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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0012

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—. 235h . -.---

man das göttliche Gebot des Älmosengebens nicht befolgen können
nnd das ginge doch nicht an 2
Aber ein gescheiter Kopf findet ein Mittel nnd nnser Rabbi wußte
auch aus diesem Dilemma einen Ausweg. Seine gerunzelte Stirne
glättete sich und er setzte sein Selbstgespräch fort: „Es ist gar keine
Gefahr, wer weiß denn, ob das Vermögen der Reichen für alle Armen
ausreichen wird? Ob mau allen Armen wird helfen können und
ob sich die Armen alle werden helfen lassen? Gewiß nicht; somit wird
man auch weiter Almosen geben können."
Der Plan war somit fix und fertig, alle Details wohldurchdacht,
von allen Seiten reiflich erwogen und unser Rabbi war Mit seinem
Reformwerke überaus zufrieden.
„Deborah", schrie er zu seiner Frau hinüber,,»Deborah, weine nicht,
der Plan ist schon fertig, es wird mit Gottes Hilfe alles gut werden."
„Was redest Du? Was für
ein Plan?"
„Geh und schweig', das ist nicht
für ein Frauenhirn! Verlaß' Dich
nur auf mich, es wird schon gut
werden."
Und Rabbi Nehemias sinnt
weiter nach: „Ja, der Plan ist
ausgezeichnet, aber wie bringt man
ihn zur Ausführung? Mit wem
macht man den Anfang?" Und er
ließ sämmtliche Bürger Pumpians
Revue passiven. Aber er fand keinen
unglücklichen Reichen — Niemand
hat Vermögen, wozu also mit ihnen
reden? „Somit muß man also nach
einer großen Stadt fahren!" Und
am nächsten Samstag verkündete
der Spnagogendiener im Bethause,
der Rabbi lade für Abends die
Gemeinde behufs einer Konferenz
zu sich ein.
In der Abendsitzung setzte der
Rabbi seinen Zuhörer» das Projekt
auseinander und klärte die Guten
darüber auf, was für Glück die
Verwirklichung seines Planes im
Gefolge haben wird; zu diesem Zwecke müsse er aber nach einer großen
Stadt, nach Wilna, wo es viele unglückliche Reiche giebt, fahren.
Man möge ihn also mit Reisespesen versorgen, damit er sein Vorhaben
ausführen könne.
Man dachte über das Vernommene nicht lange nach, das nöthige
Reisegeld wurde aufgetrieben, — denn wer würde nicht für solch eine
wichtige Sache seinen letzten Groschen hergeben — und Tags darauf
trat der Rabbi seine epochemachende Fahrt auf einem Bauernwagen an.
Während der Fahrt entwarf Rabbi Nehemias seine Agitations-
rede, wie er sein weltbeglückendes Projekt überzeugend vortragen wird,
und je mehr er sich in seine weltbewegende soziale Reform vertiefte,
desto überzeugter ward er von deren Gelingen.
Endlich langte er in Wilna an.
„Wo werden wir Absteigquartier nehmen?" fragte das kutschireude
Bäuerlein.
„Wie heißt, Absteigquartier? Bei einem Juden natürlich. Welcher
Jude wird mir ein Obdach verweigern?"
„Und ich mit meinem Fuhrwerk?"
Der Rabbi stutzte. Ein des Weges kommender Jude, der das
Zwiegespräch auffing, deutete ihm an, daß Wilna nicht Pumpian sei
und daß man hier eine Herberge aufsuchen müsse.
„Wegen meiner!" meinte der Rabbi und suchte einen Gasthof auf.
Wilna war in der That nicht Pumpian und unser Weltverbesserer
kam gar nicht aus dem Staunen heraus. Zum ersten Male sah er
gerade, langgestreckte Straßen mit hohen Häusern und reichverzierten
Fassaden, daß es eins Pracht war.
„O, hier müssen viele unglückliche Menschen sein", sprach Rabbi
Nehemias bei sich, „so was habe ich noch nie gesehen. Wie können
die nur solch ein Unglück ertragen? Ich werde förmlich ihr rettender
Engel sein."
Er beschloß, den reichsten Mann der Stadt aufzusuchen. Man
gab ihm die Adresse an, es war die eines jüdischen Gemeindevorstehers.
Jede Straße, die der Rabbi passirte, entlockte ihm ein neues Kopf-
schütteln; die hohen Häuser, die Trottoirs, allerhand Fiaker und dazu
die schön gekleideten Menschen mit goldenen Ketten und Ringen! Er
ward so verwirrt, so konfus, daß er fürchtete, sein ganzes Reform-
werk könnte in seinem Hirn in die Brüche gehen.

Endlich erreichte er das Haus des Vorstehers. Hastig öffnete er
die Thürs und sprudelte hervor: „Ich bin der Rabbi aus Pumpian
und möchte den Vorsteher sprechen."
Dieser, ein stattlicher älterer Mann, geschäftlich in Anspruch ge-
nommen, bewillkommnete den Ankömmling mit der üblichen hebräischen
Begrüßung, öffnete die in den Salon führende Thür und sprach nnt
einer einladenden Handbewegung: „Bitte mich für einen Moment zu
entschuldigen, ich stehe sofort zu Diensten/'
Der Salon war luxuriös eingerichtet- daß der Rabbi ganz geblendet
wurde, Thränen stiegen ihm in die Äugen und er seufzte: ,»So un-
glücklich! und all dies muß der äruie ManU über sich ergehen lassen."
Nach einer Weile erschien der Hausherr und fragte: „Womit kann
ich Ihnen dienen, Rabbi?"
Der Rabbi sah ihn betrübt äu und sagte in theilnehmeudem Tone:
„Sie sind, wie ich sehe, sehr un-
glücklich." Der Vorsteher schaute
ihn verblüfft an, zuckte die Achseln
und schwieg.
Jetzt rückte Rabbi Nehemias mit
seinem Plaue herüor, entwickelte sei-
nen uns bereits bekannten Jdeeu-
gang und bemerkte, daß er behufs
dessen Realisirung nach Wilna ge-
kommen sei. „Ich muß Ihnen die
reine Wahrheit sagen", schloß er
seine lange Auseinandersetzung,
„ich konnte mir das Unglück in
seiner ganzen Tragweite gar nicht
verstellen. Habt doch ein Einsehen,
Ihr Leute, und rettet Euch. Nehmt
Euch doch die Sache zu Herzen!
Diese Häuser, diese Reichthümer!
Das Unglück ist doch kolossal. Erst
jetzt begreife ich, daß mein Projekt
der Welt alles Heil bringen wird/'
Der Vorsteher fixirte scharf den
Sprechenden, er merkte, daß er
keinen Wahnsinnigen vor sich habe,
sondern einen Schlemihl.
„Sie haben ganz recht, Rabbi",
meinte er. „Der Plan ist ganz gut.
Aber ich bin ja nur einer, und
in Wilna giebt es viele reiche Un-
glückliche. Man muß also mit
Ällen reden und ihnen die Sache
erklären. Man muß aber auch
mit der anderen Partei, mit den
Armen sprechen, ob die geneigt
wären, das Unglück, die Bürde auf sich zu nehmen — denn das wird
noch schwerer fallen, als das Unglück von uns abzuwälzen.'"
„Natürlich, natürlich", bejahte der Rabbi.
„Sehen Sie, Rabbi, den schwereren Theil nehme ich auf mich, so
wirken wir mit vereinten Kräften. Sie erwirken bei den Reichen, daß
sie das Unglück abgeben, und ich will dann bei den Armen durchsetzen,
daß sie es annehmen. Sie haben dadurch eine leichtere Arbeit, denn
ein Unglück will jeder los werden. Wenn Sie mit den Reichen fertig
sind, so kommen sie wieder, für die Armen will ich mich verbürgen."


Nehemias sucht unglückliche Reiche.
Was für Resultate die Reformbestrebungen des Pumpianer Rabbis
in Wilna erzielten, darüber schweigt die Geschichte, — nur das Eine
steht fest, daß er sich beim Vorsteher nicht wieder blicken ließ.
 
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