Thüve ge-
duldet werden.
Und Rabbi Nehemias warf bei sich die Frage auf:
„Wie kommt es, daß man sich den Reichthum, dieses Un-
glück, so gerne anschafft? Wer ist so wahnsinnig, diesem
Unglücke nachzurennen? Wie kann man irdischer Güter
wegen sein Seelenheil aufs Spiel setzen?" Darüber zerbrach
er sich den Kopf und konnte keine Ruhe finden.
„Aber" — spintisirte er weiter — „was soll der thun,

würden . . . was dann? Noch einmal: Wenn man mit anderen
Worten seinen unglückbringenden Reichthum unter viele Arme vertheilen
würde? Das wäre doch für beide Theile ein Glück; dem Reichen würde
man die Last erleichtern und den Armen wäre geholfen."
Und ob der Einfachheit dieses Einfalles wurde er selbst überrascht
und er staunte über das Treffliche dieser Lösung. Sein Antlitz war in
Schweiß gebadet, seine Augen strahlten einen ungewöhnlichen Glanz aus
und um seine Mundwinkel spielte ein freundliches, zufriedenes Lächeln.
Er begann seinen Plan weiter nuszuspinnen; aber da stieß er auf
ein Bedenken, denn er konnte seine projektirte Gütervertheilung mit
seinen heiligen Büchern nicht ganz in Einklang bringen. Eine Sache
„klappte" nämlich nicht. Es steht doch geschrieben, daß auch arme
Leute sein müssen, denn die Armuth wird nie aufhören und nach
Nehemias' Plan gäbe es keine Armen mehr. Auf diese Weise würde


den Gott mit solch einem Unglücke, mit Reichthnm,

Die Frau lamenlirte den ganzen Tag. „Wir kommen um vor Hunger."
 
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